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die helle Neubauwohnung hätten wir auch nicht halten können wenn Tarik wie so viele Ärzte Wissenschaftler Dichter Professoren seine Bücher und die unseres Urgroßvaters verkauft hätte

auf einer alten Decke auf der Erde wie ein fliegender Händler

fliege

weiter mein wirrer kluger kleiner Bruder Sami auf dem gebrauchten Computer den Jasmin beisteuern durfte (sonst nichts außer Bücher und Videokassetten für mich) er klappert auf der Tastatur pfeift er träumt vom Studium in Amerika und den Girls dort er fiele tot auf den Rücken sähe er ein Mädchen wie dich Schwester woanders als auf einem Bildschirm

im Bad

wasche ich mir das Gesicht streiche mit nassen Händen über mein Haar wasche die Arme bis zu den Ellbogen die Füße bis zu den Knöcheln ich spreche die Fatiha ich kehre in mein Zimmer zurück sinke zu Boden auf meinen schmalen hellblauen Teppich atme den Wachsgeruch der Dielen ein es hilft manchmal noch manchmal gelingt es mir noch ohne jeden Zwischengedanken zu beten und ich spreche den Thronvers weil ich etwas Großartiges und Beruhigendes möchte etwas das alles auch die Wunde meiner Schwester

(in ihrem Kopf das was sie verändert hat)

verschließt und den Himmel über Bagdad wieder öffnet während wir nur weiter leben und träumen und schlafen

Gott schläft niemals

Schwester für dich ist es noch die Nacht des ersten Tages die Schattenlinie wandert langsam über das zarte Blau und Weiß der Erdkugel es gibt Paris es gibt New York es gibt Bombay und Peking mein Vater Tarik brachte Sami eine CD von einem dankbaren Patienten auf der man sich Städte in Postkartenmotiven ansehen kann vom Boden aus als wäre man dort auf den Straßen ich betrachte das viel lieber als den Flight Simulator über die Schulter meines Bruders der sonst eigentlich geweckt werden muss

von Tarik der morgens zumeist als Erster in der Küche sitzt Tee trinkt und liest oder gar Gedichte schreibt bevor er zur Arbeit geht als könnte er mit Versen heilen

dein Gesicht sagte er einmal zu mir

macht mich gesund

wir frühstücken Farida besteht darauf dass Sami etwas isst wir gehen zu dritt aus dem Haus die Männer unserer Familie mit keinem rede ich über Jasmin aus Furcht sie fänden nichts dabei oder glaubten umgekehrt den (einflussreichen und gefährlichen) Major angreifen zu müssen was für ein Unsinn was denke ich noch ist die Luft halbwegs angenehm in drei Stunden wird es über 40 Grad heiß sein eine verstaubte Palme raschelt im Wind neben einem Telefonmast von dem zerrissene Kabel hängen der Getränkeverkäufer (SevenUp Mirinda Orangen- und Granatapfelsaft) verscheucht einen zerlumpten Jungen von seiner Auslage ich ziehe mein Kopftuch zurecht hebe die Füße über die inmitten der Gasse laufende Abwasserrinne ich brauche nur zehn Minuten nach Norden zu gehen um zur Schule zu kommen an der Nidhal-Straße trenne ich mich von Tarik und Sami seit wir in Betawiyn leben mit seinen verschachtelten alten lehm- und ockerfarbenen Häusern mit den zu Sitzbänken hochgezogenen Türschwellen den engen Gassen dem ineinander verkeilten Leben sind wir tiefer und vollständiger wie neu

eingeboren

in Bagdad

damals aber waren wir modern und hatten ein hohes Einkommen wir gingen in einen Club ich trug einen kurzen weißen Rock brauste auf meinem roten Fahrrad durchs Viertel ich sollte Tennis lernen und wir fuhren mit dem Taxi auf einer glatten endlos langen Piste durch die Wüste zum Flughafen nach Amman und so

kam ich nach Paris mit elf ins Ausland ein

einziges Mal

Martin

Die University Lodge eine Art Garagenmotel auf einem Grashügel Triangle Street die orangefarbene abwehrende Hand der Fußgängerampel ist hier ernst zu nehmen falls es dir dein Leben noch ist aber hier fehlt nur der Überblick über drei seltsam zusammenlaufende Straßen danach geht alles

glatt und gefahrlos zwischen flachen weißen und backsteinroten Shops Cafés Restaurants die Blue Sky Gallery The Toy Box ein Buchladen ein Plattenladen St. Brigid’s Catholic Church mit dem frei stehenden Glockenturm gegenüber dem Unitarian Meetinghouse

