KRIEG und
man muss AUFPASSEN!
ruft Ali während ich nur schnell die Hand wegziehen und weiterhin darüber staunen kann was für ein geschickter und was für ein geschwätziger Operateur er geworden ist
kurz vor Feierabend hatte es begonnen
ein Taxifahrer war unter den letzten Patienten er hatte mir in den Ohren gelegen mit seinen geschwollenen Leisten höchstwahrscheinlich war es nur eine Prostatitis und solche Leute lasse ich normalerweise mit Heilkräutern laborieren doch ihm versprach ich etwas Besonderes nachdem Laila (meine alte Praxishelferin die mich wie zehn Wölfe vor Wahnsinnigen Simulanten und Querulanten schützt) das Patientengespräch unterbrochen hatte um eine junge Frau mit einem kläglich schreienden acht Monate alten Kind hereinzuführen
trotz ihrer schwarzen Abaya erinnerte sie mich so sehr an Muna dass ich vor Schreck fast aufgesprungen wäre nein eigentlich aufsprang dies aber als notwendige Eile erklärlich machen konnte wie es denn auch der kritische Nabelbruch des Kindes bewies ich hielt den Taxifahrer auf rief Ali an der sagte er könnte sofort operieren wenn ich assistiere und fuhr im immerhin kunstfertig gesteuerten Wagen meines Prostatitis-Geplagten das glücklicherweise kurze Stück zu jener Privatklinik in Karrada in der mein alter Freund seine Operationen mit dem Hintergrund einer vergleichsweise noch akzeptablen Intensivstation macht dass ich mich persönlich darum kümmere und mit dem schreienden Kind auf dem Schoß auf der Rückbank des nach kaltem Tabakrauch und Kebabfett stinkenden Wagens sitze ist wohl nur eine
Vorwegnahme
der Sorge der endlich aktiv werden müssenden Sorge um Muna die nach London zu schaffen das dringendste und wahrscheinlich auch das am einfachsten zu lösende Familienproblem ist ich habe es Farida doch schon abgerungen und müsste nur noch eindringlich mit Muna sprechen auch wenn mich ihr Weggang noch stärker schmerzen wird als der Jasmins ich war jünger damals und Jasmin war jünger als Muna heute es ist aber noch mehr wenn ich ehrlich bin müsste ich zugeben dass Muna mir schon immer am nächsten (nicht am liebsten oder doch?) gewesen ist näher auch als Sami dessen unbekümmerte Art mich ebenso erstaunt wie erleichtert Ali näht wie ein Weltmeister ich kann ihn nur bewundern da ich seit Jahren nur noch kleine Notoperationen in meiner Praxis mache fehlte mir völlig die Übung für einen solchen Eingriff der kleine Kinderbauch schließt sich und nun ist alles eine Sache der Hygiene eine äußerste Glückssache heutzutage aber hier in dieser Privatklinik gibt es wenigstens eine Chance
am Ende flucht Ali noch einmal derart über die allgemeinen Verhältnisse dass ich nur noch zu der großgewachsenen breithüftigen Anästhesistin schauen kann wie weit ist sie vertrauenswürdig vor einigen Jahren noch hätte man das nie gewagt ich muss Ali eigentlich auch nicht daran erinnern dass ich selbst wegen eines Fluchs im OP in äußerste Schwierigkeiten gekommen wäre hätte Oberst Basil den Spitzel nicht in den Tod kommandiert
Sie haben mein Leben in der Hand verehrte Kollegin sagt Ali dann aber plötzlich zu der Anästhesistin und zeigt auf das Kind die Tür öffnet sich und eine Krankenschwester kommt herein im Flur dahinter die schwarz verhüllte junge Mutter die mich so sehr an Muna erinnert
draußen auf der Straße reibt sich Ali das Gesicht mit den schmalen ägyptischen Zügen er hat jetzt das Alter zu dem sein edler Kopf und diese Pharao-Miene immer schon passten wie lang ist es doch her dass wir von den Brückenpfeilern in den Tigris sprangen
was siehst du mich so an alter Freund bin ich zu dürr willst du mir einen Diätplan machen
ich musste an die Pitié Salpêtrière denken sage ich du operierst mittlerweile so gut wie Cassin aber du redest auch so viel wie er
die Anästhesistin braucht Unterhaltung sonst schläft sie ein meint er schulterzuckend
und wenn sie sich mit den Falschen unterhält
sie redet nicht gern versichert er einmal in der Woche treiben wir es miteinander und dabei redet sie auch nicht
das ist keine Garantie
ach — hör zu ich strenge mich wirklich an komm wir kaufen noch ein und gehen dann zu Madschid Whiskey hab ich schon du bringst dann das Gemüse mit
Muna und Sami sind heute Abend bei Jasmin eingeladen da ist Farida allein ich will sie kurz anrufen
anrufen ich denke ihr seid verheiratet? der letzte Romantiker seufzt Ali
beim Gemüsehändler können wir das Telefon benutzen und wir spazieren mit lachsfarbenen Plastiktüten in der Hand durch den Abend an der dröhnenden Karadastraße verfolgt von Taxifahrern von denen wir einen mit einer viel zu kurzen Fahrt bis zum Sheraton-Hotel unglücklich machen dann geht es wieder zu Fuß durch die engen Seitengassen bis zur Schahid-Moschee
du bist so vorsichtig meint Ali als hätte ich keinen Grund dazu seine Gelassenheit beruht darauf dass er vor vier Jahren schon seine Frau und seine beiden Söhne nach London schicken konnte und als ich ihm das sage gibt er zurück dass meine
ZUSCHAUERHALTUNG
sich doch ebenso den familiären Umständen verdanke der Tatsache nämlich dass ich zwei Töchter hätte wie George Bush und dass Sami noch nicht im wehrpflichtigen Alter sei wenn ich Glück hätte dann wäre der Krieg ja schon vorbei noch ehe er seinen Schulabschluss mache Ali klopft mir ermutigend auf die Schulter mit seiner hellen Hose seinem leichten Pullover und den rosa Plastiktüten wirkt er feiertäglich entspannt man kann nicht glauben dass er einen 13-Stunden-Arbeitstag hinter sich hat nur manchmal senkt er etwas kurzatmig den Kopf ich weiß nicht ob ihm die Anästhesistin wirklich so guttut auch wenn sie zu schweigen versteht