Nichts geschieht mehr in meinen Träumen.
Keine Kriege brechen mehr aus.
Keine Paraden werden an Festtagen mehr abgehalten.
Keine Schiffe kommen mehr an,
und keine Roboter geleiten reumütige Derwische ins Paradies.
Nichts geschieht mehr in meinen Träumen.
Die Straße ist leer wie üblich,
und ich muss zusehen, dass ich nachhause komme,
bevor der Regen fällt.
Sabrina
Wenn sie
ein Gedicht macht
(erarbeitet)
auf den Traumfeldern der Sprache auf denen die Wörter ganz neu zu behandeln sind zu begrüßen wie Unbekannte jedes und noch das Verbrauchteste und Vertrauteste als Neuankömmling der
zu allem fähig ist und
berührt werden will und lange
gewogen
es ist dieser Zustand
in dem du dich so gezielt (zielend) verlierst es ist fast wie ein absichtlicher Ohnmachtsanfall (oder der Beginn eines solchen) oder das Ablegen der Rüstung des Taucheranzugs dickplattiger metallischer Sprachverpanzerung um wieder empfindlich zu werden verletzlich wie
die erste neue Haut
über einer fürchterlichen Verbrennung
schweig!
und besser: richte mit höchster Empfindlichkeit und äußerster Konzentration den Blick aus dem Zimmer durch das Fenster ohne Glas oder die halb geöffnete Tür wie von einem anderen Planeten aus auf die Erde auf die gewöhnlichsten Dinge das Schränkchen ein blauer Rucksack ein Strauß mit Rosen die jungen Obstbäume die Vögel im Sonnenlicht
Liegst Du bei mir, liegst Du bei mir –
die kleinen biederen sauberen Holzhäuschen von Babylon durch das Zugfenster
Eric winkt noch einmal hinter Glas unter Glas meine Hand auf der staubigen Scheibe des Abteilfensters im Wagen der Long Island Rail Road ich habe
mir sonst nie vorgestellt dass
die arabische Prinzessin die ich als Kind erfand um mich aus meiner Einsamkeit zu erlösen indem ich mich selbst beobachtete mit mir sprach und Gedichte schrieb ich weiß gar nicht weshalb ich gerade jetzt wieder auf sie gekommen bin in den ersten Minuten eines glücklichen Verlassenseins vielleicht weil man ohne Zuschauer/Zuhörer weder an das Glück noch an das Unglück voll und ganz glauben kann
Liegst Du bei mir, dann steht die Zeit –
über ein Gedicht nachdenken kann ein Rausch am hellen Tag sein ich will Eric einen anderen und besseren Song-Text geben vielleicht können wir schon morgen im Greyhound-Bus nach einer neuen Melodie suchen was
will ich
drei Tage lang mir nicht diese Frage stellen müssen in diesem Urlaub könnte es klappen
Babylon (a great place to live and raise a family with convenient
train service to
New York City) gleitet vorbei die moralisch entrüstete Mutter des Stadtgründers hatte vielleicht dieses letzte zweistöckige Holzhaus im Blick was die verkommenen Sitten wohl einmal gewesen sein mögen ich sehe die Saloons der mehr oder (zumeist) weniger realistischen Fernseh-Western vor mir Dreck und verkrusteter Schlamm der beim Hochsteigen auf der Holztreppe von den Reitstiefeln fällt die Spur führt bis zum Zimmer der notorischen Kitty die eine Silberschnalle am Strumpfband ihres schwarzen Rüschenkostüms löst (all jene allein mit ihrer Syphilis im Schlamm begrabenen hübschen Mädchen) bei meinem letzten Besuch
in Babylon
war ich verärgert
