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Shamera ging geringfügig hinter Talbot, ergriff am Eingang eines langen, formellen Versammlungssaals einen aus Gold und Rubinen bestehenden Kerzenhalter und trug ihn quer durch den Raum mit sich. Vor der Tür auf der anderen Seite stellte sie ihn beiläufig auf einem kleinen Tisch ab und lächelte innerlich, als ein Lakai vor Erleichterung seufzte – wobei ihm entging, dass die kleine Figur, die auf diesem Tisch gestanden hatte, plötzlich in der Tasche ihres weiten, linken Ärmels steckte.

Die Figur strotzte vor grünen Edelsteinen. Aufgrund des flüchtigen Blickes, den Sham darauf geworfen hatte, bevor sie das gute Stück verschwinden ließ, hielt sie die Steine eher für Diamanten als für Smaragde. Falls sie damit richtiglag, stellte die Figur eines tanzenden Mädchens einen weit größeren Wert als der Kerzenhalter dar, den gerade jemand hastig an seinen ursprünglichen Platz zurückbrachte, wie sie hören konnte.

Die Alberei lenkte sie von der Tatsache ab, dass der Saal beim letzten Mal, als sie ihn durchschritten hatte, von Leichen übersät gewesen war, von denen sie viele gekannt hatte. Als sie an der Tür vorbeigingen, konnte sie immer noch den jungen Gardisten vor sich sehen, der dort als schlaffer Haufen gelegen und sie mit blinden Augen blicklos angestarrt hatte. Er war nur wenig älter als sie selbst gewesen und hatte sie einst an einem Abend zum Tanzen aufgefordert. Dabei hatte er von seinen Träumen von Abenteuern und Reisen erzählt.

Sham zwinkerte einer scheu wirkenden Dienstmagd zu, die den Burschen mit den zerlumpten Kleidern fassungslos anglotzte. Das Mädchen errötete erst, dann zwinkerte es zurück und strich mit schwieligen Händen das hellgelbe Kleid glatt.

Talbot führte Sham in die privaten Flügel der Feste. Der Unterschied wurde durch das Fehlen von Dienern, die prahlerisch in den Gängen standen, sofort augenscheinlich. In diesem Bereich der Feste kannte sie sich aus, und sie spürte, wie ein Teil ihrer Anspannung verflog.

Ebenso fehlten die kunstvoll gewobenen Teppiche, die in den öffentlichen Räumen die Böden zierten. Doch vielleicht war das auch erst unlängst geändert worden, um einem Rollstuhl das Vorankommen zu ermöglichen. Schließlich säumten auch keine kleinen Tischchen die Gänge wie überall sonst; es gab nichts, woran sich die Räder des Stuhls des Vogts verfangen konnten.

Sie biss sich auf die Unterlippe, als ihr die kleine Figur in ihrem Ärmel zunehmendes Unbehagen bereitete: Der Alte Mann hätte diesen Diebstahl nicht gutgeheißen. Der Vogt hatte auch so genug um die Ohren; den zusätzlichen Kummer, dass die Diebin, die er gezwungenermaßen um Hilfe bitten musste, so hinterhältig war, ihn selbst zu bestehlen, konnte er wahrlich nicht gebrauchen. Sie sah sich nach einem Tischchen um, auf dem sie das alberne Ding unauffällig abstellen konnte, allerdings schien sich Talbots Weg auf die sich hin und her schlängelnden kahl geräumten Korridore zu beschränken.

Schließlich gelangten sie zu einem schmalen Gang, der an die Außenmauer der Feste grenzte. Eine Seite bestand aus dem polierten Marmor, der im Bauwerk vorherrschte, die andere aus dem grob behauenen, weißen Granit eines früheren Zeitalters. Der Gang endete unverhofft an einer Wand mit einer schlichten Tür. Talbot blieb stehen und klopfte verhalten mit den Knöcheln an.

Er hob gerade die Hand, um ein zweites Mal zu klopfen, als sich die Tür lautlos öffnete. Zum Vorschein kam ein weiteres Exemplar jener Diener mit den ausdruckslosen Mienen, gegen die Sham bereits eine tiefe Abneigung entwickelt hatte – eine Abneigung, die durch die Tänzerin in ihrem Ärmel noch verstärkt wurde. Wenn dieser fade Gesichtsausdruck nicht gewesen wäre, der besagte ›Ich bin ein Diener‹, dann hätte sie das vermaledeite Ding überhaupt nie genommen. Mit finsterer Miene starrte sie den drahtigen Mann an, der die Tür aufhielt.

»Der Vogt erwartet dich schon, Meister Talbot. Komm herein.« Seine Stimme klang so nichtssagend, wie sein Gesicht aussah.

