es demütigt und rührt mich
wie sehr er sich freut mich wieder unter seine Fittiche zu bekommen fast fehlte es noch dass sie mich erneut Moschel rufen denn wie damals im Sechstagekrieg boomt das Familiengeschäft anstelle der Radios die mich nach Paris zum Studium schickten haben wir jetzt die Mobiltelefone PC Drucker Scanner Router und so fort die unsere Kamele und Frauen fett machen nur mit dem Unterschied dass dieser Krieg wohl noch sechs Jahre über sein offizielles Ende hinaus andauern wird und dass ich
das gelehrte Nesthäkchen
wieder bei meinem Stamm unterkriechen muss es war genau das was wir aufstrebende Intellektuelle und Akademiker einmal verachteten die Verberberung der modern sein sollenden Gesellschaft und nun geschieht es wieder und wir können nicht umhin uns in die letzten sicheren Netze fallen zu lassen immerhin
treffen heutzutage E-Mails aus aller Welt ein und Hussein der wilde Pariser Maler aus dem ein nicht sehr glücklicher Galerist in Nantes geworden ist bestürmt mich mit Fragen zu unserem weißen blutgesprenkelten Fleck auf der Landkarte über den das Exil seine entsetzten Satelliten und unbemannten Sonden schickt zum Thema Moschel auf das er von alleine kam weil er sich gerne an seine aufwändigen Karikaturen des geplagten Tarik erinnert über dessen Kopf die israelischen Mini-Jagdbomber schwirrten hat er nun noch die Geschichte von Dajans 87-jähriger Witwe beigesteuert die sich seit Jahrzehnten schon aufopfernd um Palästinenser in Israel und in den besetzten Gebieten kümmere
die Guten leben doch länger oder: sich um etwas (die ANDEREN) zu kümmern bringt Langlebigkeit
denke ich gerade und könnte mir vorstellen diesen Spruch als Vademekum an genau die Stelle zu hängen an der das wundersam entmaterialisierte Präsidentenporträt ein helles Rechteck über dem aufgesprengten und von Fußtritten verbeulten Metallschrank hinterließ Sami hätte mit seiner kalligrafischen Fertigkeit den Sinnspruch gestalten können seit Monaten sah ich ihn keinen Schriftzug mehr malen oder ist es seit Achmeds Tod den er miterleben musste ich
habe drei Kriege mit heiler Haut überlebt aber
meine Kinder wurden gebrannt
jetzt werde ich zurückgehen näher an sie heran auch wenn mich dabei die Großfamilie mit ihren Umarmungen und Verwicklungen erstickt an nichts derartig Tribales (mein Stamm hat über 10 000 Mitglieder) dachten wir damals als frischgebackene smarte Jungärzte mit weißen Hemden und Sonnenbrillen vor unseren Fischgrill-Rosten im Club vergiss es
atmen Sie durch machen Sie sich frei Herr Doktor draußen stinken die seit einem Jahr nicht mehr reparierten Abwasserkanäle (schreibt einen blauen Brief an die große amerikanische Firma die eine Milliarde dafür kassiert hat hier bis heute nichts zu tun) wir haben Cholera- und Typhus-Infektionen wie zu den fröhlichsten Embargo-Zeiten aber der neue strahlend weiße Giftmüllverbrennungsofen aus Cambridge, Massachusetts, bläst hinter der Klinik von Zafaraniya seinen Qualm beruhigend wie Marihuana über die Häuser wie ich vorige Woche bei einem Kollegenbesuch zur Kenntnis nehmen konnte
Laila zu entlassen war das Schlimmste denn die Patienten kommen ja alle wieder in der ewig sich gleichenden Form der geschundenen Masse die von einem göttlichen Kittel unsterblich gemacht werden will (gib es zu dass du etliche von ihnen vermissen wirst gerade die Langjährigen die kein Geld mehr hatten und dir Geschenke brachten) als Laila sich vorgestern verabschiedete bot sie noch einmal an auch nach Wasiriya zur Arbeit zu kommen aber ihr dreimal die Woche den Weg durch die Raschid-Straße oder die Khulafa zuzumuten wäre nahezu verbrecherisch wo sind wir hingeraten mein Gott schicke uns etwas herunter wie
den BRIEF den sie mir zum Abschied überreichte ein veritables
Himmelswunder
Sechsundvierzigjährig blass und ausdrucksvoll mit immer noch hoher fester Brust und beschwörenden kajal-umrandeten Augen allein durch die flachrückige Nase (man könnte sie brechen und mit ein paar Spänen vom Beckenknochen aufpolieren und — voilà! wer außer Ali kommt sofort auf einen so patenten Einfall) an den Schönheitswettbewerben ihrer Jugend gehindert so