«säuerlich «sagte meine Cousine Lotta ich kannte das deutsche Wort nicht oder hatte es vergessen wir fuhren mit der S-Bahn auf die Berliner Museumsinsel zu die Hochstrecke zerschnitt die mächtigen alten Kaiserreich-Gebäude regelrecht man fuhr auf Fensterhöhe hindurch dann ging ich mit Martin und Lotta auf die erdrückende Front des Pergamonmuseums zu die links und rechts von den Seitenwänden der anderen Museumsbauten eingeschränkt wurde und dieses Zugemauert-Sein oder drohende Eingeschlossen-Werden von grauen Steinwänden erinnerte mich an Böcklins Toteninsel (die stehende weiß verhüllte Gestalt auf dem Nachen ist so entsetzlich weil sie steht und dir die Frage aufzwingt ob alle Toten so vollkommen verhüllt und heroisch gefasst auf die Insel fahren müssen die kaum Platz für einige Dutzend von ihnen zu bieten scheint)
Hitler
sagte mein Vater
kaufte 1933 das Bild und hängte es in seinem Haus in Berchtesgaden auf
hätte ich besser nichts gesagt dachte ich dann hätte mir niemand ein Hakenkreuz auf den Fels der Toteninsel gesprüht und ich sah nicht dass Martin seine Bemerkung bedauerte
«echt «bedauerte
erklärte mir Lotta meine verständnisvolle blonde herzliche sinnliche oft so» aufgekratzte «deutsche Cousine als wir an der Garderobe des Pergamonmuseums standen es war nicht so arg wie sie glaubte schließlich bin ich es gewohnt dass mein Vater dem Deutschtum immer auf den deutschesten Deutschgrund gehen muss und so war es auch jetzt bald wieder denn anstatt sich in den Anblick des großartigen Altars des Markttors von Milet und der Löwen und Drachen auf den blauen Kacheln der wiedererrichteten babylonischen Prozessionsstraße zu vertiefen blätterte und las er in einer Broschüre die von der Orientexpedition zu Kaiser Wilhelms Zeiten berichtete (dass ausgerechnet die Deutschen die große Rolle Babylons wiederentdeckten und die Fundamente und Ruinen der Stadt in achtzehnjährigen Grabungsarbeiten freigelegt hatten faszinierte ihn erwartungsgemäß)
durch ein Fenster in einer Flurwand der zweiten Etage des Museums konnte ich ihn von oben herab in den Ausstellungsräumen beobachten (die Besucher promenierten auf einem langen Gang oder in einer Folge von hohen schmalen ineinander übergehenden Korridoren) er näherte sich noch einmal dem Ischtar-Tor und folgte dann der Prozessionsstraße bis zu einer Vitrine und Lotta kam langsam von rechts auf ihn zu
sie blieb bei ihm stehen und ich dachte plötzlich
dass sie ebenso gut seine Tochter sein könnte wie ich dass sie
ich sein könnte
und ich verspürte zugleich eine Bedrückung und die Ahnung einer großen Erleichterung in Museen kann mal leicht solche
extraterrestrischen Gefühle
haben es ist die leichte Begehbarkeit von so vielen Epochen und Kulturräumen
dann steht die Zeit
still vor unserem Raum / vor unserem Zimmer –
in einer Außentasche meines Rucksacks finde ich mein Reise-Notizbuch und schreibe und gleite ab in die Erinnerung an mein eigenes hastiges Babylon mit Eric an diesem Vormittag es ist gut es aufzuschieben für einen Tag eine Nacht mit genügend (also beliebig viel) Zeit
wild nights
should be
our luxury
in Los Angeles werden wir die Wohnung eines Freundes von Erics Bruder ganz für uns alleine haben ich kann aber auch zu meinen Großeltern
fliehen
wenn ich möchte ich sollte sie ohnehin in Palo Alto besuchen ich habe Eric von Cynthias Apfelkuchen vorgeschwärmt und möchte auch dass er das Zimmer sieht in dem ich so viele Ferienwochen mit meinen Büchern verbracht habe in einer vergangenen Einsamkeit die mir jedoch genau in dem Moment kostbar und seltsam beschützenswert erscheint in dem ich sie verliere
dabei ist es viel zu früh schon alles mit Eric
auszukurieren (ist es das: die Vergangenheit heilen
mit einem Menschen