Der Vogt lächelte. »Ich werde darüber nachdenken. Nun denn, ich gehe davon aus, dass Talbot dir erklärt hat, wofür wir dich brauchen, richtig?«
Shamera grinste ihn an. »Er hat gesagt, dass ich die Häuser der Adeligen mit deiner Erlaubnis durchwühlen darf. Das wird mir meine Arbeit zweifellos erleichtern, auch wenn sie dann nicht so viel Spaß macht.«
Talbot räusperte sich warnend, aber Kerim schüttelte den Kopf und sagte: »Geh nicht darauf ein, sie ködert dich doch nur.«
»Wer wird sonst noch von mir wissen?«, erkundigte sie sich und stellte unverhofft fest, dass sie zum ersten Mal seit langer Zeit richtig Spaß hatte.
»Nur Talbot und ich«, antwortete der Vogt. »Ich weiß nicht, wem ich sonst vertrauen kann.«
»Was ist mit deiner Quelle?«
Der Vogt zog die Augenbrauen hoch.
»Du weißt schon, die Quelle, die behauptet, dass sich der Mörder hier herumtreibt.«
»Elsic«, warf Talbot ein. »Er weiß nichts von dir, und wir werden es ihm auch nicht sagen.«
Sham betrachtete die leicht betretene Miene des Vogts und Talbots unverbindlichen Gesichtsausdruck und entschied, dass sie gleich zu Beginn nach diesem Elsic suchen würde.
»Gibt es ein bestimmtes Haus, das ich als Erstes … erkunden soll«, fragte sie.
Kerim schüttelte den Kopf und brummte gereizt. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo wir anfangen sollen. Wenn du tatsächlich so regelmäßig in die Herrenhäuser von Landsend einsteigst, wie die Flüsterer behauptet haben, dann hast du wahrscheinlich eine bessere Vorstellung davon als ich.«
Sham schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin bei meinen Zielen ziemlich wählerisch. Von jemandem mit engen Beziehungen zur Feste habe ich schon seit … hm … mindestens einem Jahr nichts mehr gestohlen.« Sie log natürlich – aber erwarteten sie etwa wirklich, dass sie ihnen etwas Handfestes gab, das genügte, um sie hängen zu lassen?
Der Vogt grunzte; beinahe hoffte sie, er würde schon wissen, wie viel ihre Antwort wert war. »Talbot und ich haben uns darüber unterhalten. Wir dachten, es könnte hilfreich für dich sein, die Menschen am Hof kennenzulernen, bevor du entscheidest, welche Anwesen du … erkundest. Ich ermüde in letzter Zeit zu leicht, um mich über den neuesten Klatsch auf dem Laufenden zu halten, und Talbot hat keinen Zugang zum eigentlichen Hof, da er nicht nur ein Fremder und Bürgerlicher ist, sondern auch Südwäldler.«
»Das gilt für mich auch«, merkte Shamera an. »Eine Fremde, eine Bürgerliche und Südwäldlerin.«
Talbot brummte. »Aber du bist auch nicht der Sicherheitsleiter.«
Sie gestattete sich, belustigt die Lippen zu verziehen. »Wie wollt ihr mich denn am Hof einführen? ›Verzeiht, aber ich möchte Euch die Diebin vorstellen, die Euch regelmäßig um Euer Gold erleichtert. Sie wird sich ein wenig umsehen und versuchen herauszufinden, wer von Euch Menschen umbringt, also sagt ihr besser freiheraus, wer der Täter ist.‹«
Kerim lächelte zuckersüß mit einer solchen Unschuldsmiene, dass Shamera auf Anhieb wusste, ihr würde nicht gefallen, was er gleich vorschlagen würde. »Die ursprüngliche Idee sah so aus, dass du ein Mitglied meines Hausstabs wirst.«
Ungläubig zog Sham die Augenbrauen hoch. »Die Hälfte der Bediensteten weiß bereits, wer ich bin, und die andere Hälfte wird es wissen, bevor ich heute Vormittag hier weggehe. Der einzige Grund, warum mich die Häscher noch nicht geholt haben, ist, dass sie mir nicht nachweisen können, was ich tue. Und du hast den Ruf, Häscher zu bestrafen, die mit zu viel Eifer und zu wenigen Beweisen arbeiten. Wobei ich, wie ich hinzufügen möchte, ausgesprochen dankbar dafür bin, dass du dir diesen Ruf verdient hast.«
Kerims Lächeln wurde noch breiter, und die Unschuld wurde jäh durch eine Verschmitztheit und raubtierhaft anmutende Entschlossenheit ersetzt, die Sham erneut vor Augen führte, wie gut die Bezeichnung Leopard zu diesem Mann passte. »Als wir herausfanden, wer und was du bist, Fräulein, fiel Talbot und mir ohnehin eine wesentlich bessere Lösung ein. Man kennt dich als Sham, den Dieb – einen Jungen. Nun wirst du als Lady Shamera auftreten, meine Mätresse.«
Talbot hob die Hand an den Mund und hüstelte, als Sham einen unflätigen Fluch hervorspie, den sie von einem der erfindungsreicheren Männer ihres Vaters aufgeschnappt hatte.
