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»Hör auf dein Herz, Schatz, und bitte, bitte versuch, nicht alles zu Tode zu analysieren. Sei locker und hab Spaß. Du bist noch so jung, meine Süße. Dein ganzes Leben liegt noch vor dir. Wehr dich nicht dagegen, sondern lebe einfach. Du verdienst nur das Beste.«

Ich habe auf mein Herz gehört. Und was habe ich davon? Einen wunden Arsch und eine zerbrochene Seele, die Höllenqualen leidet. Ich muss hier weg. Genau … Ich muss gehen. Er tut mir nicht gut, und ich tue ihm nicht gut. Wie soll das jemals mit uns funktionieren? Aber allein bei der Vorstellung, ihn nie wiederzusehen, schnürt es mir die Luft ab … Christian und seine fünfzig Facetten.

Ich höre, wie die Tür aufgeht. O nein – er ist hier. Er legt etwas auf den Nachttisch, dann spüre ich, wie das Bett unter seinem Gewicht nachgibt.

»Shhh«, haucht er.

Am liebsten würde ich von ihm abrücken, mich auf die andere Seite des Bettes legen, aber ich bin wie gelähmt. Ich kann mich nicht bewegen.

»Stoß mich nicht weg, Ana. Bitte.« Behutsam zieht er mich in seine Arme und küsst meinen Nacken. »Bitte, hass mich nicht.« Sein Atem streicht sanft über meine Haut. Seine Stimme ist von einer unerträglichen Traurigkeit erfüllt. Wieder zieht sich mein Herz zusammen, während eine neuerliche Tränenflut in mir aufsteigt. Er küsst mich, weich, sanft, doch meine Distanziertheit und mein Misstrauen lassen sich nicht vertreiben.

So liegen wir eine scheinbare Ewigkeit da. Keiner von uns sagt etwas. Er hält mich fest, und ganz allmählich entspanne ich mich. Meine Tränen versiegen. Die Dämmerung zieht auf, das weiche Licht des Morgens wird heller, während die Stunden vergehen. Und wir liegen da, reglos nebeneinander.

»Ich habe dir ein paar Schmerztabletten und Arnikasalbe mitgebracht«, sagt er schließlich.

Ich drehe mich ganz langsam zu ihm um und lege meinen Kopf auf seinen Arm.

Ein reservierter Ausdruck liegt in seinen grauen Augen.

Ich betrachte sein wunderschönes Gesicht. Seine Miene verrät nichts, doch sein Blick ist auf mich geheftet. Er ist so atemberaubend attraktiv. Wieder einmal kann ich nur staunen, wie schnell er mir so sehr ans Herz gewachsen ist. Ich hebe die Hand und streiche mit den Fingerspitzen über sein Gesicht, seine Bartstoppeln. Er schließt die Augen und lässt den Atem entweichen.

»Es tut mir leid«, flüstere ich.

Er schlägt die Augen wieder auf und sieht mich verwirrt an. »Was tut dir leid?«

»Was ich gesagt habe.«

»Du hast nichts gesagt, was ich nicht längst weiß.« Die Erleichterung ist ihm ins Gesicht geschrieben. »Mir tut es leid, dass ich dir wehgetan habe.«

Ich zucke mit den Schultern. »Ich wollte es schließlich so.« Und jetzt weiß ich es. Ich schlucke. Es ist so weit. Ich muss es aussprechen. »Ich glaube nicht, dass ich dir alles sein kann, was du dir wünschst«, flüstere ich.

Der verängstigte Ausdruck tritt wieder in seine Augen. »Du bist alles, was ich mir wünsche.«

Was?

»Das verstehe ich nicht. Ich bin nicht gehorsam, und ich werde ganz bestimmt nicht zulassen, dass du das noch einmal tust, das kann ich dir verdammt nochmal sagen. Aber genau das brauchst du. Das hast du selbst gesagt.«

Erneut schließt er die Augen. Zahllose Gefühlsregungen zeichnen sich auf seinen Zügen ab. Doch als er sie wieder aufschlägt, ist seine Miene ausdruckslos.

Mist.

»Du hast Recht. Ich sollte dich gehen lassen. Ich bin nicht gut für dich.«

Meine Kopfhaut prickelt, und die Härchen auf meinem Körper richten sich auf. Mit einem Mal ist es, als falle meine Welt auseinander, und ein gähnender Abgrund tut sich vor mir auf.

Oje.

»Ich will nicht gehen«, flüstere ich. Scheiße – das war’s. Friss oder stirb. Wieder kommen mir die Tränen.

»Ich will auch nicht, dass du gehst«, sagt er mit heiserer Stimme. Er hebt die Hand und streicht zärtlich über meine Wange, wischt mit dem Daumen eine Träne ab. »Seit ich dich kenne, fühle ich mich, als würde ich zum ersten Mal wirklich leben.« Sein Daumen fährt die Kontur meiner Unterlippe nach.

