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in der Gegenwart)

du kannst dich doch gar nicht so sehr beklagen

Prinzessin

die Jahre die du allein im Bett schliefst allenfalls gequält von einem imaginären König und einer Schwester die dich nicht sehen konnte sind bald vorüber niemand scheint viel darüber nachzudenken aber es ist doch so dass man (als Einzelkind) und als jemand der später dann Partner zu finden versteht die einsamsten Nächte in seinen ersten zwanzig Lebensjahren verbringen muss

weshalb frage ich nicht Martin ob er meine Reise nach Kalifornien unterstützt weshalb habe ich bislang noch nicht einmal angerufen

er würde es einfach nur gutheißen schließlich wollte er auch dass ich in Kalifornien (oder gar in Berlin) studiere

meine Mutter wird mir mehr Widerstand bieten sie kann mir zeigen dass ich mich tatsächlich

entscheiden muss und mir die Tür öffnen hinter der sich gar nichts befindet ich komme nicht weiter

mit dem Gedicht

also vertausche ich das Notizbuch mit dem CD-Player und träume senke die Lider

das Auge ist

Erinnerung

und höre bis der Zug endlich Manhattan erreicht

time is just memory mixed with desire

(singt Tom Waits würde sie das hören)

die arabische Prinzessin im steinernen Herzen von Babylon die große Einfahrt in die Stadt der Türme

hier

zeigte mir Martin einmal das rote Backsteinhaus mit dem schwarzen Akkordeon der Feuerwehrleitern davor in dem sie noch die ersten sieben Monate der Schwangerschaft verbrachten wir stiegen sogar die Treppen hinauf bis zum dritten Stock es gab immer noch keinen Fahrstuhl und ich glaubte fast die Ermüdung Amandas zu spüren die mich hier hochschleppte jedoch war sonst alles renoviert und kaum wiederzuerkennen

bevor Amanda und Seymour die Wohnung in Midtown bezogen bin ich nur zweimal in New York City gewesen und in den letzten vier Jahren habe ich mich bloß daran gewöhnt öfter hier zu sein ohne dass ich mich je heimisch gefühlt oder die Stadt sonderlich gemocht hätte ich lernte aber mich ihr anzupassen wie jetzt eben auch auf dem belebten unterirdischen Bahnsteig der Penn Station oder beim Hinaustreten in den Irrgarten von Straßenschluchten Reklametafel-Verhauen gelben Taxis und eiligen Passanten dessen dröhnende Wirklichkeit mir den kurzen Adrenalinstoß versetzt den es braucht damit ich mich so rasch und gezielt bewege dass mich jeder für eine routinierte Städterin oder Reisende hält

nur als mich Lotta vor zwei Jahren hier besuchte

war ich unverhofft stolz auf Manhattan ich ging mit ihr die Wege zu Fuß die ich sonst auch am liebsten gehe von der Penn Station aus zu Barnes & Noble dann durch die 34. Straße auf das Empire State Building zu (vor dessen Eingang man sich stellen und den Kopf ins Genick kippen lassen sollte um raketenähnlich in drei gewaltigen Stufen und auf sieben Fenster-Straßen zugleich in den Himmel zu fahren Lotta wurde es tatsächlich schwindelig) wir saßen im Bryant Park unter einem Sonnenschirm tranken Milchkaffee und mussten einmal nicht wie es mit Martin unweigerlich der Fall gewesen wäre den Büchertempel der New York Public Library besuchen Lotta zog mich auch viel lieber durch die Boutiquen der Fashion Mile die Pracht-Läden der Fifth Avenue durch nahezu sämtliche Stockwerke von Macy’s

das Paradies!

rief sie (nur mit halber Ironie) ich stelle mir vor wie sie (vielleicht etwas blasser ein wenig durchscheinend oder an der Grenze zu einem überblendungsartigen Transparent-Werden) mit ihren Einkaufstüten lachend durch eine nicht enden wollende Mall schlendert unermüdlich Wochen und Monate und Jahre lang ohne Schlaf ohne Gefahr nichts als seltsames ätherisches himmelblaues Eis verzehrend und ihren Durst an eigenartigen klinischen Softdrinks stillend zuverlässig bedient von

