esistfalschdieGeschichtealsLeere
oderetwasvordemIslamdessenman
sichschämenmüssteanzusehen
auch in meiner mündlichen Einleitung vollständig
(esistnotwendigdassunsereAnalyse
historischerEreignisseganzaufder
LinieunsererbaathistischenSichtbeim
AufbauderarabischenNationliegt)
wiederzugeben
und so erhalte ich von unserem Geschichtslehrer die Bestnote mit einem kleinen Punktabzug
Bravo! wirklich fast
wie meine Mutter versichert mir Huda in der Pause du kannst vielleicht auch einmal in einem leergeräumten Nationalmuseum die Leute herumführen entschuldige
und erzähl uns was über i-h-n! unterbricht sie Eren wir wollen es genau wissen
ja ist er jetzt ein richtiger Mann oder was? Hudas indische Augen leuchten spöttisch sie hat mehrmals diesen Witz erzählt in dem eine Frau die man darauf aufmerksam machte dass sie im Begriff sei die Herrentoilette zu betreten verwundert fragte ob denn etwa Osama bin Laden darin wäre denn das sei ja der einzige richtige Mann in den arabischen Ländern
keine von uns hat eine Ahnung
von richtigen oder falschen Männern ich denke vielleicht liegen sie über uns wie der babylonische Löwe über dem gestürzten Opfer vielleicht
bin auch ich einmal
die Löwin über Dir im Museumsarchiv zeigte mir Huda eines Nachmittags die Bronzeplaketten aus Babylon in denen kräftige Männer füllige Frauen auf ihren Stacheln emporheben
Ischtar als geflügelte
Königin der Nacht
steht mit den Klauen eines Adlers auf dem Rücken eines Löwen flankiert von großen Eulen die Hände erhoben mit Ring und Stab den Insignien der Macht Fruchtbarkeit und Liebe sie trägt sonst nichts als ihren Schmuck und ihr nackter Körper
(die runden Schultern die festen Arme und Beine die trotz des weichen Bauchs sehr schmale Taille die vollen Brüste mit großen Warzen selbst der hoch sitzende Nabel und der genaue Linienschwung der Hautfalten zwischen Leisten und Scham)
gehört mir
die Fotografie schenkte mir Hudas Mutter Schiruk als hätte sie mich so gesehen und in Stein gebannt die Keramik (49,5 x 37 cm) steht im British Museum
also bin ich schon dort in London (Geliebter) als wir (vor sechs langen Wochen) Babylon verließen um Uruk zu besichtigen verbesserte sich die Laune meines Vaters entschieden vielleicht weil es dort keine Paläste mehr gab kein Mausoleum keine säuberliche Rekonstruktion sondern nur die Schutthalden die stumpfen Hügel und abgeschliffenen Reste die ältesten Mauern des Irak tief in messingfarbener Erde
hier wünscht man sich doch gleich eine Schaufel! rief er und am Abend redeten wir über vieles über das wir uns noch nie unterhalten hatten es war im Garten eines Restaurants wir bekamen einen besonders schönen ruhig gelegenen Tisch unter einem Blätterdach (nachdem Tarik dem Besitzer erklärt hatte was er gegen die Augenentzündung seines ältesten Sohnes unternehmen könne) Farida war von der Küche sehr angetan sie sprachen das erste Mal seit langem wieder einmal davon wie sie sich kennengelernt hatten auf dem Suk as-Saray und von ihrer Zeit in Paris und dann kam das Gespräch auf London und darauf dass sie sich wünschten dass ich Bagdad dass ich den Irak verließe für einige Studienjahre wenigstens es wäre ihnen eine große Erleichterung und es wäre die beste Chance für mich
was blieb mir schon
ich musste sagen: wenn ihr es wünscht
und jetzt denke ich dass es noch lange hin ist bis zum Herbst 2003 noch mehr als ein Jahr
Geliebter Du könntest vielleicht auch kommen vielleicht könnte Dir Dein Onkel auch das Studium in England finanzieren aber natürlich sage ich jetzt (vor unserem ersten Kuss) darüber noch kein Wort Du hast den kleinen Achmed auf dem Schoß und wir hören beide seinem Bodybuilding-Geplapper zu Du gratulierst mir für meine gute Note für das Babylon-Referat es ist wieder ein milder warmer Abend mit einer röteren größeren sandverschleierten Sonne jedoch eines Tages wirst Du
