Seine Augen weiten sich. Er weiß genau, worauf ich anspiele. Einen Moment lang scheint er Zweifel zu haben, doch dann tritt ein entschlossener Ausdruck auf seine Züge, und er sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an, als müsse er die Alternativen abwägen.
Unvermittelt ergreift er meinen Arm, macht kehrt und zieht mich hinter sich her quer durchs Wohnzimmer, die Treppe hinauf und in sein Spielzimmer. Lust und Schmerz, Belohnung und Strafe – all das, wovon er gesprochen hat, kommt mir wieder in den Sinn.
»Ich werde dir zeigen, wie schlimm es sein kann, dann kannst du dir selbst ein Urteil bilden.« Vor der Tür bleibt er stehen. »Bist du bereit?«
Ich nicke. Ich habe mir mein Urteil bereits gebildet. Ein leichtes Schwindelgefühl erfasst mich, und ich spüre, wie sämtliche Farbe aus meinem Gesicht weicht.
Er öffnet die Tür und nimmt etwas – ein Gürtel, wie es aussieht – aus dem Regal neben der Tür, ohne mich loszulassen, dann führt er mich zu der roten Lederbank in der hinteren Ecke des Zimmers.
»Leg dich über die Bank«, sagt er leise.
Okay. Ich kann das. Ich lege mich über das weiche Lederpolster. Bisher hat er mich nicht gezwungen, meinen Bademantel auszuziehen – ein winziger, tief verborgener Teil meines Bewusstseins registriert diese Tatsache mit leiser Überraschung. Scheiße, das wird mächtig wehtun. Ganz bestimmt.
»Wir sind hier, weil du es wolltest, Anastasia. Außerdem bist du vor mir davongelaufen. Ich werde dich sechs Mal schlagen, und du wirst mitzählen.«
Was soll das? Wieso fängt er nicht einfach an? Wieso muss er jedes Mal diesen Heidentanz um die Bestrafung veranstalten? Ich verdrehe die Augen, in der Gewissheit, dass er es nicht mitbekommt.
Er hebt den Saum meines Bademantels an. Aus irgendeinem Grund empfinde ich diese Geste als intimer, als wenn ich splitternackt vor ihm stehen würde. Zärtlich streicht er mit seinen warmen Händen über meine Hinterbacken und die Rückseiten meiner Schenkel.
»Ich werde dich bestrafen, damit du nicht vergisst, dass du nicht vor mir weglaufen sollst. So aufregend es auch sein mag, aber ich will nicht, dass du vor mir wegläufst. Niemals«, flüstert er.
Die Ironie seiner Worte entgeht mir nicht. Ich bin weggelaufen, um all dem hier zu entgehen. Hätte er die Arme ausgebreitet, wäre ich zu ihm gelaufen und hätte mich hineingeworfen.
»Und du hast schon wieder die Augen verdreht. Du weißt, was ich davon halte.« Mit einem Mal ist die angespannte Angst aus seiner Stimme verschwunden. In welcher inneren Finsternis er auch immer während der vergangenen Minuten gewesen sein mag – er hat sie hinter sich gelassen. Ich höre es an seinem Tonfall, spüre es an der Art und Weise, wie sich seine Finger auf meinen Rücken legen und mich festhalten. Die Atmosphäre im Raum hat sich vollkommen verändert.
Ich schließe die Augen und wappne mich für den Schlag. Und er kommt. Direkt auf mein Hinterteil. Und er ist genauso schmerzhaft, wie ich es mir ausgemalt habe. Unwillkürlich schreie ich auf und schnappe nach Luft.
»Zähl, Anastasia!«, befiehlt er.
»Eins!«, schreie ich, und es klingt wie ein Schimpfwort.
Er schlägt das zweite Mal zu.
Der Schmerz pulsiert auf meiner Haut, hallt auf dem ledernen Gürtel wider. Es brennt wie die Hölle, verdammte Scheiße nochmal!
»Zwei!«, brülle ich. Es tut gut, so zu schreien.
Ich höre seinen schweren, abgehackten Atem hinter mir. Mein eigener Atem ist fast vollständig erstorben – ich bin viel zu beschäftigt damit, in meinem Innern verzweifelt nach irgendeiner Kraft zu suchen, die mich die Qual noch länger ertragen lässt.
Erneut schneidet sich das Leder in meine Haut.
»Drei!« Die Tränen schießen mir in die Augen. O Gott, es ist schlimmer, als ich dachte. Viel schlimmer als das Versohlen, wie ich es bisher kannte. Und er schlägt mit aller Härte und Gnadenlosigkeit zu.
»Vier!«, brülle ich, als der Gürtel zum wiederholten Male auf meine Backen schnellt. Inzwischen laufen mir die Tränen ungehindert übers Gesicht. Ich will nicht weinen. Es macht mich wütend, dass ich die Tränen nicht zurückhalten kann.