hätte sie mich zum Abschied beinahe umarmt was aber natürlich ungeheuerlich gewesen wäre und deshalb schwenkte sie einfach versehentlich aus als ich vor dem Karteischrank stand und boxte mit einer Brust gegen meinen Oberarm und schenkte mir
den großartigen BRIEF VON HÖCHSTER STELLE und einen Haremsblick
auf den ich stumm antwortete jedoch nur halb aufrichtig insofern die Verhaltung der Verhaltung möglich ist denn mein Gegenblick besagte wohl allein dass ich immer nur zu müde gewesen sei
während ich hätte sagen müssen: zu müde und nach wie vor zu sehr in meine eigene Frau verliebt als dass ich hätte beginnen können mich mit der Rangfolge der drei anderen zulässigen Eheweiber zu beschäftigen wenn man mich fragte
was für mich der unheimlichste Augenblick des Krieges gewesen sei dann würde ich nicht zögern zu sagen jener Nachmittag im vergangenen April als mich mein schreckensbleicher naiver Bruder Fuad im Haus der Familie empfing um mir mitzuteilen dass
Farida Jasmin mitgenommen hatte um mit ihr
zu Fuß nach Kerbela zu pilgern (drei Tage lang über 100 Kilometer)
augenblicklich nahm ich ein Taxi und steckte fast ebenso augenblicklich in einer Demonstration von Muqtada-as-Sadr-Anhängern fest den der amerikanische Ersatzkönig hierzulande gerade für vogelfrei erklärt hatte so dass sie den Muharram mit Tänzen und dem Winken von selbstgebastelten Sprengstoff-Attrappen feierten (einige davon echt) und Lobpreisungen der USA von sich gaben
wir patrouillierten entlang des Pilgerzugs der sich am Rand der Ausfallstraßen gebildet hatte Kolonnen von Fahnenschwenkern singende Frömmler-Rudel Enthusiastische auf Krücken Barfüßige mit weißen Büßerhemden verzückt tanzende Frauen in Abayas an denen Pickups Humvees Kieslaster Panzer und die üblichen verbeulten staubigen Kamele des kleinen Mannes ohne nennenswerten Abstand vorbeidonnerten
nach zwei Stunden schließlich musste ich dem Taxifahrer meinen letzten Dinar geben und sah mich gezwungen mitzupilgern in der Abendsonne
kurz vor einem Rastplatz zeigten sich einzelne Soldaten der wieder im Aufbau befindlichen irakischen Armee und verteilten Wasserflaschen ich geriet unter eine Mannschaft von Hobby-Flagellanten in schwarzen Kutten mit grünen Stirnbändern die sich rhythmisch die Schulterblätter traktierten mich aber dankenswerterweise verschonten vor Zeltplanen und Jahrmarktsständen drängten sich Dutzende um Brot oder Devotionalien zu erhaschen einige nicht kenntlich verkleidete Wächter mit Kalaschnikows standen umher dann mischten sich auch amerikanische Soldaten unters Volk in voller Kampfmontur mit nach unten gerichteten Gewehren und nach oben hin wackelnden langen Antennen am Tornister und endlich
vor einer Pilger-Feldküche an der die Anwohner der Sitte gemäß kostenlos Reis und Eintopf an die Wandernden ausgaben
traf ich meine schöne magere in eine Abaya gesteckte Tochter die mich ängstlich aber sehr freudig ansah seltsam gelöst auch erschrocken und befreit ich wusste es nicht zu deuten und
Farida
stand hinter ihr mit zwei Blechtellern in der Hand ebenfalls in Schwarz und ebenfalls so
inspiriert
und staubig beseelt oder gelöst es waren wohl mir unzugängliche Nebenwirkungen ihrer Passions-Sportart was
hatte ich sagen wollen? ich reihte mich neben ihr in die Schlange ein erschöpft dankbar wütend was noch und was hatte ich doch gleich sagen wollen
ach ja: bist Du wahnsinnig geworden was fällt Dir ein unsere kranke geschundene Tochter hierher zu bringen und zu einem dreitägigen Fußmarsch zu zwingen hast Du die Fernsehbilder von den Attentaten im März vergessen willst Du in Kerbela ins Paradies vorstoßen oder Dich dort auspeitschen oder Dir mit einem Fleischermesser oder Krummsäbel die Kopfschwarte aufhacken während daneben die Kinder und Passionstouristen ihr Eis lecken