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war es das mit fünfundsechzig Jahren

am Telefon

will Luisa wissen ob sie mir morgen nicht doch das Manuskript über Goethes Frauen mitbringen solle das schon ein Jahr auf meinem Schreibtisch in Amherst liege

nein du

reichst mir sage ich und bin darüber fast ebenso erstaunt wie sie etwas in dieser Art habe ich lange nicht mehr gesagt woher könnte ich auch das Recht nehmen und einige Zeit nachdem sie aufgelegt hat bin ich doch froh darum

Luisa sagte einmal anscheinend reiche sie mir als Christiane womöglich weil sie das Haus versorge und in Amherst alles für mich regele ein Jahr war ich nicht mehr dort

es gibt Unternehmen

die ein Haus komplett leerräumen verpacken säuberlich die gesamten Eingeweide in Container deponieren das ist so tröstlich wie die Existenz von Gehirnchirurgen oder Leichenwäschern (Kindergärten Laboratorien zur Blutuntersuchung) oder Krematorien irdische

Krematorien

ich muss Goethes Frauen

begraben

gerade weil es Erzählungen (Fiction) oder schier Erzählungen waren sie sind nicht gut genug ich hatte natürlich Dinge wie Thomas Manns Lotte in Weimar im Kopf und mühte mich arg (doch noch ein Schriftsteller zu werden)

zu arg

ich denke nur

du solltest vor einer Tafel stehen

sagte Amanda Lehrer werden ich glaube das ist das Beste für dich sie sagte es ganz natürlich ganz überzeugt ohne Nachdruck während eines Abendessens bei Kerzenschein so bestimmt und einfach dass ich nicht umhin konnte zu glauben

die Wahrheit

spräche aus ihr

war Goethe ein Muslim?

werden mich die Studenten das fragen es könnte sein er war Dichter und somit

alles Mögliche

das islamisch-orientalische Spiel hat ihn nicht mehr beschäftigt als vieles andere ich werde eine Unterrichtseinheit aufbauen vom Mahomet-Fragment des 23-Jährigen über die unfreiwillige Übersetzung und Inszenierung des gleichnamigen Voltaire-Stückes für seinen Landesfürsten bis zum großartigen Alterswerk des Divan werde ich es?

die Unruhe vor Luisas Ankunft

am späten Nachmittag (mein Lebensalter) habe ich das Apartment so penibel aufgeräumt dass es mir mit Ausnahme des Schreibtischs vorkommt wie eine einzige Bügelfalte und eigentlich war es ja auch vor meiner Ankunft so

dass ich mich wegdenken konnte

von hier und von dem bald völlig kahlgeräumten Haus in Amherst

eine unerträgliche Kälte liegt aber in der Vorstellung des Beseitigt-Seins es ist wie bei diesem feierlichen Abtransport der letzten Trümmer am Ground Zero im April die tödliche Würde Friedhofswürde der freigelegten säuberlich desinfizierten riesigen Wunde in der die Soldaten herumstolzierten mit ihren akkurat geplätteten Stars-and-Stripes-Heftpflastern hilflos und verrückt erscheinende Rituale angesichts der ungeheuerlichen Verbrennung

aber

was soll man tun sagte Seymour an jenem Apriltag gerade aus der Klinik entlassen mit schwerem Atem sich auf mich und seinen Sohn stützend als wir ein hölzernes Aussichtspodest erklommen

ich kann nicht

nicht leben

solange ich atme es geht gar nicht darum

mir etwas zu verzeihen auch nicht die fiebrige Ungeduld die mich bei der Vorstellung von Luisas Ankunft packt wir haben uns sechs oder sieben Mal im vergangenen Jahr gesehen die ersten Male wohnte sie bei einer Freundin dann nahmen wir uns teure Hotelzimmer die uns mit ihrem groß geblümten Komfort und ihrer Cadillac-artigen Geräumigkeit elend machten und geschlechtslos zusammenkauern ließen als hätten wir unter einer Brücke nächtigen müssen

das letzte Mal (Anfang August)

schlief Luisa schon hier und ich starrte ihren Körper an wie einen weißen undurchdringlichen Stein die atmende lächelnde geduldige Statue des größten Bildhauers der mich verhöhnen wollte mit vollkommener Nähe und absoluter Vergeblichkeit

