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»Wie läuft’s bei dir, Ana?«

Als ich zögere, sehe ich förmlich vor mir, wie Mom die Ohren spitzt.

»Gut, danke.«

»Ana? Hast du jemanden kennen gelernt?«

Wow – wie macht sie das? Die Erregung in ihrer Stimme ist fast mit Händen zu greifen.

»Nein, Mom. Du wärst die Erste, die’s erfahren würde.«

»Ana, Schätzchen, du musst mehr ausgehen. Ich mache mir Sorgen um dich.«

»Mom, bei mir ist wirklich alles in Ordnung. Wie geht’s Bob?« Ablenkung ist wie immer die beste Strategie.

Später am Abend rufe ich Ray, meinen Stiefvater, an, Moms Ehemann Nummer zwei, den ich als meinen Vater erachte und dessen Namen ich trage. Das Gespräch dauert nicht lange. Letztlich handelt es sich weniger um ein Gespräch als um eine Reihe von Grunzern seinerseits auf vorsichtige Fragen meinerseits. Ray ist grundsätzlich maulfaul. Er schaut gern Fußball im Fernsehen, geht Kegeln oder Fliegenfischen und schreinert Möbel, worin er sehr geschickt ist. Von ihm wusste ich schon vor Clayton’s, was ein Fuchsschwanz ist. Bei ihm scheint alles in bester Ordnung zu sein.

Am Freitag, gerade als Kate und ich darüber diskutieren, was wir mit dem Rest des Abends anfangen sollen, klingelt es an der Tür. Es ist José mit einer Flasche Champagner.

»José! Schön, dich zu sehen!« Ich umarme ihn zur Begrüßung. »Komm rein.«

José war der Erste, den ich an der Washington State kennen lernte; er irrte genauso einsam und verloren herum wie ich. Wir erkannten einander sofort als Seelenverwandte und sind seitdem befreundet. Wir lachen nicht nur über dieselben Dinge, sondern haben außerdem festgestellt, dass Ray und José Senior in derselben Einheit der Armee waren. Deshalb sind unsere Väter ebenfalls gute Freunde geworden.

José, ein kluger Kopf, studiert Maschinenbau und ist bisher der Einzige in seiner Familie, der es auf die Uni geschafft hat. Seine wahre Leidenschaft gilt jedoch der Fotografie. Er hat den richtigen Blick dafür.

»Ich habe Neuigkeiten.« Er grinst, seine dunklen Augen funkeln.

»Lass mich raten – du hast’s geschafft, wieder eine Woche nicht rausgeschmissen zu werden«, necke ich ihn.

Er reagiert gespielt schockiert. »Nächsten Monat werden meine Fotos in der Portland Place Gallery ausgestellt.«

»Toll – Gratuliere!« In meiner Freude umarme ich ihn ein zweites Mal.

Kate strahlt. »Super, José! Das muss in die Zeitung. Es geht doch nichts über neue Artikel in allerletzter Minute.« Sie tut so, als wäre sie ihm böse.

»Lasst uns feiern. Du musst zur Ausstellungseröffnung kommen.« José sieht mir tief in die Augen. »Ihr seid natürlich beide eingeladen«, fügt er mit einem unsicheren Blick in Richtung Kate hinzu.

José und ich sind gute Freunde, doch ich ahne, dass er mehr möchte. Er ist witzig und irgendwie süß, aber nicht der Richtige für mich. Ich sehe in ihm eher den Bruder, den ich nie hatte. Kate zieht mich oft auf, dass mir das Ich-brauche-unbedingteinen-Freund-Gen fehlt, doch in Wahrheit ist mir einfach noch keiner begegnet, bei dem ich weiche Knie und Schmetterlinge im Bauch kriege.

Manchmal frage ich mich, ob mit mir etwas nicht stimmt. Vielleicht verbringe ich zu viel Zeit mit den romantischen Helden in meinen Büchern und stecke meine Erwartungen zu hoch.

Bis vor Kurzem, flüstert die Stimme meines Unterbewusstseins. NEIN! Sofort schiebe ich den Gedanken beiseite. Nach dem katastrophalen Interview will ich mich damit nicht mehr befassen. Sind Sie schwul, Mr. Grey? Bei der Erinnerung daran verziehe ich das Gesicht. Mir ist bewusst, dass ich seit der Begegnung mit ihm fast jede Nacht von ihm geträumt habe – vermutlich, um diese schreckliche Erfahrung zu bewältigen.

José öffnet die Flasche Champagner. Er ist groß, und unter seiner Jeans und dem T-Shirt zeichnen sich seine Muskeln und breite Schultern ab. Er hat sonnengebräunte Haut, dunkle Haare und Glutaugen. Ja, José ist ziemlich heiß. Vielleicht begreift er ja allmählich, dass wir nur Freunde sind. Der Korken knallt, und José strahlt übers ganze Gesicht.

Der Samstag im Baumarkt ist der Horror. Er wird von Heimwerkern gestürmt, die ihre Häuser auf Vordermann bringen wollen. Mr. und Mrs. Clayton, John und Patrick – die beiden anderen Teilzeitkräfte – und ich werden von Kunden belagert. Als es mittags etwas ruhiger wird, bittet Mrs. Clayton mich, die Bestellungen zu überprüfen, also verschwinde ich hinter die Ladentheke neben der Kasse. Während ich die Katalognummern mit den Produkten, die wir bestellt haben oder brauchen, vergleiche, gönne ich mir einen Bagel. Mein Blick huscht zwischen dem Bestellbuch und dem Bildschirm des Computers hin und her. Irgendwann hebe ich den Kopf … und sehe in die grauen Augen von Christian Grey, der mich beobachtet.

Vor Schreck bleibt mir fast das Herz stehen.

»Miss Steele, was für eine angenehme Überraschung.«

Was zum Teufel macht der denn hier? Mit seinen zerzausten Haaren, dem cremefarbenen Pullover, der Jeans und den bequemen Schuhen wirkt er, als wollte er Wandern gehen.

Ich starre ihn mit offenem Mund an, kann keinen einzigen vernünftigen Gedanken fassen.

»Mr. Grey«, presse ich schließlich hervor.

Ein Lächeln spielt um seine Lippen, und seine Augen funkeln belustigt. »Ich war gerade in der Gegend«, erklärt er. »Ich brauche ein paar Dinge. Freut mich, Sie wiederzusehen, Miss Steele.« Seine Stimme klingt warm und verführerisch wie dunkler Schokoladenkaramell.

Mein Herz schlägt rasend schnell, und unter seinem durchdringenden Blick werde ich wieder einmal tiefrot. Er bringt mich völlig aus der Fassung. Das Bild, das ich von ihm hatte, wurde ihm nicht gerecht. Er ist nicht nur attraktiv, sondern der Inbegriff männlicher Schönheit, und er steht hier vor mir. In Clayton’s Baumarkt. Wie das?

»Ana«, murmle ich. »Mein Name ist Ana. Womit kann ich Ihnen dienen, Mr. Grey?«

Er lächelt amüsiert. Das verunsichert mich. Ich hole tief Luft und setze meine Profimiene auf, die sagt: Ich arbeite seit Jahren in diesem Laden. Ich bin kompetent.

»Ich brauche einige Dinge, zum Beispiel Kabelbinder.«

Kabelbinder?

»Wir führen unterschiedliche Längen. Darf ich sie Ihnen zeigen?«, frage ich mit zitternder Stimme. Reiß dich zusammen, Steele.

Grey runzelt die Stirn. »Gern, Miss Steele.«

Während ich hinter der Theke hervortrete, versuche ich, den Anschein von Lässigkeit zu erwecken, obwohl ich mich mächtig darauf konzentrieren muss, nicht über die eigenen Füße zu stolpern – plötzlich sind meine Beine wacklig. Zum Glück trage ich meine beste Jeans.

»Gang acht, bei den Elektroartikeln«, verkünde ich ein wenig zu fröhlich. Ich sehe Grey an und bedaure es sofort. Gott, ist der Mann schön!

»Nach Ihnen.« Er signalisiert mir mit seiner langfingrigen, manikürten Hand, dass er mir den Vortritt lässt.

Was macht er in Portland? Warum ist er hier bei Clayton’s? Aus einem kleinen, selten benutzten Teil meines Gehirns – wahrscheinlich irgendwo am unteren Ende der Medulla oblangata, ganz in der Nähe meines Unterbewusstseins – steigt der Gedanke hoch: Er ist da, um dich zu sehen. Vergiss es! Warum sollte dieser attraktive, mächtige, weltläufige Mann mich sehen wollen? Absurd!

»Sind Sie geschäftlich in Portland?«, frage ich. Meine Stimme klingt zu hoch, als hätte ich mir den Finger in der Tür eingeklemmt. Versuch, cool zu sein, Ana!