Der nächste Schlag.
»Fünf.« Mein Schrei ist nur noch ein ersticktes, gequältes Schluchzen. In diesem Moment glaube ich ihn zu hassen. Noch ein Hieb. Ich kann es schaffen. Mein Hinterteil fühlt sich an, als stünde es in Flammen.
»Sechs«, flüstere ich, als mich der brennende Schmerz ein letztes Mal durchfährt. Ich höre, wie er den Gürtel fallen lässt. Er will mich in seine Arme ziehen, atemlos und voller Mitgefühl … aber ich will es nicht. Nichts von alldem.
»Lass mich … los … nein!« Ich wehre mich gegen seine Umarmung, stoße ihn wütend von mir, kämpfe gegen ihn an.
»Fass mich nicht an!«, fauche ich ihn an und richte mich auf. Er sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an, als fürchte er, ich könnte die Flucht ergreifen. Wütend wische ich mir mit dem Handrücken die Tränen ab und starre ihn finster an.
»So gefällt es dir also? Ich? So?« Mit dem Ärmel meines Bademantels wische ich mir die Nase ab. »Du bist ein komplett abgefuckter Dreckskerl!«
»Ana«, fleht er schockiert.
»Komm mir bloß nicht mit dieser Ana-Scheiße. Sieh zu, dass du deine Scheiße in den Griff kriegst, Grey.« Ich wende mich steifbeinig um, verlasse den Raum und schließe die Tür hinter mir. Eine Hand noch um den Knauf gelegt, lasse ich mich für einen kurzen Moment gegen sie sinken. Wohin soll ich gehen? Soll ich weglaufen? Hierbleiben? Ich bin so unglaublich wütend. Die Tränen strömen mir immer noch über die Wangen. Zornig reibe ich sie weg. Am liebsten würde ich mich irgendwo verstecken. Mich zusammenrollen, mich erholen, wieder zu Kräften kommen. Mein erschüttertes Vertrauen wieder aufbauen. Wie konnte ich nur so dumm sein? Natürlich musste es wehtun.
Vorsichtig streiche ich über meine Gesäßbacken. Au! Sie sind wund. Wohin soll ich gehen? In sein Zimmer jedenfalls nicht! In mein eigenes? Mein Zimmer oder das Zimmer, das einmal meines werden sollte, mein Zimmer ist … nein, war. Deshalb wollte er, dass ich es behalte. Er wusste, dass ich Abstand von ihm brauchen würde.
Mit steifen Schritten mache ich mich auf den Weg, wohl wissend, dass Christian mir folgen könnte. Es ist noch dunkel, die Dämmerung kaum mehr als ein erster heller Streifen am Horizont. Umständlich klettere ich ins Bett, sorgsam darauf bedacht, mich nicht auf meine schmerzende Kehrseite zu setzen. Ich ziehe den Bademantel enger um mich, rolle mich zusammen und lasse endlich los – haltlos schluchze ich in die Kissen.
Was habe ich mir nur dabei gedacht? Wieso habe ich zugelassen, dass er mir das antut? Ich wollte diese dunkle Seite unbedingt kennen lernen, wollte wissen, wie schlimm sie sein könnte – aber diese Dunkelheit ist zu viel für mich. Ich kann das nicht. Er schon. Genau das ist es, was ihm einen Kick verpasst.
Endlich bin ich aufgewacht. Der Traum ist ausgeträumt. Und fairerweise muss ich zugeben, dass er mich gewarnt hat, wieder und wieder. Er ist nicht normal. Er hat Bedürfnisse, die ich nicht befriedigen kann. Das ist mir inzwischen klar. Ich will nicht, dass er mich noch einmal so schlägt. Auf keinen Fall. Ich denke an die anderen Gelegenheiten zurück, daran, wie behutsam er im Vergleich dazu mit mir umgegangen ist. Genügt ihm das? Mein Schluchzen wird immer verzweifelter. Ich werde ihn verlieren. Wenn ich ihm das nicht geben kann, wird er nicht mehr mit mir zusammen sein wollen. Wieso, wieso, wieso musste ich mich in ihn verlieben? Wieso konnte es nicht José, Paul Clayton oder sonst wer sein? Jemand, der so ist wie ich?
Ich muss an seinen verstörten Blick denken, als ich ihn einfach stehen gelassen habe. Ich war so grausam zu ihm, weil mich seine Brutalität so schockiert hat. Wird er mir jemals verzeihen. Werde ich ihm jemals verzeihen? Meine Gedanken, wirr und konfus, hallen in meinem Kopf wider. Mein Unterbewusstsein schüttelt traurig den Kopf. Und von meiner inneren Göttin ist weit und breit nichts zu sehen. Was für ein entsetzlicher Morgen. Ich fühle mich so einsam. Ich will zu meiner Mom. Ihre Worte vom Flughafen kommen mir wieder in den Sinn: