ist der DRITTE WELTKRIEG DIE SCHWEINE schrie ihm ein aus der weißen Wand taumelnder mit Schnee oder Schaum bedeckter gefederter Mensch ins Gesicht es ist die bebende
Erde des
Zusammenbruchs des Südturms den er später immer wieder vor strahlendem Sommerhimmel aus der Perspektive von Millionen Unberührter (hinter gläsernen Schirmen durch deren Emulsion der zuckende Strahl der Braunschen Röhre kaum dringt) sah etwas wie das plötzliche Aufbrechen Aufschäumen der dreißig oberen Stockwerke zu einem graphitfarbenen riesigen Wolkenpilz der blitzschnell heller wird und noch größer die Farbe tosenden Wassers annimmt der wie ein gewaltiger Pudelkopf den Turm krönt seine Wände entlang hinabrast als Rauchlawine die Wände doch alles schon mit sich nimmt niederreißt sofort das NICHTS über sich in den Himmel türmt um dann ganz auf die Straßen niederzustürzen wie (er dachte es dort unten in diesem Augenblick)
ein Meer aus Trümmern Schaum und Stein
und bald schon
nimmt alles eine festgelegte zeremonielle Form an
ein Ritual der Vernichtung für zwei Wolkenkratzer und zwei Flugzeuge
und dreitausend Menschen ich
dachte nicht
an Amanda ich sehe den rauchenden Nordturm und die unversehrte Front des Südturms und wie aus meinem linken Augenwinkel plötzlich den Schemen eines Flugzeugs der sich in das Bild schiebt und allen Erwartungen gemäß die Türme einfach passieren müsste aber direkt jede Entfernung vernichtet jede Erwartung der in die Mitte des Südturms einschlägt so leicht scheinbar wie in das Seidenpapier eines grauen Kastendrachens der augenblicklich Feuer fängt in Gestalt zweier Rauchwolken wie von aufbrechenden filzigen Schalen umgebener sich rasch aufblähender Feuerbälle die im nächsten Augenblick schon Tonnen von Stein und Glas in die Tiefe schleudern Hunderte von Menschen-
teilen ich dachte nicht an
Amanda ich
dachte nicht
ich sah immer wieder den gnadenlos heiteren Himmel das gnadenlos Lebendige der wasserstoffblonden CNN-Sprecherin im grünen Kostüm der feuerfesten Echsen das gnadenlose Anhalten Repetieren Wiedereintreten der Katastrophe die
zu einem unentwirrbaren Büschel einem blutigen qualmenden Knäuel zerfledderte geballte Zeit in der die Türme fallen auferstehen zusammenbrechen niederkrachen bluten aufflammen in einer Wolke verschwinden wieder unversehrt vor dem Himmel glänzen nur noch als Strünke dastehen erneut über Manhattan thronen wieder in die Straßen hinabschäumen
du berührst
es nicht
in deinem Holzhaus in Amherst 150 Meilen nördlich von New York City inmitten deines schon gar nicht mehr vorhandenen Lebens starrst du auf den Bildschirm inmitten deines Wohnzimmers das es schon gar nicht mehr gibt das schon weggeflogen weggebrochen ist wie die Zwillingstürme das du ebenso wenig berühren kannst
wie noch einmal ihre Wange ihr Haar
die grüne Ledercouch der Tisch mit den Zeitschriften die Regale die Bücher und Pflanzen sprenge dein Arbeitszimmer das nur noch als Bild vor deinen Augen flimmert deinen Schreibtisch auf den du eine zitternde Hand legst wie auf ein Kissen aus (eingebildeten)
Elektronen
Martin Lechner: Goethe lieben
weiße Asche in zweihundertfünfzig Bögen ich wünschte es wäre ein
einziger Atemzug von Dir
der alles verweht hätte jetzt denn dann wärst Du
an meiner Seite wieder an meiner Seite
Hafis mein Freund den ich mir aus der Verzweiflung erschaffe in der Aufspaltung meiner Trauer der Trennung meines Gehirns von meinem Herzen ich betrachte das Haus das untere Stockwerk des Hauses als
gesprengt
ich sah mit bleiernem Gehirn das mir schier die Augen aus den Höhlen presste immer wieder
und ich dachte nicht ich sah nur wieder und wieder
und wieder
die Endlosschleife des Untergangs
II. Die Türme, September 2002
Wenn dein Mütterlein
Tritt zur Tür herein
Und den Kopf ich drehe,
Ihr entgegensehe,
Fällt auf ihr Gesicht
Erst der Blick mir nicht,
Sondern auf die Stelle
Näher nach der Schwelle,
Dort wo würde dein
Lieb Gesichtchen sein,
Wenn du freudenhelle
Trätest mit herein
Wie sonst, mein Töchterlein,
O du, der Vaterzelle
Zu schnelle
Erloschner Freudenschein!