den gleichen Sprung machen
wie Yusuf wenn er meinen Bruder Sami besucht der jetzt in meinem Rücken auftaucht ich sehe wie Du ihn freundlich begrüßt aber dann ändert sich der Ausdruck Deines Gesichts etwas ist nicht in Ordnung
Du musst kommen! sofort! was
redest du immer mit dem! sagt
mein kleiner Bruder ich kann es gar nicht fassen und drehe mich um noch nie sah ich ihn in einem solchen Zustand er ist leichenblass die Lippen sogar seine Hände zittern ich kann Dir nur noch entschuldigend zulächeln dann zieht mich mein Bruder in die Höhe mit grobem Ungeschick was hat er nur was kann so dringend sein
im Wohnzimmer
sitzt mein Vater die Ellbogen auf die Knie gestützt den Kopf zwischen den Händen
krümmt sich meine Mutter auf dem Sofa zusammen als wühle ihr etwas in den Eingeweiden
richtet
sich mein Schwager Kasim auf als wir hereinkommen aber nur langsam es scheint als presse eine unsichtbare Gewalt in diesem Raum alles zu Boden als habe sich die Schwerkraft verdoppelt oder als sei ein unsichtbares bleiernes Medium überall verteilt worden es kann nicht sein denke ich etwas stimmt nicht egal was es ist egal was Kasim nun sagt das hier
darf nicht
geschehen
Martin
Hör auf zu fantasieren
sagt Seymour
er meint: wenn du Afghanistan verstehen willst dann verstehe
die Macht
ihre blutige Schneise durch die
Schattenwälder
der Zeit
sieh auf Kabul und allenfalls noch Kandahar auf das Zentrum denn darum geht es sonst spielen nur einige wenige Zufahrtsstraßen eine Rolle und die wichtigsten Gebirgspässe und Handelsrouten
griechische persische mongolische Eroberer besetzen das Land
und gleiten ab versickern verlieren sich in bitteren Wintern 1842 der Zug der britischen Indus-Armee 16 000 Menschen von denen ein Einziger entkommt Fontane schreibt sein afghanisches Gedicht (die Literatur verneigt sich
vor den Unbekannten)
die Statuen von Bamiyan sagt Seymour ich hatte vergessen wie sie aussahen was wenn sie dort Buddhisten geworden wären?
nun fantasiert er
Buddha verließ Afghanistan auf dem Weg nach China
Mohammed blieb
nur der Islam als kämpferischste störrischste patriarchalischste Religion war imstande die Wurzeln in den kargen felsigen Boden zu treiben eine Religion von Beduinenstämmen für Paschtunenstämme strenge Panzer schwere erdrückende innere Rüstungen Seelenverliese mit starkem Lichteinfall durch eine Maske feinster Löcher vor dem verbannten Gesicht ist nichts als das gestaltlos gleißende absolute Lichtmeer
Allahs oder
die Faust der Männer die
Seele tanzt im Gewebe der Teppiche
konkrete Dinge
sagt Seymour es sind
konkrete Dinge die Zusammenhänge sind politisch
die Länder sage ich sind konkreter als das Politische sie sind die Bühne die immer überlebt die Eisberge die Flüsse die Steppen die riesigen Ebenen die schier unumstößliche Permanenz der Landschaft das Zerrissene Fraktale die Wüsten das ist konkret und die Sedimentierungen Verkrustungen die Narben und Weihen der Tradition ich will wissen weshalb der Tod ausgerechnet von dort gekommen ist und nicht von woanders her
sie hatten zu viel davon
sagt Seymour sie mussten exportieren
1,6 Millionen am Ende der sowjetischen Invasion
er hat die Bemerkung leichthin gemacht aber jetzt erschrecken wir beide über das Ausmaß des damaligen Krieges weil wir eine andere Beziehung zu den Opfern gewonnen haben und am eigenen Leib (an den Leibern derer die wir liebten) etwas über die Unvorstellbarkeit lernten 3000 Menschen in den Türmen und doch immer nur die (fast schmerzfreie) Hypnose durch diese strahlenden Hollywood-Bilder diese Komposition aus blauer Luft grauem Stahl zerspritzendem Beton krachenden Stahlträgern morgenrotfarbenen Feuerbällen und der kurzen Tonspur der immergleichen Entsetzensschreie einiger Passanten