die Lähmung (denke ich jetzt) muss ich wohl auf die von mir unterlassene Frage zurückführen weshalb

sie noch mit mir zusammen ist was auch immer das bedeuten mag wenn man sich wie ein Paar benimmt aber nicht mehr in den

entscheidenden Dingen (ich weiß, Luisa …)

nachts das

Fernsehen

zunächst nur um meine Nervosität und Ungeduld und Furcht niederzukämpfen sie bringen eine Dokumentation über islamistische Selbstmordattentäter die ich eigentlich nicht mehr sehen möchte aber dann fängt mich

eine Frau eine Engländerin die als

Expertin

durch Untertitel ausgewiesen wird immer wieder erscheint sie zwischen anderen redseligen und schwer erträglich Bescheid wissenden männlichen Kollegen (Historiker Politologen Psychoanalytiker Kulturwissenschaftler Orientalisten Journalisten) die englische Expertin sagt zumeist auch nur Dinge die mir bekannt vorkommen und kaum tiefer gehen als die Analysen der anderen sie spricht von der mangelnden Bildung der politischen Ohnmachtserfahrung der autoritären Erziehung der islamistischen Gehirnwäsche der Suche verwirrter Individuen nach Transzendenz und Erlösung

einmal nennt sie die Mörder

einfach nur

KINDER

ohne damit etwas entschuldigen zu wollen sagt sie aber das ist es nicht was mich an ihr fesselt oder provoziert nicht dieses beinahe mütterliche Verständnis einer brünetten vogelnasigen Vierzigerin in einem regenschirmartig schimmernden grauen Kostüm eine fast unschöne Frau eigentlich mit schmalem Oberkörper und einer jähen Beckenverbreiterung die einige Male von einem offensichtlich von mir gesteuerten Kameramann (interaktives TV) mit unsinnigen Kameraschwenks in Richtung der Sitzfläche ihres rot bezogenen Bürostuhls erfasst wird es

erregt mich

und ich suche ganz verstört einen Grund dafür

bis ich mir (fast auflachend) eingestehen muss dass das schon alles war sie erregte mich einfach (die Kombination weiblicher Intelligenz mit einem unfreiwillig oder habituell jedenfalls ganz beiläufig laszivem Element)

ich finde nichts unpassender als das

in der Nacht vor Luisas Ankunft

gehe ich hinaus um mich zu beruhigen nachts auf der Upper-Westside ich gehe durch die Straßen wie in den erbärmlichsten Tagen meiner Studentenzeit nur ohne Gier und Hoffnung und Zukunft durch die Amsterdam Avenue nach Süden bis zum Broadway dem ich bis zum Times Square folge und oft noch bis zum Madison Square Park es ist ein Hineinstreben in eine immer unruhigere sich verdichtende urbane Zone in unzugängliches zuckendes und blinkendes Leben wenn ich stark übermüdet bin wird es etwas wie

ein Gleiten

in der Menge

auf Licht und Lärm

Manhattan crowds, with their turbulent museal chorus!

Manhattan faces and eyes forever for me.

in der spektralisierten Dunkelheit ist es eine Art Taubwerden und seltsam unempfindliches strahlendes Eingeschlossen-Sein als wäre

die ganze Stadt

ein Lichtspiel der Zukunft

miniaturisiert auf Fingerhutgröße eingefasst in ein

Glasstück

in eines der Prismen das der Geheime Rat Johann Wolfgang von Goethe in seinem Weimarer Garten eines schönen Septembertags im Jahre 1805 gegen die Sonne hebt um seine Farbenlehre zu prüfen

Licht über Licht

soll es im Koran heißen was suchte Goethe im Islam was sage ich den Studenten einige davon vielleicht unter diesen jungen erschöpften aufgekratzten (unnatürlich geröteten) Gesichtern die mir in den mit Neonröhren bepflanzten Riffen entgegentreiben

Gott existiere nicht als Person nicht als einzelne in irgendeinem Sinn menschenähnliche Figur

Gott sei untrennbar von Natur und Kosmos

Gott habe den Lauf der Dinge unfehlbar bestimmt und nichts versetzte uns in die Lage ihn zu ändern oder auch nur annähernd zu ergründen und in diesem Fall also ist