Sham gab einer inneren Regung nach, die ihr in der Vergangenheit schon oft Kummer bereitet hatte, ließ die Figur in ihre Hand gleiten und reichte dem Kammerdiener die kleine Tänzerin mit ihren funkelnden grünen Augen und dem juwelenbesetzten Kostüm.

»Das vermisst bestimmt schon jemand«, meinte sie in beiläufigem Tonfall. »Vielleicht willst du es in den ersten langen Raum rechts des Haupteingangs bringen und einem der Lakaien geben.«

Aus einer dunklen Ecke des Raumes drang das kurze Prusten männlichen Gelächters. »Dickon, bring das alberne Ding in den Smaragdraum, und gib es einem der Diener meiner Mutter, bevor sie vor Entsetzen verschrumpeln.«

Mit nur einem leichten, missbilligenden Nicken verließ der Hausknecht den Raum und trug die Figur dabei mit zwei Fingern, als könne sie ihn beißen.

Sham ließ den Blick durch das weitläufige Zimmer wandern, dem es trotzdem irgendwie gelang, überfüllt zu wirken. Teilweise lag es daran, wie die Möbel angeordnet standen, um für einen Rollstuhl gut zugänglich zu sein, aber größtenteils war es auf die bunte Fülle der Waffen und Rüstungen zurückzuführen, die sich über Wände, Bänke und Regale verteilten.

»Danke, Talbot. Wie ich sehe, hast du sie gefunden.« Als der Vogt sprach, rollte er ins Licht, das durch die bunten Glasscheiben der drei großen, hoch in der Außenwand eingebauten Fenster fiel. Wenngleich die ursprünglichen Erbauer das Gebäude als Befestigung geplant hatten, war von späteren Königen Südwalds eine zweite Ringmauer hinzugefügt worden, um Sicherheit mit Behaglichkeit und Licht zu kombinieren.

Sham war überrascht, dass der Vogt kaum verändert wirkte. Trotz des Stuhls, in dem er sitzen musste, ließ die Seide seiner dünnen Tunika die kräftigen Muskeln der Oberarme und Schultern erkennen. Auch ohne die Masse des Kettenhemds, das er in der Nacht der Geistebbe getragen hatte, war er ein überaus beeindruckender Mann. Über seinen Unterkörper ließ sich wenig sagen, weil der unter einer dicken Decke verborgen lag.

»Hast du deine Neugier befriedigt?« In seiner Stimme schwang Verbitterung mit, obwohl ihn seine angeborene Höflichkeit Südwäldisch statt seiner Muttersprache verwenden ließ.

Sham schaute in sein Gesicht auf und entdeckte darin die Veränderungen, die der Körper nicht erkennen ließ. Vor Schmerzen wirkten seine Augen beinahe schwarz, und seiner Haut verliehen sie einen Grauton anstatt des vorherigen, warmen Brauns. Tiefe Linien, an die sich Sham nicht erinnern konnte, erstreckten sich rings um seine Augen und von der Nase bis zu den Lippen.

Er war ein noch junger Soldat, der offensichtlich die Gesellschaft eines Kindes vorzog, das zu jung war, um seine Neugier zu verbergen, statt das Mitleid ehemaliger Kameraden zu ertragen. Deshalb fiel ihre Erwiderung anders aus, als es die Höflichkeit geboten hätte.

»Nein.« Ihr Tonfall klang unverbindlich. »Bedeckst du deine Beine, weil sie verunstaltet sind oder weil dir kalt ist?«

Sie wusste, dass sie sich richtig entschieden hatte, als sein schallendes Gelächter Talbots Japsen ob ihrer Dreistigkeit übertönte.

»Ein bisschen von beidem, würde ich sagen«, antwortete Kerim angesichts seiner vorherigen Verbitterung überraschend humorvoll. »Die vermaledeiten Dinger haben angefangen, sich zu krümmen. Da es selbst mir Unbehagen bereitet, sie anzusehen, möchte ich den Anblick auch niemand anderem zumuten.«

Sham beobachtete, wie er etwas unbehaglich das Gewicht im Stuhl verlagerte, und meinte: »Du solltest den Sitz dicker polstern lassen. Und wenn du einen Stellmacher fragst, wird er dir sagen, dass sich leichtere, größere Räder einfacher drehen lassen. Du könntest es mit so was wie Rennkarrenrädern versuchen.« Sie zuckte mit den Schultern und ließ sich auf der breiten Armlehne eines kostspieligen Stuhls nieder. »Wenn mehr Polsterung und größere Räder bei Pferdewagen etwas bringen, dann bestimmt auch bei dir.«