New York
Eine Frau — die Statue einer Frau,
in einer Hand hält sie den Fetzen, der Freiheit genannt wird,
das Stück Papier, das wir Geschichte nennen,
und mit der anderen Hand erwürgt sie ein Kind, das Erde heißt.
Tarik
Du ziehst eine Linie mein Freund die
stärkste Linie
die Grenzhaut die letzte und undurchdringliche
Mattscheibe zwischen dem tatsächlichen Geschehen und dir (der allerhöchsten Tatsache) ich komme immer wieder an diese Grenze in manchen Wochen jeden Tag sie verläuft
mitten durch mein Geschäft
in der Saadun-Straße gehört mir eines der Arztpraxenschilder die in vier Reihen übereinander dicht gestapelt und eng beschriftet wie die Frontseite einer Ladung wieder einmal nicht eingetroffener Medikamentenkartons den Betrachter mit der Hoffnung verwirren ihm könne auf jeden Fall geholfen werden und kartonähnlich ist auch meine Behandlungsschachtel in einem Siebziger-Jahre-Betonbau in dessen Treppenhaus die Leute Schlange stehen sofern sie nicht erschöpft am Boden kauern oder liegen
die Linie die Grenze ist hauchdünn nur eine
Membran hinter der sich
die nackten Heere der Toten drängen (der jüngst Verstorbenen nehme ich an während die anderen sich schon abgewendet haben da sie die Aussichtslosigkeit ihres Rückkehrwunsches einsehen mussten und sich auf den Weg in die ferneren Abgründe machten)
aber sie ist doch auch die
stärkste Trennung die wichtigste jene die das Leben der Toten zum Spiel macht zum Spielfilm den wir gnadenlos und immer verworrener und blasser wiederholen ohne sie je
zu erwecken
du bleibst hier: vor einer Mutter die dir ein gelbgesichtiges vierjähriges Mädchen auf die Pritsche setzt dessen dunkler Blick panisch an allem abgleitet als rutschte sänke glitte es immer tiefer hinab ganz gleich wo es sich befindet und dessen aufgequollener Bauch dir Leber- und Milzschwellungen verrät die es in drei oder vier Monaten auf die andere Seite der Grenze befördern werden ich kann sie nur ins staatliche Saddam-Hospital schicken wo man aber mit höchster Wahrscheinlichkeit nur tun kann was ich jetzt schon machen könnte nämlich der Mutter einen Zettel reichen auf dem in arabischer und lateinischer Schrift PENTOSTAM steht auf dass sie sich wie so viele andere mit ähnlichen Schildern und Zetteln auf den Straßen vor den Hotels bei den heruntergekommenen Kliniken oder Ambulanzen postiert in der Hoffnung auf einen Schmuggler eine korrupte Krankenschwester einen gnädigen oder kriminellen Arzt mit stiller Reserve einen Engel oder einen zufällig vorbeikommenden Mitarbeiter irgendeiner Hilfsorganisation der womöglich von einer entsprechenden Medikamentenlieferung weiß
in solchen Fällen bin ich kein Arzt mehr sondern ein Lotteriescheinverkäufer des Todes der auf seine alten Tage noch Krankheiten wie Kala Azar kennenlernen musste eine Infektionsspezialität die man zuvor allenfalls mückenverseuchten Elendsgebieten in Afrika und Indien zuwies Orte der
Dritten Welt
in die sich
der Irak an so vielen Punkten zurückverwandelt oder überhaupt hinverwandelt hat mit seinen zerbombten Elektrizitätswerken zerschossenen Kanalisationssystemen gesprengten Düngemittelfabriken zerfallenden Schulgebäuden überlasteten überfüllten maroden Krankenhäusern ich gehe auf die Straße und sehe