»Ich auch«, wispere ich. »Ich habe mich in dich verliebt, Christian.«

Wieder weiten sich seine Augen, doch nun steht die blanke Angst darin.

»Nein«, stößt er erstickt hervor. »Aber du darfst mich nicht lieben, Ana. Nein … das ist falsch.«

»Falsch? Wieso falsch?«

»Sieh dich doch an. Ich kann dich nicht glücklich machen«, erwidert er mit unüberhörbarer Qual.

»Aber du machst mich doch glücklich.«

»Im Augenblick nicht. Und nicht mit dem, was ich tue.«

Verdammt! Das ist es also. Darauf läuft alles hinaus – Inkompatibilität. Ich muss an all die anderen Subs denken.

»Wir kriegen es nicht in den Griff, stimmt’s?« Wieder prickelt meine Kopfhaut aus Angst vor seiner Antwort.

Er schüttelt niedergeschlagen den Kopf.

Ich schließe die Augen, weil ich es nicht ertrage, ihn anzusehen. »Tja … dann sollte ich jetzt wohl besser gehen.« Ich zucke vor Schmerz zusammen, als ich mich aufsetze.

»Nein, geh nicht.« Ich höre die Panik in seiner Stimme.

»Zu bleiben würde nichts bringen.« Mit einem Mal bin ich so müde, unendlich müde. Ich will gehen. Ich stehe auf.

Christian erhebt sich ebenfalls.

»Ich werde mich jetzt anziehen und hätte gern ein bisschen Privatsphäre«, sage ich mit tonloser Stimme und verlasse den Raum.

Ich gehe nach unten, lasse den Blick durchs Wohnzimmer schweifen. Vor wenigen Stunden habe ich noch hier gesessen und meinen Kopf an Christians Schulter gelehnt, während er Klavier gespielt hat. So viel ist seitdem passiert. Es hat mir die Augen geöffnet und einen Blick auf das Ausmaß seiner Verderbtheit gestattet. Ich weiß jetzt, dass Liebe etwas Unmögliches für ihn ist – er kann sie weder geben, noch kann er sie annehmen. Meine schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Aber merkwürdigerweise hat diese Erkenntnis etwas Befreiendes.

Der Schmerz ist so gewaltig, dass ich mich weigere, ihn an die Oberfläche kommen zu lassen. Ich bin wie betäubt. Es ist, als hätte ich meinen Körper verlassen und würde die Tragödie aus der Perspektive eines neutralen Betrachters beobachten. Ich dusche, schnell und methodisch, die Gedanken stur auf das gerichtet, was ich als Nächstes tun werde. Duschgel aus der Flasche drücken. Flasche zurückstellen. Duschgel auf dem Gesicht verteilen, auf den Schultern … immer weiter; einfache, mechanische Handbewegungen, die einfache, mechanische Gedanken erfordern.

Ich trete aus der Dusche – da ich mein Haar nicht gewaschen habe, bin ich im Handumdrehen fertig. Ich nehme eine frische Jeans und ein T-Shirt aus meinem Köfferchen. Der Stoff scheuert auf meiner wunden Haut, aber ich heiße den Schmerz willkommen, weil er mich von dem Schmerz meines gebrochenen Herzens ablenkt.

Ich klappe den Koffer zu, als mein Blick auf das Geschenk für Christian fällt – das Modell einer Blanik L-23. Wieder spüre ich Tränen in meinen Augen aufsteigen. O nein … Glücklichere Zeiten, als noch Hoffnung auf mehr zwischen uns bestand. Ich nehme das Modellflugzeug heraus. Ich muss es ihm geben. Ich reiße ein Blatt aus meinem Notizbuch, kritzle ein paar Worte darauf und lege den Zettel auf die Verpackung.

Das hier hat mich an eine glückliche Zeit erinnert.

Danke

Ana

Ich sehe in den Spiegel, sehe das bleiche Gespenst mit dem gehetzten Blick darin. Ich schlinge mein Haar zu einem Knoten zusammen. Meine Augen sind rot und verquollen vom Weinen. Mein Unterbewusstsein nickt – selbst ihm geht meine Misere nahe genug, um sich nicht zu einer bissigen Bemerkung hinreißen zu lassen. Noch immer kann ich nicht fassen, dass meine Welt tatsächlich zusammenfällt, zu einem Häuflein Asche, unter dem all meine Hoffnungen und Sehnsüchte begraben liegen. Nein, nein, nicht daran denken. Nicht jetzt. Ich hole tief Luft, hebe mein Köfferchen auf und gehe ins Wohnzimmer, nachdem ich ihm das Segelflugzeugmodell und meine Nachricht aufs Kopfkissen gelegt habe.