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Gott

der Mörder meiner Tochter

und ich verfluchte ihn rettete mich nicht mein Atheismus davor

der mich alle zwei Wochen in eine der hundertjährigen neugotischen oder halb-byzantinischen New Yorker Kirchen treibt zumeist in die Cathedral of Saint John the Divine (weil sie nahe liegt oder weil ihre pure Größe mir Luft zum Atmen gibt der nicht nutzbare Raum der spirituelle Überfluss die kühle Leere ein nicht sogleich wieder von Bankern Maklern Behörden wütenden Anwohnern skrupellosen Spekulanten profilierungssüchtigen Politikern klientensuchenden Psychiatern umkämpftes sinnloses Volumen über den Gebetsbänken ich wollte

an Ground Zero

nur einen einzigen gläsernen Sarg und so

bin ich

wie alle anderen) und ich bete für Sabrina

zu NICHTS

ohne

Worte denn nur so kann ich glauben dass meine Fürbitte erhört wird dass das Nicht-Ausgesprochene in eine undenkbare Erfüllung gehen wird in der

Nacht liege ich endlich müde und zerschlagen von einem dreistündigen Fußmarsch im Bett in mir vibriert der Nachhall der Stadt aber schon fern es ist als würde ich in einen Abgrund fallen weg von der lärmenden Oberfläche es muss ekstatisch sein dieses endgültige

Loslassen

und Zerteilt-Werden ich denke manchmal dass ich es einfach so schaffen könnte diesen

Übergang

wenn ich nur in der Lage wäre das Loslassen über einen bestimmten Punkt hinauszutreiben aber zumeist kommt nur der Schlaf oder ein plötzlicher Schmerz oder vitaler Impuls und jetzt ist es trotz des Fußmarsches und aller Mühe wieder die englische Expertin die meine verbliebenen Reste männlicher Energie aufstachelt zu einem eher quälerischen

Fragezeichen

sprechen wir doch noch einmal über diese Frauen

(sagt Luisa) am folgenden Nachmittag der plötzlich und endlich da ist sie vom JFK-Airport abzuholen mit der U-Bahn und dem Bus zu fahren war befreiend und fast wie zeitlos nur noch das Beiseiteschieben des Vorhangs Wirklichkeit draußen in Queens die ärmlichen Holzhäuser und verwilderten Spielplätze in fast allen Vorgärten noch Flaggen in meinen U-Bahn-Waggon kam ein riesiger betrunkener fast zahnloser Schwarzer der sich uns gegenübersetzte und mich anredete weil er mich für einen vom Flughafen kommenden Touristen hielt für einen

Russen

nämlich dem er unbedingt erzählen musste dass im World Trade Center ohnehin nur reiche Leute gestorben seien deren Angehörige man mit Geld füttere während für die Armen weiterhin nichts getan werde

Luisas Reisetasche

steht in dem kurzen Flur des Apartments als

hätte sie sich noch nicht entschlossen zu bleiben als hinge es von unserem Gespräch bei einer Tasse Kaffee in der kleinen Küche ab ob sie hier logiere oder von meinen Bemerkungen zu

Goethes Frauen

denn sie habe noch einmal in mein Manuskript geschaut nachdem ich sie am Telefon gebeten hatte es nicht mitzubringen sie begreife dass ich mich noch nicht wieder auf etwas so Persönliches wie die literarischen Porträts dieser Bürgerfrauen aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert einlassen könne es wäre aber bedauerlich Goethes Vita sei eigentlich wie eine Laterne die man in die dunkle verschwiegene Frauenwelt jener Zeit hineinhalte und man habe doch sehen können was für eigensinnige starke duldsame und hingebungsvolle Menschen das gewesen seien noch die bürgerlichsten wie Lotte und Lili mit zwölf beziehungsweise sechs Kindern oder die kühl-frigide Seelenzuchtmeisterin von Stein die erst einmal sieben Nachkommen mit dem herzoglichen Stallmeister in die Welt setzen musste bevor sie wieder zu ihrer Bestimmung als weibliches Porzellan fand

am Ende

sage ich über den kleinen Bistrotisch hinweg dessen rötliche Platte uns voneinander trennt als säßen wir in einem Straßenrestaurant

hat es mich deprimiert wie spurlos diese Frauen verschwunden wären hätten sie nicht in Goethes Romanen oder Gedichten oder Lebensanekdoten ihren Platz gefunden diese Dunkelheit

