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es ist ein alter in langen Jahren trainierter tief verwurzelter Vorgang ein bedingter kollektiver Reflex dass man (WIR

die Hiergebliebenen)

in einem Gespräch mit mehr als einem gut vertrauten Menschen möglichst nicht zu konkret wird dass man besser nicht landet

auf den Leimruten der Vogelfänger

folglich erörtern wir eher selten die Stammtisch-Themen des Exils wie etwa das unselige Zurückschrecken der Amerikaner am Ende des zweiten Golfkrieges das uns ganz dem Terror unseres PRÄSIDENTEN überließ oder die unseligen Zwiste unserer nationalistischen Parteien in den sechziger und siebziger Jahren die schließlich den Baathisten das Terrain ebneten sowie die unselige Anbindung der einstmals so mächtigen irakischen Kommunisten an die Moskauer Zentrale die ihnen das Zusammengehen mit ihren Henkern verordnete

prinzipiell betrachtet

erklärt Jabir

in sicherer Höhe also

in der Tiefe also (sagt Jabir) dort wo sich die Dinge tatsächlich entscheiden

auf dem Grund unserer verletzlichen quälbaren

Körper

riefen wir nach dem STAAT dem LEVIATHAN der uns behüte von Grund auf bis zur höchsten Höhe es sei eine Pyramide oder ein Turm ganz unten gehe es um die Versorgung (Nahrung Wohnung Kleidung bis hin zum Arbeitsplatz und zum Autobenzin) dann um die Sicherheit (Gesundheit Schutz vor Kriminalität und Terror) dann um das Zugehörigkeitsgefühl (dein Land dein Staat deine Nation) und schließlich um den Sinn (was unser großartiges Land mit seiner großartigen Kultur in unserer großartigen Zeit mit unserem großartigen Leben anfange) alle Bürger eines jeden Landes (Demokratie Diktatur vergesst diese Etiketten) seien Teil des Leviathans ihres je eigenen Riesen und das Ziel dieser ohnmächtigen Teile die in den Riesenfiguren gefangen versorgt und entsorgt würden sei es die unvermeidbaren Kämpfe der Leviathane

bei maximalem Gewinn für die eigene Person

zu überleben

wenn wir also Kuwait heimholten dann würde uns wenig passieren und wir würden nur reicher (dachten wir)

und wenn wir den Irak bombardieren dann passiert uns zuhause auch nicht viel aber das Benzin bleibt billig denken nun die Amerikaner sagt Madschid und ist damit unversehens auf dem Boden gelandet den wir uns gerade unter den Füßen wegtrinken in der Hoffnung dass keine Schlingen um unseren Hälsen liegen der gitarrenartige volle absinthgrüne Körper einer

Frau in Öl

verfolgt mich noch draußen in den Gässchen von Betawiyn und ich versuche Ali zur Saadun-Straße zurückzubringen damit er sich ein Taxi nehmen kann wohingegen er darauf besteht mich (in meinem Zustand) zunächst zu Fuß bis nachhause zu begleiten mich unterhakt während ich ihn doch schon zu stützen versuche und so sehen wir wohl aus wie zwei alte Tanzbären die aus rätselhaften Gründen mit den Rücken oder Schultern die Kalkschichten der alten Hausfassaden abbürsten schließlich gehen wir wieder halbwegs gerade und kommen auf das Leben im Allgemeinen und die Frauen (die Anästhesistinnen des Daseins) im Besonderen zu sprechen als sich links ein Blick hinunter bis zur Abu Nuwas und zum Tigris auftut gestatte ich mir

zu verharren und ich erkläre dass ich hier stehenbleiben und warten würde bis die Bomben gefallen seien und bis Harun ar-Raschid zurückkäme dessen Leibarzt ich zu werden gedenke und schließlich

gerate ich in eine solche

Verklärung

oder werde von einer solchen Sehnsucht und einem solchen Verlangen nach Farida ergriffen (die fünf Fußminuten entfernt in unserem Bett schläft) dass ich eines meiner alten Gedichte zitiere und Ali schließlich doch in ein Taxi flieht — aber was soll man im nüchternen Zustand schon sagen

Nüchterne Leute

Die nüchternen Leute machen mir Angst.

Sie hören auf zu trinken und beginnen das Morden.

Ihr Rausch kommt aus heiligen Schriften,

ohne Widerspruch.

