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es ist nicht leicht sagte Seymour so eine Transformation ist ein gewaltiger Prozess aber es kann jetzt im Grunde nur besser werden jeder weiß dass es sich ändern muss die Iraker wissen es und wir wissen es wir wissen auch dass sich unsere Politik verbessern muss SIE werden mehr Soldaten schicken müssen es werden bessere Leute das Sagen haben (dieser Petraeus zum Beispiel) es wird mehr und mehr die Wahrheit geschrieben werden es ist eben Politik und es ist furchtbar aber es gibt keine Alternative oder siehst du eine

zu besseren Leuten und dem Schreiben der Wahrheit hatte ich noch nie eine Alternative gesehen seltsamerweise aß ich dann mit gutem Appetit in Amerika bin ich nicht allein dachte ich in Erinnerung an meine einsamen Forschungswochen in Berlin die ich nur durch Besuche bei meiner (Rest-)Familie aufzulockern verstanden hatte (ich hatte ein Dutzend Mal der Versuchung widerstanden die Krankenschwester anzurufen) und als Seymour erneut auf Luisa kam als spürte er die wild cat mit seinen alten Ölmann-Instinkten unter der abwehrenden Oberfläche heraus

sagte ich dass Luisa ja zunächst auch nicht so einfach zurück nach Spanien habe gehen wollen da es sich bis zum unerwarteten Regierungswechsel um ein Land der so genannten Koalition der Willigen handelte und dass für sie das Attentat in Madrid im vergangenen März besonders schmerzlich gewesen sei

11 M wie 9/11

weshalb formen wir diese Brandzeichen der Geschichte es sind

Siegel

vermutete Seymour damit wollen wir den Umschlag verschließen nicht: etwas vergessen aber: etwas fassbar machen und abschließen

Luisa hatte mit großer Erregung die Debatte über die von der konservativen Regierung insinuierte ETA-Urheberschaft des Attentats verfolgt die Francisten sagte sie (als wäre keine Zeit vergangen) die den Krieg im Irak gewollt hatten mochten nun die Konsequenzen eines Al-Qaida-Anschlages nicht tragen

als 9/11-11 M-Paar (eine Freundin Luisas und ihr Mann waren auf den Gleisen vor dem Bahnhof Atocha ums Leben gekommen) überbrückten wir den April noch mit gemeinsamer Trauer und Pietät

dann aber kam Luisa besonnen und klar auf die Wahrheit oder Wahrhaftigkeit in unserer Beziehung indem –

was: indem? hatte Seymour am gestrigen Abend gefragt nachdem ich doch wieder unversehens die Schlafzimmertür geöffnet hatte es war eben vier Uhr morgens in meiner Noch-Berliner Eigenzeit und so erzählte ich was ich doch die ganze Zeit hatte erzählen wollen nämlich dass Luisa schon drei Monate vor 11 M ein zwar unschlüssiges aber doch andauerndes Verhältnis zu einem Kollegen in Amherst eingegangen sei einem mir durchaus bekannten Historiker

was heißt unschlüssig

wollte Seymour mit überraschender Schärfe wissen

es (das Verhältnis) basiere (wohl) vor allem darauf dass ich mich nicht (mehr) deutlich (genug) für sie (Luisa) entschließen könne (zumindest ihrer Meinung nach)

und deshalb gehst du einen Monat lang nach Berlin wo dir natürlich nichts klar geworden ist du würdest (sagte Seymour sehr ruhig und so entschieden dass es durch die Sperrwälle meiner weidwunden Männerseele drang) dich sehr täuschen wenn du glaubst das sei dann eine Wiederholung

Luisa ist nicht Amanda

so einfach ist das (Öl ist in der Erde vergraben — das war der gleiche Tonfall gewesen) aber zu banal wollte ich einwenden als er auch schon deutlicher wurde und (wohl zu Recht) feststellte dass Amanda zuerst vom akademischen Leben und dann von mir und dann (teilweise — sollten wir nicht Lesley eine Postkarte schicken) von ihm weggelaufen sei während Luisa weder von mir noch vom akademischen Leben genug habe

er selbst lebe jetzt alleine

sagte Seymour und das würde sich wohl nicht mehr ändern er habe die Wohnung in der Little Brazil Street behalten und auch das Haus auf Long Island und nach einem regelrechten Streit mit seinem Analytiker der natürlich das zutiefst Regressive dieses Halten- und Behaltenwollens zum Vorschein brachte wäre er auf einen einfachen und effizienten Gedanken gekommen und habe während einer längeren Geschäftsreise sowohl das Haus als auch die Wohnung von einem Innenarchitekten komplett neu gestalten lassen ohne mehr als Umrisse seines eigenen Geschmacks zur Vorgabe zu machen

