früher (sehr viel früher) trafen wir uns in einem Café in der Mutanabbi-Straße oder in einer Bar an der Abu Nuwas wo wir uns heute nur noch mit Geheimagenten im Kreise Dutzender vom PRÄSIDENTEN geköpfter Prostituierten treffen könnten die den Wein ihrer Hälse ausschenken um einige panegyrische Lieder zu heulen im Gedenken an den von seinem letzten Auftraggeber zu Tode gequälten Dichter der da von den Freuden von Bagdad zu sagen wusste:
Wann, sagt er, willst du nach Mekka gehen?
Ich antworte: Ja, wenn es mit den Freuden
von Bagdad vorbei sein wird.
Wie soll ich denn auf Pilgerfahrt gehen,
solange ich hier abgesoffen bin
bei der Kupplerin oder dem Wirt?
da uns Mekka zu weit und zu trocken ist und die Wirte als zu gefährlich gelten sehen wir uns doch lieber privat und in kleineren Gruppen und der ideale Ort wäre eigentlich der exzentrisch rasende Planet Merkur auf dem Abu Nuwas seit 1976 einen schönen Krater besitzt im nächsten Mai im Krieg wird er uns grüßen nur ein winziger schwarzer Fleck vor dem tödlichen lebensspendenden Feuerschild der Sonne rasch
vorübergehend
wie all die Maler Dichter Journalisten die echten und die vermeintlichen Intellektuellen die es in alle Winde verstreut hat Madschids Atelier ist eine Ausnahme hier trifft sich der
Künstler- und Dichterclub
alte Männer zu gebeugt zu krank und zu trunksüchtig um dem STAAT noch Angst zu machen nur wenn der
Einsiedlerkrebs
kommt muss man sich in Acht nehmen jener Dichter der im Haus des Dichters wohnt wobei Letzterer vor fünfzehn Jahren nach Monaten der Folter und Haft ins Exil ging und Ersterer mit dem zurückgelassenen Haus belohnt wurde für sein Meisterwerk Saddams Blüte worunter ich mir nur einen Kranz von Hämorriden vorstellen kann das Haus erklärt uns der Einsiedlerkrebs seit Jahren sei allerdings von ihm nur getreulich verwaltet denn nichts schütze es besser vor falscher Vereinnahmung als seine Anwesenheit das Residieren eines falschen Dichters in der Muschelschale des wahren Dichters aber der Krebs in unserem Club schützt uns weil seine Anwesenheit weitere Spitzel unnötig macht Abu Nuwas der als Homosexueller hier in seiner eigenen Straße leicht verhaftet (und geköpft) werden könnte greift nach der Flasche und spricht:
Trink drei Gläser
und zitiere einen Vers.
Das Gute hat sich mit Bösem vermischt
und — Gott möge mir verzeihen —
Der wird gewinnen, in dem das eine
das andere überwand: genug!
zwischen den düster grün und rot leuchtenden Ölgemälden Madschids sitzen wir an einem langen Tisch mit historisch zerkratzter Platte vor uns überquellende Aschenbecher Bier- Whiskey- und Arrakflaschen Tee- und Wassergläser wir sind nur zu fünft heute (ohne den Einsiedlerkrebs) zwei Ärzte zwei Maler und der Dichter und Literaturwissenschaftler Jabir der seit zwanzig Jahren keine Zeile mehr veröffentlicht hat aber sieben Bücher
in seinen Kopf hinein schrieb (wie er sagt als trüge er eine assyrische Tontafel oder eine Computerfestplatte zwischen den Ohren)
aus denen er ganze Passagen zitieren kann vor allem aus den unsichtbaren Gedichtbänden Ultra und Die Kriege im Paradies er ist ein großer hagerer Mann mit zarten Fingern und leuchtenden braunen Augen in einem zugleich faltigen wie überaus fein modellierten Gesicht das einem vertraut erscheint und doch an nichts erinnert etwa wie eine kluge alte Fledermaus ein Geschöpf das alle kennen aber die Wenigsten einmal genauer betrachten konnten so schnell fliegt sein Geist
Jabir arbeite an einem neuen Essay erklärt mir Madschid mit dem ich in der engen schmuddeligen Männerküche eine Art Tabouleh aus Gurken Tomaten Paprikaschoten und Bulgur fabriziere