Je weniger sie heucheln,

desto schrecklicher ihre Lüge.

Der nüchterne Magen kennt nur

Säure und Blut.

Martin

Goethes Hauptwerke I (Konzentration auf den Text bringe sie erst einmal dazu zu lesen worüber sie lesen)

liest du denn

keine Zeitungen wenigstens die von gestern

sagt Luisa am Telefon

Traces of Terror — News analysis of President Bush’s decision to seek approval of Congress before taking military action against Iraq

nein Schröder sagt Luisa sie meint den

DEUTSCHEN KANZLER

der im Interview erklärt dass die US-Administration mit einem Krieg gegen den Irak einen schrecklichen Fehler begehen würde er selbst sei auch dann gegen den Krieg wenn der UN-Sicherheitsrat einem militärischen Eingreifen zustimme

er hat recht und er will die Wahl gewinnen das versteht Bush sicherlich auf längere Sicht sagt Luisa

ich lese täglich die Zeitungen ich lese eine Stunde am Morgen ich sehe jeden Tag eine Stunde Fernsehnachrichten ich treibe mit aufgeschlitztem Kopf auf den

vollen Kanälen ich

treibe

in den so genannten Ereignissen (die die Kinder anderer Menschen an anderen Orten töten) ich sah

Blackhawks über dem Hindukusch

ich sah den Ring israelischer Panzer vor dem erbärmlichen Hauptquartier des

PALÄSTINENSERFÜHRERS

an Weihnachten hatte man einen Christbaum über dem

STAPEL

aufgezogen wie es die Bauarbeiter nur noch nannten und ich traf mich dort mit Seymour was ist

die Frage was verstehe ich wirklich wenn ich täglich alles neu erklärt bekomme als wäre ich ohne Erinnerung an jedem Morgen erwacht

Luisa (am Telefon): sie will am Sonntag für zwei Tage zu mir kommen falls ich sie darum bitte ich muss ganz klare ausgesprochene Fragen beantworten werde ich noch ein weiteres Jahr in Manhattan verbringen werde ich das Apartment behalten werde ich tatsächlich in der Lage sein die Vorlesung an der Columbia zu halten werde ich

auf etwas zutreiben oder nur immer weiter von allem weg

komm bitte

das kann ich Luisa immerhin sagen (nach einem Jahr) denn weder meine Trauer noch die Energie mit der ich mir die

entscheidenden (was entscheiden sie)

Fragen stelle werden dadurch vermindert dass ich versuche meine späte Liebe zu retten oder doch und wäre es schlimm wenn ich gegen diese Stimmung ankäme

es ist wie eine Eintrübung ein Stumpf-Werden eine Ermüdung die schon einsetzte als ich Goethes Frauen das Wort zu geben versuchte und zu Marianne und damit zum West-östlichen-Divan gelangte nur ist jetzt alles noch grundiert mit Hass mit ohnmächtiger Trauer ich fürchte dass mich der Orient nie wirklich interessieren wird ja dass ich ihn nur noch verabscheuen könnte nur noch das Öl sehe das Blut die Irren die Bomben legen und Flugzeuge zu Bomben machen

aber man hat kein Recht auf Hass es gibt kein Recht es ist nur

so leicht so natürlich so widerlich

menschlich

mache eine Milliarde Muslime für einige hundert Wahnsinnige verantwortlich ich habe es nicht vor und ich kann doch nicht verhindern ganze Länder zu verachten wegen ihrer Rückständigkeit ihrer Aggressivität ihrer wirtschaftlichen Erbärmlichkeit ihrer Unfähigkeit für die Gesundheit die Bildung und den Wohlstand ihrer Bewohner ausreichend zu sorgen

tagelang

dann wieder die Angst der Überdruss die Müdigkeit

das drückend schlechte Gewissen der Ölfresser-Nationen (gehe nur hinunter auf die Amsterdam Avenue zum Broadway hinüber oder zum Riverside Drive die Nacht dröhnt alles hupt stößt aneinander und vergiftet sich die Luft beschimpft sich verletzt sich oder tötet sich gar mit dem verdammten stinkenden Blech)

die alte arabische Kultur interessierte mich wenig als ich anfing über Goethe und Marianne zu lesen nur die Architektur und die rätselhafte Schrift die ich schon immer hatte entziffern wollen und einige Gedichte vielleicht oder die Märchen aus Tausendundeiner Nacht die Sabrina so gerne las