in der Millionen lebten und Milliarden heute sagte Luisa auch wenn sie sich verzweifelt mit den Blitzlichtern ihrer Digitalkameras beleuchten das waren gute Ansätze nein gelungene Ausführungen von dir

am Ende habe ich nichts Neues zu dieser Flut von Literatur über die Goethe-Lieben beigetragen

aber doch unterbricht mich Luisa ich habe das Vorwort noch einmal gelesen diese Trinitäts-Hypothese war schon griffig also dass es drei Frauen in seinem Leben gab die schwerwiegende literarische Konsequenzen hatten nämlich Lotte Marianne und Ulrike dass wiederum drei Frauen ihn ernstlich liebten eben Christiane Bettine und Marianne und dass er selbst wohl auch nur drei Frauen stärker und aufrichtig liebte nämlich den schönen Grasaffen Lili dann seinen Bettschatz Christiane (achtundzwanzig Jahre lang) und schließlich die elegische Ulrike als siebzehnjähriger Wahnsinn eines Zweiundsiebzigjährigen

zwei davon kommen zweimal vor erkenne ich mit einem unfreiwilligen Aufflackern des Engagements

ach ja sagt Luisa und du siehst: die Ehefrau und die Frau die danach kommt

zwei drei Sekunden lang gibt es über die spiegelnde Tischplatte hinweg auf der unsere Hände berührungslos zwischen dem Kaffeegeschirr liegen die Brücke einer gemeinsamen Spannung und Freude die uns früher direkt ins Bett und ineinander geführt hätte ohne zu schwanken Hupen aufheulende Polizeisirenen noch helles starkes Abendlicht über der Upper West Side orangefarbene Fenster glänzende Dachschrägen Feuerleitern ein raketenförmiger rostfarbener Wasserspeicher auf dem Haus gegenüber beim Blick aus dem siebten Stock wir gehen aus

das ist das Beste sagt Luisa ich lade dich zum Essen ein

im Flur gehen wir an der schwarzen Reisetasche vorüber als gehörte sie jemand anderem der hier zu übernachten beabsichtigt über den wir aber lieber nicht sprechen wollen

beim italienischen Abendessen

verfangen wir uns in einem ungewollten und langwierigen politischen Gespräch (besser als über Sabrina zu reden besser als die Frage aufzuwerfen die ich Luisa doch endlich stellen muss gerade jetzt wo ich nicht umhin kann zu bemerken wie gut sie noch aussieht mit 49 Jahren)

take your time don’t hurry

sagt der junge Kellner um die Leute am Nebentisch darauf aufmerksam zu machen dass sie allmählich zahlen sollten

Luisas letzte schöne Zeit ist doch

jetzt

was hält sie auf denke ich weshalb gibt sie sich mit mir noch ab

sie hat etliche Kilo verloren Yoga und Joggen sagt sie (so fürchterlich leichthin) seien besser als Sex sie sieht aus wie die künstlerische Leiterin einer Flamenco-Gruppe in die man sich anstelle der schönsten Tänzerin verlieben kann weil ihre gelassene Reife und ihre tiefere wärmere Menschlichkeit stärker strahlt ihr inneres Feuer lodert eben gerade auf weil sie an den

PRÄSIDENTEN

denkt

der wie sie sagt seinem Papa beweisen will dass man Saddam nicht nur zurückdrängen sondern auch ganz totschießen kann der das Rachebedürfnis die Ohnmachtsgefühle und die Verzweiflung einiger Millionen mit der eiskalten Ölmachtpolitik seiner berechnenden Freunde zu einer scheinbar urgerechten Sache verknetet einer heroischen demokratisch-christlichen Mission für den Big Lonesome Rider was für eine Scheiße

aber (sage ich)

die Studenten sind deprimiert unterbricht mich Luisa weil sie schon wissen was es heißt wenn Frau Rice meint der Irak sei ein Problem und davon spricht dass man in der Regierung über einen Regime-Wechsel spreche der

KRIEG

ist schon ausgemacht und wir

befinden uns bereits in der üblichen Schmierenkomödie davor sagt sie wütend (auf was ich kann nicht umhin mich schuldig zu fühlen es scheint mir eine Aggression zu sein die George W. Bush womöglich verdient hat die aber doch mich treffen sollte als impotenten traurigen

Anti-Cowboy was soll ich —)