»Müssen alle zur Universität?«, erkundigt sich Grey.
Ich nicke stumm.
»Taylor kann sie hinbringen. Er ist mein Chauffeur. Wir haben einen großen Geländewagen; da passt auch die Fotoausrüstung rein.«
»Mr. Grey?«, fragt Taylor, als er uns erreicht.
»Fahren Sie bitte den Fotografen, seinen Assistenten und Miss Kavanagh nach Hause?«
»Natürlich, Sir«, antwortet Taylor.
»Gut. Würden Sie mich jetzt auf einen Kaffee begleiten?« Grey grinst siegessicher.
Ich runzle die Stirn. »Äh … Mr. Grey, Taylor muss sie nicht zurückfahren.« Ich werfe Taylor einen kurzen Blick zu, dessen Miene ausdruckslos bleibt. »Wenn Sie mir einen Augenblick Zeit geben, tausche ich das Auto mit Kate.«
Grey bedenkt mich mit einem atemberaubenden Lächeln. Hilfe! Er öffnet die Tür der Suite für mich. Ich husche an ihm vorbei in den Raum, wo Katherine ins Gespräch mit José vertieft ist.
»Ana, eins steht fest: Er interessiert sich für dich«, sagt sie ohne Umschweife. José mustert mich missbilligend. »Aber ich traue ihm nicht über den Weg«, fügt sie hinzu.
Ich hebe die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Wie durch ein Wunder funktioniert es. »Kate, könnte ich deinen Wagen haben, und du nimmst Wanda?«
»Warum?«
»Christian Grey hat gefragt, ob ich einen Kaffee mit ihm trinken gehe.«
Ihr fällt die Kinnlade herunter. Eine sprachlose Kate, na so was! Sie packt mich am Arm und zieht mich ins Schlafzimmer auf der anderen Seite der Suite.
»Ana, er ist irgendwie komisch«, warnt sie mich. »Du hast Recht, er sieht toll aus, aber ich halte ihn für gefährlich. Besonders für jemanden wie dich.«
»Wie meinst du das?«, frage ich beleidigt.
»Für ein unerfahrenes Mädchen wie dich, Ana. Du weißt genau, was ich meine.«
»Kate, es ist nur ein Kaffee. Ich muss mich auf die Prüfungen vorbereiten, also wird’s nicht lange dauern.«
Sie schürzt die Lippen, nimmt nach kurzem Zögern ihre Autoschlüssel aus der Tasche und reicht sie mir. Ich gebe ihr meine.
»Bis später. Mach nicht so lang, sonst schicke ich einen Suchtrupp aus.«
»Danke.« Ich drücke sie.
Als ich aus der Suite trete, wartet Christian Grey an die Wand gelehnt wie ein Model für ein teures Männermagazin.
»Okay, gehen wir einen Kaffee trinken«, murmle ich und werde puterrot.
»Nach Ihnen, Miss Steele.« Grinsend stößt er sich von der Wand ab, und ich gehe mit wackligen Knien und Schmetterlingen im Bauch voraus. Mein Herz schlägt rasend schnell und unregelmäßig. Ich werde mit Christian Grey Kaffee trinken … und dabei hasse ich Kaffee!
Wir nähern uns den Aufzügen. Was soll ich mit ihm reden? Mein Verstand hat völlig ausgesetzt. Worüber sollen wir uns unterhalten? Was habe ich schon mit ihm gemein? Seine sanfte Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.
»Wie lange kennen Sie Katherine Kavanagh?«
Eine einfache Frage zum Aufwärmen.
»Seit dem ersten Semester. Wir sind gut befreundet.«
»Hm«, lautet sein unverbindlicher Kommentar.
Was ihm wohl durch den Kopf geht?
Kaum hat er am Lift den Knopf gedrückt, ertönt ein leises Ping. Die Türen gleiten auf und geben den Blick auf ein junges Paar in leidenschaftlicher Umarmung frei, das überrascht auseinanderspringt.
Während wir den Aufzug betreten, bemühe ich mich um einen ernsten Gesichtsausdruck und senke den Blick. Als ich dann aber doch Grey verstohlen ansehe, spielt die Andeutung eines Lächelns um seine Mundwinkel. Schweigend fahren wir ins Erdgeschoss, nicht einmal nichtssagende Berieselungsmusik bietet Ablenkung.
Die Türen öffnen sich, und zu meiner Überraschung umfasst Grey meine Hand mit seinen langen, kühlen Fingern. Wieder spüre ich dieses Knistern, und mein ohnehin schon schneller Puls beschleunigt sich noch mehr. Als er mich hinausführt, hören wir das gedämpfte Kichern des Paares hinter uns. Grey grinst.
»Was haben diese Aufzüge nur an sich?«, schmunzelt er.
Wir durchqueren das riesige, von Menschen wimmelnde Foyer des Hotels in Richtung Ausgang, wo Grey nicht die Drehtür nimmt. Ob das damit zu tun hat, dass er meine Hand loslassen müsste?
Es ist ein milder Sonntag im Mai. Die Sonne scheint, auf der Straße sind nicht viele Autos unterwegs. Grey wendet sich nach links und schlendert zur Kreuzung, wo wir auf Grün warten. Ich stehe auf der Straße, und Christian Grey hält meine Hand. Niemand hat je zuvor meine Hand gehalten. Mir ist schwindelig, und meine Haut prickelt. Ich versuche, das dümmliche Grinsen zu unterdrücken, das auf mein Gesicht zu treten droht. Bleib ruhig, Ana, fleht mein Unterbewusstsein mich an. Endlich wird es grün.
Erst beim Portland Coffee House lässt Grey meine Hand los, um mir die Tür aufzuhalten.
»Suchen Sie schon mal einen Tisch aus, während ich uns etwas zu trinken hole. Was möchten Sie?«, fragt er höflich wie immer.
»Äh … englischen Frühstückstee, den Beutel extra.«
Er hebt die Augenbrauen. »Keinen Kaffee?«
»Ich mag Kaffee nicht besonders.«
Er lächelt. »Okay, Tee also, Beutel extra. Süß?«
Ich stutze, weil ich das im ersten Moment für ein Kosewort halte, aber zum Glück meldet sich mein Unterbewusstsein mit spöttisch geschürzten Lippen zu Wort. Nein, du Idiotin – er will wissen, ob du Zucker möchtest.
»Nein, danke.« Ich betrachte meine ineinander verschlungenen Finger.
»Etwas zu essen?«
»Nein, danke.«
Er macht sich auf den Weg zur Theke, und ich beobachte ihn verstohlen, wie er sich in die Schlange stellt. Ich könnte ihm den ganzen Tag zusehen … Er ist groß und schlank und hat breite Schultern und wie die Hose auf seinen Hüften sitzt … Wow! Ein- oder zweimal fährt er sich mit seinen langen Fingern durch die nach wie vor zerzausten Haare. Hm … das würde ich auch gern machen. Der Wunsch schleicht sich unaufgefordert in mein Gehirn. Ich beiße mir auf die Lippe, weil es mir nicht gefällt, welche Richtung meine Gedanken nehmen.
»Na, was geht in Ihrem hübschen Kopf vor?«, reißt Grey mich aus meinen Überlegungen.
Ich erröte. Och, ich habe mir nur gerade vorgestellt, mit den Fingern durch deine Haare zu fahren, und mich gefragt, ob sie weich sind. Ich schüttle den Kopf. Er stellt das Tablett auf dem kleinen, runden Tisch mit Birkenholzfurnier ab und reicht mir Tasse und Untertasse, eine kleine Teekanne sowie einen Teller mit einem einzelnen Teebeutel, auf dem steht: Twinings English Breakfast – meine Lieblingssorte. Für sich selbst hat er Kaffee mitgebracht, auf dessen Milchschaum sich ein hübsches Blattmuster abzeichnet. Wie machen die das?, überlege ich. Außerdem hat er sich ein Blaubeer-Muffin geholt. Nachdem er das Tablett beiseitegestellt hat, setzt er sich und schlägt die langen Beine übereinander. Ich beneide ihn um seine elegante Lässigkeit – das komplette Gegenteil von mir.
»Und, was denken Sie?«, hakt er nach.
»Das ist mein Lieblingstee«, antworte ich leise. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich in einem Coffeeshop Christian Grey gegenübersitze. Ich gebe den Teebeutel in die Kanne und hole ihn kurz darauf mit dem Löffel wieder heraus. Als ich den feuchten Beutel auf den kleinen Teller lege, sieht Grey mich fragend an.
»Ich mag den Tee schwarz … und, äh, schwach«, stammle ich.
»Verstehe. Ist er Ihr Freund?«
Was? Wie bitte?
»Wer?«
»Der Fotograf. José Rodriguez.«
Ich lache nervös. Wie kommt er denn auf die Idee?
»Nein. José ist ein guter Freund, nicht mehr. Warum glauben Sie, dass wir ein Paar sind?«
»Weil er Sie angelächelt hat und Sie ihn.« Er mustert mich intensiv.
Das macht mich noch nervöser. Ich würde gern den Blick abwenden, aber das gelingt mir nicht – ich starre ihn an wie das Kaninchen die Schlange.