deshalb verfügte seine Wohnung jetzt über ein völlig neu eingerichtetes Gästezimmer und man stieß auf nichts (sogleich Sichtbares) mehr das auf Amanda und Sabrina hinwies ich sah zum ersten Mal aus dem Fenster in der Küche aus dem Sabrina an ihrem letzten Tag gesehen haben musste

ein Sturz hinab an blinkenden spiegelnden flackernden Reklameflächen vorbei die sich schwindelerregend perspektivisch verjüngten an Lichttürmen ohne Grund

Fragment

Ach, die Flamme, die ich werde,

ist ein Flügel nur zu Dir.

Ich bin lieber Luft als Erde.

Im Feuerbild erscheinst Du mir.

an diese Verse in Sabrinas schwungvoller runder Handschrift dachte ich als ich mitten in der Nacht erwachte weil es nach meiner inneren europäischen Uhr bereits Vormittag war ich hatte schon im Schlaf das Gedicht aufsagen wollen aber immer irgendeinen Fehler gemacht so dass ich jetzt aufstand um im schwarzen Notizbuch nachzuschauen

Seymour saß auf seiner (neutralen) Ledercouch im Wohnzimmer vor einem großen Fernsehschirm eine Tasse Tee in der Hand wir trugen beide ein T-Shirt und eine gestreifte Shorts und mussten lachen was ist schon originell an unserem Geschlecht ich nahm den gleichen Kräutertee und wir sahen wie zwei Jungen die sich nachts zu einem Streich verabredet haben einen Gespensterfilm

aus Afghanistan

das es immer noch gab in dem noch immer unübersichtliche zähe Kämpfe stattfanden in dem deutsche und amerikanische Soldaten fielen es schien ein nicht enden wollender grausiger Zirkus von Attentaten Gefechten und politischen Manövern zu sein in dem sich internationale Armeen und Hilfsorganisationen Diplomaten Stammesfürsten Banditen und Terroristen hoffnungslos auf dem Rücken der Bevölkerung verkeilt hatten

auf dem Bildschirm

sahen wir einen fast achtzigjährigen Mann und ein kleines Mädchen seine Enkelin wie es hieß sie wohnten in nichts als Stein und Staub sie hatten keine Wasserleitung in ihrem hoch gelegenen Dorf und das ganze (restliche) Leben des altes Mannes bestand darin dreimal am Tag dreihundert Meter hinabzusteigen und wieder hinauf beladen mit zwei Wasserkanistern und das Mädchen trug zwei zusammengebundene Plastikflaschen der Mann

nahm Opium kaute es irgendwie

um das alles nicht zu spüren sagte er Opium und meine Enkelin die mich immer begleitet das siebenjährige Kind sie sind das Glück das ich brauche um nichts zu spüren

aufsteigen

hinabsteigen

aufsteigen dein schwitzender

aus den Opiumnebeln lächelnder Großvater mit der Hakennase dem verrunzelten gegerbten Gesicht unter dem grauen Turban ausweglos endlos im Staub in der Hitze im Schweiß des Aufstiegs des Abstiegs und ich

dachte nur (eifersüchtig verrückt) sie

sind wenigstens zusammen

dann schämte ich mich für einen solchen Gedanken in Seymours Midtown-Wohnung im unermesslichen Reichtum des

TURMS

nur sehr entfernt und gedämpft drang der nächtliche Verkehrslärm herauf wie die Lebenszeichen einer versunkenen Stadt nach dem Afghanistan-Film kam ein Bericht über Naturreservate in Florida und wir gingen ohne mehr als zwei Sätze zu wechseln wieder zu Bett

zum Frühstück nahmen wir beide nur einen Toast und schwarzen Kaffee irgendetwas Wichtiges und sehr Tröstliches schien Seymour mir am Vorabend über Luisa gesagt zu haben aber ich kam nicht darauf was und wollte ihn am Morgen auch nicht danach fragen wir saßen uns frisch geduscht und rasiert gegenüber und wurden uns unaufhaltsam fremd bis Seymour auf Berlin zu sprechen kam wo er schon lange nicht mehr gewesen sei falls Bush die Wahlen gewinne könnten wir beide dort ins Exil gehen das sei doch eine verblüffende Wendung der Geschichte