Engeln

von Verkäufern unglaublich adretten fantastisch höflichen jungen Frauen und Männern die herrliche Schuhe Röcke Pullover Schmuckstücke präsentieren ohne je aufdringlich zu werden und wenn du eine versehentliche Bewegung machst die dir ein leichtes Aufprallen oder einen kleinen Stoß gegen ihre Körper zumuten würde dann spürst du nichts als die Nachgiebigkeit eines Vorhangs oder Daunenkissens

nur deine Mutter

könnte dich erreichen mit einem speziellen Klingelton

du kommst nach Manhattan? was hast du mir da auf die Mailbox gesprochen? du bist schon da? du willst verreisen? morgen Nachmittag schon? hör zu ich werde nicht da sein ich bin geschäftlich unterwegs und übernachte in East Hampton das ist praktischer aber ich fahre morgen früh direkt ins Büro wir sehen uns dort so gegen neun wenn du das schaffst dann reden wir geh mit Seymour essen sei nett zu ihm du bist schließlich erwachsen bye

mit dem Anruf erwachst du als wärst du in einem

Sturz

gegen das rahmenlose himmelshohe glasharte Bild der Little Brazil Street geprallt ONE WAY NO STANDING ANY TIME GET DREAMS MILK CHOCOLATE YOUR WORLD GET ORGANIZED MOVIN’ OUT CUT YOUR ein Gewirr von Flächen Masten Verblendungen Autoblech Streifen Fenstern wie Schweißglut dazwischen spritzendes Sonnenlicht die Flucht kann nur in die Höhe führen an den oberen stillen Rand des Canyons unter dem wolkenlosen Himmel

von der Küche aus sieht man ein Hochhaus mit einer dunkel verspiegelten Frontfassade und einer von zehn Stockwerke hohen Werbetafeln verkleideten Seitenwand (HSBC — SAMSUNG — COCA-COLA) hinabstoßen auf Miniaturtaxis Spielzeugbusse Insektenmenschen Zebrastreifen Baustellenauswürfe während der Blick vom Living Room auf eine Gruppe von kompakten düsteren Türmen mit auffallenden gestuften Zwischendächern führt in den Himmel explodierte metallverkleidete Burgen das Empire State Building siehst du schön vom Bett aus King Kong winkt dir jeden Morgen zu

was soll ich

Seymour

sagen der kaum dass ich einen Tee gekocht habe plötzlich vor mir steht und interessiert meinen blauen Rucksack betrachtet den ich gegen einen Küchenschrank gelehnt habe er müsse nur einige Unterlagen holen und hätte nicht viel Zeit ob ich plane für länger zu verreisen

morgen schon? nach Kalifornien? sehr schön erklärt er gibst du mir auch eine Tasse Tee er setzt sich zu mir an den Tisch mit Blick auf einen fünf Meter hohen schwarzhaarigen Schoßhund (die Hongkong-Shanghai-Bank) sein hellblondes sonnengebleichtes Haar und die gebräunte sommersprossige Haut seines Gesichts und seiner kräftigen Unterarme die aus dem akkurat umgeschlagenen blau gestreiften Hemd ragen sagen sehr deutlich dass er ein wunderbares Segelwochenende hinter sich hat nur wird

meine Mutter

heute Nacht nicht bei ihm schlafen

ich weiß nicht ob er es schon weiß also sage ich rasch dass ich jetzt nur kurz da sei um den Rucksack abzustellen das wäre praktisch weil ich Eric (der Junge aus East Hampton dessen Fahrrad Amanda auf dem Gewissen hat) morgen Nachmittag am nahe gelegenen Virgin Megastore treffen möchte und so könne ich ungehindert einige Einkäufe machen bevor ich zu einer Freundin auf die Upper East Side fahre um dort zu übernachten

Amanda sagte du würdest heute hier schlafen –

ich bin erwachsen

das habe ich nicht vergessen deshalb werde ich jetzt so tun als wäre es mir nur um die Planung fürs Abendessen gegangen

tut mir leid sage ich und tatsächlich erscheint er mir jetzt wo ich erfolgreich abgewehrt habe in eines seiner speziellen Restaurants ausgeführt zu werden etwas bedauernswert ich bewundere ihn für die innere Ruhe und Gelassenheit mit der er alles aufnimmt niemals werde ich so entspannt sein können wie er vielleicht ist es die jahrzehntelange Übung im Geschäftsleben die ihm hilft seine Nerven so gut zu kontrollieren dass er mit all den Launen und scharfen Wendungen und plötzlich ausfallenden Nächten meiner Mutter zurechtkommt (hat er Mrs Donally bestochen dass sie heimlich Fotos von Leslie schießt der sich durch die Hagebuttenbüsche seines Sommerhauses drückt was Iris natürlich niemals tun würde und was uns dann auf den eigenartigen und überhaupt nicht verständlichen Umstand bringen könnte dass wir diese unscheinbare und sensationelle Haushälterin beide sehr mögen) sollen wir etwa darüber reden was von ihrer kurzen Ehe noch übriggeblieben ist ich kann die Lebenslust und Gier die Disziplin und Nervenstärke dieser über fünfzigjährigen Menschen nur hilflos anstarren sie kommen mir vor wie Riesen mit der Haut von Elefanten ausgestattet mit einer unerklärlichen Großartigkeit Großspurigkeit vielmehr so als wäre alle Welt für sie gemacht ich