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in Samiras Fall

eine neue Märtyrerin begrüßen oder

wieder einmal erfahren dass eine Familie ins Exil ging weil sie unseren blutigen Himmelskörper nicht mehr aushielt egal wir werden Samiras Platz im Kleinbus rasch neu vergeben müssen sechs Familien zahlen teuer für den halbwegs sicheren täglichen Transport ihrer Töchter zur Universität wir haben zwei junge Fahrer die sich gut benehmen aber heute fehlt leider Ali der Bessere und Ruhigere

er ist wohl auch derjenige der das nagelneue Mobiltelefon bedienen kann denn kurz bevor wir aussteigen müssen drückt der nervöse Naji auf einen Knopf woraufhin es sofort klingelt und Samira am anderen Ende der Funkstrecke mitteilt dass sie ihn schon x-mal versuchte zu erreichen und heute Morgen schon früher habe fahren müssen er sie aber wie gewöhnlich abholen solle

ein guter Anfang für einen heißen Sommertag könnte man sagen

vor dem Haupteingang der Universität Studenten und Studentinnen rasch und zielstrebig nebeneinander her und durcheinander gehend

das Gedränge erschien mir einmal aufregender und vielversprechender als alles andere und in einer freien Stunde allein oder mit einer Kommilitonin auf einer Bank auf dem Campusrasen zu sitzen zu schwätzen oder in den Büchern zu blättern kam mir nach dem Krieg so unwahrscheinlich vor als flöge ich jeden Werktag in ein anderes Land angesichts der aus dem Boden um die Universität schießenden Internet- und Telefonläden den neu gestifteten Computern den immer häufiger in den Taschen und Jacken der Studierenden klingelnden und stolz ans Tageslicht beförderten Mobiltelefonen könnte man sich auch schon fast international fühlen obgleich sich immer mehr Frauen (wie ich selbst) mit Kopftüchern und alles verhüllender Kleidung schützen

als SuSchi

mit der Sehnsucht nach dem künftigen Babylon

fühle ich mich unwohl vor den Plakaten und Aufrufen der schiitischen Studentenorganisationen deren Einfluss immer größer wird ich wollte

als Irakerin

studieren nicht als Gläubige dieser oder jener Sorte (auch wenn ich einen verhinderten Hauza-Studenten liebe) ich wollte mithelfen die Erinnerung an Babylon von der ihr aufgezwungenen baathistischen Schlacke zu befreien bei vielen Lehrbüchern reicht es

wenn Sie einfach die letzten zwanzig Seiten herausreißen

hatte Professor Fahmi empfohlen auf den wir heute gespannt warten müssen er hatte uns auch gezeigt wie man Saddam auf eine ganz exquisite Weise hatte lächerlich machen können (indem man in Magisterarbeiten oder sogar Promotionen lange und unmotivierte Auszüge aus seinen hohlen Reden unter Zitate international gerühmter Gelehrter und wissenschaftlicher Autoritäten mischte) und dass es immer wieder auch hervorragende und von allem ideologischen Ballast verschonte Lehrwerke gegeben habe die wir auch jetzt noch gut verwenden könnten so etwa das Standardwerk über wissenschaftliche Methoden in der Geschichtsforschung und Archäologie das uns dabei helfe

den Irak neu auszugraben

also die Verblendungen abzunehmen die Fälschungen zu widerlegen die Verkitschungen zu beseitigen die Baathismus und Mesopotanismus der Vergangenheit zugefügt hätten die Archäologie und Frühgeschichte könnten sich endlich davon abwenden Tikrit zu untertunneln auf der Suche nach der gewaltigen unterirdischen Pyramide in der Saddams Ur-Ur-Ur-Großvater direkt neben dem verborgenen Imam ruhe und sie würden nun endlich

international konkurrenzfähig und international vernetzt in den Dialog mit der Welt treten auf dem aktuellen Stand der Forschung und dazu gehöre auch

den schändlichen respektlosen desinteressierten Umgang der Besatzungstruppen mit den archäologischen Schätzen unseres Landes anzuprangern die Vandalismus und Plünderei duldeten und auch selbst begangen hätten