drei Stunden lang trinken wir gegen den Krieg
der kommen wird da sind wir uns einig wenn auch aus verschiedenen Gründen oder vielmehr Theorien Ali bringt noch einmal seine Hypothese von der beleidigten Potenz zu Gehör er trinkt schnell um die Anspannung des Kliniktags loszuwerden
geflügelte Stiere und geflügelte Frauen deren Haut in giftigen Komplementärfarben glänzt brennende Mullahs an Dalís Giraffen erinnernd schreiten über von Flugzeugen getroffene gläserne Pyramiden hinweg die mich an Paris denken lassen und an den dort lebenden und ganz ähnlich malenden alten Freund Hussein
nach meiner Meinung gefragt sage ich nur dass ich als schlichter praktischer Mediziner der Ansicht sei man solle immer eine möglichst einfache Theorie suchen
eben das unternehme er in seinem Essay sagt Jabir eine simple und belegbare Theorie der Macht angelehnt an Hobbes der Kern besage nur dass
jede Nation und auch jede politische Kraft oder gar
jeder Mensch
den Moment der Macht suche
das hieße
die Macht werde in dem Augenblick eingesetzt und zu kriegerischen Zwecken missbraucht in denen die Möglichkeit gekommen zu sein scheint die Vorherrschaft ohne allzu große eigene Verluste zu erringen also etwa
wie England und Frankreich sich nach dem Ersten Weltkrieg auf den Trümmern des Osmanischen Reiches den Orient aufteilten oder wie Israel seinen Vorteil im Sechstagekrieg nutzte und Ägypten den seinen 1973 im Yom-Kippur-Krieg die PLO glaubte sich vor dem Schwarzen September in Jordanien so stark dass sie nach der Macht griff und Syrien manipuliert heute den Libanon weil sich nur noch oder vor allem dort Momente der Macht ergäben die der
UNSRIGE
natürlich gesehen habe
als er 1980 die vermeintlich revolutionsgeschwächten Iraner angriff und vor gut zehn Jahren Kuwait wobei er übersah dass mit dem Niedergang der Sowjetunion wieder einer der großen welthistorischen Momente der USA gekommen war
das Machthandeln glaubt Jabir sei fast unvermeidlich
ganz egal ob es sich um eine so genannte Demokratie oder um eine schöne alte Diktatur handelt wirft Madschid ein
oder um deine Frau sagt Ali wobei dem jüngeren Maler Karim die Idee kommt dass man Alis Theorie und die von Jabir kombinieren könne dass also die Aggression aus einer Kränkung heraus sich wechselseitig verstärke mit der aggressiven Eigendynamik einer echten oder eingebildeten Machtfülle zum Beispiel im Fall Afghanistan
zum Beispiel in unserem Fall demnächst vor unserer Haustür ruft Madschid aber weshalb? versteht ihr weshalb können die Mächtigen so handeln wie sie handeln wie erklärt ihr euch das mit einer einfachen Theorie wie sie Tarik haben möchte er kippt Wasser in seinen Arrak so als wolle er nur wissen wie das jähe Eintrüben oder Milchig-Werden des Anisschnapses zustande kommt
beflissen trinken wir für eine Begründung der großen monotonen erschöpfenden vernichtenden grauenhaft verlässlichen Konstante der Geschichte für eine Theorie des (historischen)
MITMACHENS
das immer wieder funktioniert und stattfindet
der Essay den ich in meinen Kopf schreibe sagt Jabir hat auch dieses Thema
die Angst? rate ich denn meines Erachtens gibt es keinen anderen Grund
Madschid dessen künstlerischer Schnurrbart in den letzten Jahren immer großväterlicher wurde (buschiger grauer stärker herabhängend an den Spitzen) hebt sein Glas und wir stoßen an um das Abstraktionsniveau unseres Gesprächs zwischen den flammenden Leinwänden weiterhin hoch zu halten denn da oben in den Gedankenkreisen und Denkspiralen denen wir von hier unten aus im scheinbar immer tiefer sinkenden Keller (Kerker) unserer Körper gebannt folgen
dort oben also
wird man uns kaum erwischen