morgens um acht

ist es noch still die Busse die schnaubend und unermüdlich die fünf Colleges und die Schlafstätten der Studenten miteinander verbinden sind noch fast leer

man grüßt mich vor der Feuerwehrstation

noch

bin ich nur der nicht mehr unfröhlich geschiedene UMass-Professor Anfang fünfzig und einigermaßen gut erhalten (wiederhergestellt) und wieder

ahnungslos

auf dem letzten Lauf für mehr als ein Jahr

es ist das Alleinsein mit meinen Gedanken meinem Atem dem rhythmisch pulsierenden Kaleidoskop meines Lebens in der Erinnerung das mir das Laufen so wertvoll macht die letzten unbeschwerten unverblümten Gedanken an die glatten Brustwarzen wie große kastanienfarbene Spielzeughütchen an die Kollegin vom Hampshire College (das rauchblaue Haus in der Spring Street) an der üblicherweise belebten aber ebenfalls noch schlafenden wichtigsten Kreuzung des Orts sehe ich stets (mechanisch eigentlich) nach links in die Main Street hinein zu dem Ensemble aus backsteinroter City Hall und granitgrauer Episkopalischer Kirche das mich mit seinen Steinbögen und Burgzinnen an die Modelleisenbahnlandschaften meiner Kindheit erinnert wohingegen die

Jones Library

mit ihrem wundervoll altmodischen Hitchcock-Film-tauglichen Interieur zu so vielen Erlebnissen in Sabrinas frühem Schulalter zurückführt und ich jedes Mal wenn ich das dahinter liegende kleine historische Museum sehe das ich nie betrat (aufwändig gearbeitete Quilts vermutlich und mit Schnitzereien versehene Walfischzähne alte Wetterfahnen in Indianer- und Adlergestalt Heckbretter Spinnräder Flinten Bärenfallen und sorgsam bemalte Gallionsfiguren die unentwegt in die blassen Meere des Vergessens hinter den staubigen Museumsfenstern tauchen in denen wir achtlos vorbeischwimmen) eine einzige Szene vor mir habe gestochen scharf in

glücklicher Panik

als Amanda elf Tage über dem errechneten Termin

eben hier

wankte und zu Boden ging sich auf den Rasenstreifen setzte bis ein freundlicher dicker junger Bankangestellter von gegenüber um die Ecke lief und mit einem Rettungswagen zurückkehrte

vor neunzehn Jahren

kam hier (nur einen Hügel weiter die Klinik hinter den noch sommergrünen Ahornbäumen und Kastanien) Sabrina zur Welt auf Amandas Bauch ihrer

Mayflower

zitternd hob sie das feuchte Köpfchen und suchte unseren Blick mit einem schwarzen magischen unbedingten Ans-Land-Gehen-Wollen und in diesen Minuten vollkommener

Dreieinigkeit

bin ich ebenfalls von Bord gegangen und angekommen zwischen den Green Mountains und den White Mountains den Kühen von Vermont und den Buckelwalen von Nantucket südlich von HISTORIC Deerfield und malerischem Springfield im eifrig Studenten hätschelnden und quälenden Südende von Pioneer Valley hier in dieser Universitätsstadt in deren Zentrum es ab vier Uhr nachmittags so aussieht als würde man sämtlichen Bewohnern das wirksamste Elixier ewiger Jugend über die Trinkwasserversorgung einflößen abgesehen nur von einigen Alibi-Erwachsenen im besseren Alter und seltsam gefälscht wirkenden Kleinkindern hier kam ich an

wenigstens mit allem was ich liebte und meinem besseren erwachsenen Leben zurechnen konnte meiner Vernunft und der Faszination daran dass ich mit Sabrina nun

endgültig

zur Hälfte in Amerika beheimatet war

zu zwei Dritteln vielmehr denn Amanda war damals noch lebendiges Zuhause ihr sehniger Hals der Schweiß zwischen ihren Schlüsselbeinansätzen ihr selbst nach vierstündigen Wehen noch glattes kühl wirkendes silberblondes Haar das frische helle Meer in ihren Augen eine morgendliche See schon immer hatte sie diese maritime Ausstrahlung für mich du denkst unwillkürlich an einen klaren Tag an trockene Salzkristalle frischen Bootslack gewachste Seile poliertes Teakholz gescheuertes Messing weiße Segeltuchschuhe an die Klarheit und Energie einer Küstenregion wie an den Stränden von Cape Cod oder