die Vergangenheit

rief Professor Fahmi

sei eben kein erstorbener versiegelter Ort sondern Schauplatz einer ständigen Auseinandersetzung Angriffsfläche von Zerstörungs- und Verschüttungsaktionen nicht nur das heutige Babylon müsse beschützt werden vor Grabräubern und achtlos durch Mauern brechenden Panzern

sondern auch die antike Stadt in die

immer wieder Horden aus der Zukunft einfielen um den Turm den Tempel die Bürgerhäuser mit falschen Farben zu bepinseln oder als Werbeflächen zu missbrauchen als Theaterkulissen für absurde und peinliche Inszenierungen zu nutzen und nicht nur die Bauwerke sondern auch die lebendigen wehrlos dem futurischen Griff ausgesetzten Bewohner der Vergangenheit bedürften unseres wachen selbstkritischen Schutzes

verkündete

energisch lächelnd elektrisierend jeden Einzelnen von uns anstachelnd und einladend durch Fleiß und angespannte Intelligenz auf sein bestes Niveau zu kommen Professor Fahmi der

vor dreißig Minuten

eigentlich seine Vorlesung hätte beginnen oder die angekündigte besondere Mitteilung hätte machen sollen ein schmächtiger in weiten hellen zerknautschten Anzügen steckender Mann mit randloser Brille kleinem Schnurrbart und auf der linken Seite gescheiteltem dichten grauen Haar der zunächst etwas linkisch ja fast komisch wirkt Chaplin-artig und vierzig nein siebzig Jahre verspätet nicht nur eine halbe Stunde

sobald er zu sprechen beginnt in ziseliertem sonoren Hocharabisch oder gepflegtem altmodisch klingenden Agatha-Christie-Englisch (er könnte in einem ihrer Krimis auftauchen eine geheimnisvolle orientalische Gelehrtenfigur ein Doppel- oder Dreifach-Agent) lässt er das bloß Äußerliche vollkommen vergessen hebt er uns fort von dem chaotischen lärmenden gefährlich überhitzten Moloch der Stadt sogar die Schüsse die immer mal wieder herüberhallen wie jetzt und uns zusammenzucken lassen

wirken in seiner Gegenwart nur

lästig

wir sind gerade noch achtzehn Studierende in dem halbdunklen Seminarraum zwölf Männer und sechs Frauen ein neuer Ventilator läuft an der Decke mit einem unangenehmen Beigeräusch als würde man immer wieder mit dem Daumen einen Stapel Papier an der Kante auffächern zu Studienbeginn waren wir vierunddreißig selten erfahren wir was der

Abgang

bedeutet ich bemühe mich zwischen der Parfum ausschwitzenden nervösen Fatima und der mageren schwarz verhüllten anscheinend von allem ungerührten Ikbal nicht zu oft zur Tür hin zu schauen neben der Akram in seinen Jeans und dem auberginenfarbenen Hemd sitzt liebte ich nicht Dich so hoffnungslos und so tief verbunden mit meinem eingesperrten traumverlorenen sehnsüchtigen Leben dann würde ich mich öfter und freimütiger mit Akram unterhalten er ist der beste Student der lässigste und selbstsicherste stell dir das Glück vor ein Akademikerpaar mit demselben Fach zu sein zusammen zu studieren zu promovieren und weiter sage ich zu Huda mit der ich nur noch in Fantasie-Verbindung stehe ach ihr zwei Eierköpfe in London oder Paris sagt sie spöttisch und zack! wärst du so unglaublich schwanger oder er erwiese sich als Feigling wie dein sauberer Schwager Kasim der sich nicht mehr bei euch blicken lässt noch nicht einmal nachdem Jasmin freikam

der Assistent von Professor Fahmi

betritt plötzlich den Raum sieht gequält zu dem scharrenden Ventilator empor hält sich an einem Stapel Papier fest wo er doch sonst recht selbstherrlich auftritt geht er nun herum wie ein Werbezettelverteiler und drückt jedem den Schein für dieses Semester in die Hand es

sei leider nicht möglich dass Professor Fahmi persönlich komme es sei auch nicht möglich dass er seine Vorlesungen noch zu Ende bringe darüber hinaus dürfe wolle und werde er nichts erzählen