Fliegenden Menschen
den wiederum Meister Ibn Sina (euer Avicenna) erfand um uns Normalgeistigen eine Vorstellung davon zu geben wie wenig das Bewusstsein benötigt um zu entstehen wir sollten nur einmal auf Arme Beine Ohren Nase Augen Mund verzichten und uns für einen Moment in der freien Luft aufgehängt denken (ohne Strick und Faden versteht sich)
dort spürten wir uns nähmen uns wahr dächten uns uns
aber mit was?
eben der Seele glaubte Ibn Sina bewiesen zu haben
bei der Rückkehr zu sich fühlt man sich als dies und jenes und ich begrüße mich mit einer erstaunlichen fliegenden Erektion die sich wohl einer Erinnerung an ein noch erstaunlicheres Geschehen mit einer nach Jasminblüten und Moschus duftenden zärtlichen Madame verdankt also haben wir schon Zeit Gedächtnis und Frau was will man mehr ich glaube mit ihr bin ich seit Jahrtausenden verheiratet und wir besitzen Heerscharen von Nachkommen aber wo nur wo
da fallen mir die gläsernen Pyramiden ein
und ich sehe brennende Mullahs darüber hinwegschreiten
Madschid du verrückter Hund hat dir Ali nicht prophezeit dass dich die Schiiten hängen werden sobald die Amerikaner sie an die Macht gebracht haben wo war ich
fliegen geblieben
ach die Mullahs und Muslime aber was kann ich dir mein Freund über die Gläubigen sagen ich war vor vierzig Jahren das letzte Mal in einer Moschee schließlich bin ich Pariser nein
ARABER
ein Araber in Paris mein Freund da habe ich sie dargestellt
die exotische Furchtgestalt
vor kaum noch fassbaren fünfundzwanzig und dreißig Jahren wiederum hängend und halb im Schlaf um fünf Uhr morgens an Halteschlaufen die von der Decke baumelten auf dem Weg zur Frühschicht in der Salpêtrière im Nachtbus schon hinwegdämmernd nach vierundzwanzig Stunden Dienst ausgelaugt aber frisch geduscht und zu gut angezogen um als Teppichknüpfer oder Drogendealer Eindruck zu schinden die Kamele traben durchs leere Viertel hinter meinen Augenlidern Hirtenhunde kläffen neben der ausgeglühten Feuerstelle ich stolpere hinaus aus dem virtuellen Zelt über kalte Hammelknochen in die wunderbare Einöde aus silbrigem Sand und meerblauem Himmel zwischen übellaunig raschelnden Skorpionen und störrischen Schafsböcken hindurch (Votre billet si vous plaît!) und plötzlich dröhnt SEINE STIMME herab
und überschüttet mich mit der
nicht enden wollenden keinen Widerspruch duldenden unerschöpflichen unnachgiebigen eifersüchtigen drohenden dröhnenden zornigen rechthaberischen lockenden verfluchenden listigen herrischen endgültigen imperialen ewigen
REDE
die ganze Nacht hindurch (ich halte mich weiter an zwei Plastikschlaufen fest)
und noch eine Nacht
und weitere 999 Nächte das unerbittliche Rufen der großen Stimme das Universum ist Text der Kosmos Worte mein Hirn mein Blut nur noch flüssige Schrift in meiner Sprache die SEINE Sprache ist (ich begrüße einen unglaublich frischen unglaublich schüchternen unglaublich vierundzwanzigjährigen Ali der an der Haltestelle der Kinderklinik zusteigt und man dreht sich halb ärgerlich halb verschlafen zu uns die in der Kehle von Gottes Konsonanten Gewürgten
sabahu l-hayr kayfa l-hal ana tayyib al-hamdu li-llah
meiner dämmernden morgenblauen Innen-Atmosphäre erscheint
der schwarze Stein der Stanley-Kubrick-Obelisk
umritten von schwarzen Berbern
hier wohnte Abraham hier wohnte Mohammed wenn du
die Wurzel suchst stehst du immer noch in einer alten Wüstenstadt in der Hitze der Trockenheit der salzigen harten Luft der grellen Sonne zwischen den Kamelherden vor den reichen abweisenden Stadthäusern auf dem Suk zwischen den Kaufleuten Händlern Predigern Sklaven noch 1400 Jahre später (in denen wir weiterhin die REDE zitieren wie sie aus dem Himmel herabklang und aufgeschrieben wurde mit aller Genauigkeit und ungeheuerlichem Respekt auch für die Worte die erst in anderen Welten und anderen ungeheuerlichen Zeiten verständlich sein werden) treffen sich hier Zehntausende von Pilger-Pelikanen die sich um den Stein lagern auftürmen in riesigen Fächern den Kurven und Tribünen eines enormen Stadions vergleichbar ihre von Lautsprechertürmen ferngesteuerten sich rhythmisch im Flutlicht im Anbranden der REDE beugenden Körper herbeigekarrt in überfüllten Bussen aus dem Himmel gekippt von der perfekt gemanagten Haddsch-Flottilie der Saudi-Airlines
von hier aus breitete es sich aus
das Feuer der jüngsten Religion der Welt mit Krieg und Blut und Eifer (nichts Neues unter der Sonne) alles ist (schon damals) von Streit und Kampf und Macht gezeichnet der Feuerball der schier augenblicklich Staat und Macht und Organisation wurde die Religion die aufbrach um wie Alexander die alten Reiche hinwegzufegen oder wie das Christentum das Imperium Romanum zu zerbrechen sich auszudehnen im Dschihad über den gesamten fruchtbaren Halbmond bis nach Babylon und Basra über das persische Hochland das westliche Ägypten Tunesien und selbst Spanien hin
als neue IDEE eindeutig aber tolerant
klar und deutlich
kannst du dir die Frage stellen was
DU (persönlich) damit anfängst
bist du Franzose weil eine deiner Jungfrauen die Engländer schlug weil du die Guillotine erfunden hast weil du Europa überranntest mit der Blutwalze liberté-egalité-fraternité weil du in Ägypten gelandet bist um die Steine der Pyramiden zu zählen weil dir Jean-Paul Sartre erklärte (ich sah ihn Flugblätter verteilen auf den Champs-Élysées ein kleiner dicker alter Mann vor der gläsernen Sphinx seiner Werke) dass du frei sein musst bis das Leben dich aus sich herauswirft (wohin))
und endlich Cordoba Kairo Damaskus und
mein Bagdad
die neue Stadt die runde Stadt von al-Mansur und Harun ar-Raschid das Kalifat und der Palast hier mein Freund hätten wir Störche sein sollen Nietzsche und Heidegger mit dem Frosch Hitler im Schnabel schließlich bist du ein echter Deutscher mein Freund mit echten deutschen vielmals aus dem Französischen kommenden Märchen hoch über den Kuppeln spien sie den Frosch aus damit ihn einige unserer Offiziere finden konnten und schon durften sie zum Reichsparteitag nach Nürnberg fahren
stell dir diese Störche vor und mehr als tausend Jahre ohne Erlösungswort (Ali kennt es er behauptet es hieße AMERIKA in der Sprache Kafkas)
halten wir uns fest an der Zeit der ersten Paläste als man in Bagdad noch unvergleichlich ruhig schlief selbst die Juden die hier ihren großen Talmud schrieben und ihre wichtigsten Akademien hatten
als Rom schon längst erloschen war und Europa noch lange nicht leuchtete (unser Lieblingsrestaurant Farida hinter der Place de la Bastille)
ergehen wir uns noch einmal
im Palast mit seinen Wasserbecken Lusthäusern verzweigten Gärten Kuppeln Springbrunnen stillen Gemächern prachtvollen Hallen verborgenen Schatzkammern weißen Elefanten und Haremsdamen nubischen Sklaven türkischen Wächtern springenden Eunuchen (wählt das richtige Leben den Körper in den ihr hineingeworfen werdet) silbernen und goldenen Vögeln auf einem im Wind sich drehenden und klingenden Wunderbaum
Dichter Ärzte Schriftgelehrte
als die syrischen Christen die Werke der Griechen ins Arabische übertrugen die indischen Mathematiker uns ihre Zahlen liehen und wir den Persern die Tanzformen unserer Gedichte schworen meine Kollegen den hippokratischen Eid in seinem vollen antiken Wortlaut