»Ganz so weit brauchst du nicht zu gehen, Mädchen«, beruhigte der Vogt sie und ahmte dabei Talbots Seemannsakzent passabel nach. »Ich verlange nichts so … Anstrengendes von meinen Geliebten.«
Sham bedachte Kerim mit einem bösen Blick, verkniff sich aber eine Erwiderung. Er war beinahe so gut darin, sie aufzuziehen, wie sie es umgekehrt auch war, und sie weigerte sich, ihm eine weitere Vorlage zu liefern. Stattdessen holte sie tief und gleichmäßig Luft und ließ sich durch den Kopf gehen, was er da vorschlug, wobei sie mit dem Fuß verärgert auf den Boden tappte.
»Ich vermute mal«, sagte sie schließlich und hackte jedes Wort so ab, als schmerze es beim Aussprechen, »das soll heißen, dass ich die Rolle der Mätresse nur spielen soll, statt sie wirklich einzunehmen. Wenn das zutrifft, bin ich geneigt einzuräumen, dass eine solche Rolle ihren Vorteil hat.«
Darauf schlug ihr eine kurze Stille entgegen, als hätten weder Kerim noch Talbot damit gerechnet, dass sie so widerstandslos einwilligte. Bevor einer der Männer Gelegenheit hatte, etwas zu sagen, öffnete sich die Tür, und Dickon kehrte von der Rückgabe der Tänzerinnenfigur zurück. Sham schleuderte ihm einen missfallenden Blick zu, dem er mit Interesse begegnete.
Der Diener räusperte sich und wandte sich an den Vogt. »Als ich im Smaragdraum eintraf, war Ihre Ladyschaft bereits gerufen worden. Sie verlangte zu erfahren, wie ihre Figur in meine Obhut gelangt sei. Ich hatte keine andere Wahl, als ihr mitzuteilen, wie es dazu gekommen war. Sie wies mich an, Euch zu bestellen, dass sie gleich hier sein werde.«
»Dickon, warte vor der Tür, um sie hereinzugeleiten«, befahl der Vogt barsch, und der Diener reagierte auf seinen Tonfall, indem er flugs gehorchte.
»Höllenfeuer«, fluchte Kerim. »Wenn sie dich sieht, erkennt sie dich wieder, wenn du später als Lady auftrittst. Meine Mutter besitzt so scharfe Augen, dass sie denen eines Adlers zur Ehre gereichen.« Hastig fuhr er zum Kamin, der eine der Innenwände nahezu vollständig einnahm, und drückte auf eine Schnitzerei. Eine Platte der Holztäfelung an der Wand neben der Feuerstelle glitt lautlos nach innen und rollte zur Seite, sodass ein Durchgang zum Vorschein kam.
»Ah!«, kommentierte Sham. »Der Geheimgang am Kamin – wie überaus originell.«
»Da der Boden des Gangs jede zweite Woche gewischt wird, würde ich ihn wohl kaum als ›geheim‹ bezeichnen«, entgegnete der Vogt etwas höhnisch. »Trotzdem ermöglicht er es dir, eine Begegnung mit meiner Mutter auf den Korridoren zu vermeiden. Talbot, sorge dafür, dass sie eine Garderobe erhält und sauber gemacht wird, und komm hierher zurück, so bald du kannst.«
Sham verneigte sich vor dem Vogt, folgte anschließend Talbot in den Gang und schob die Tür hinter sich zu.
»Wir müssen dir Kleider besorgen, die standesgemäß für eine Mätresse des Vogts sind«, erklärte Talbot.
»Selbstverständlich«, pflichtete Sham ihm ungezwungen bei, ohne die Schritte zu verlangsamen.
»Lord Kerim hat mich aufgefordert, dich mit nach Hause zu nehmen. Meine Frau kann etwas für dich zum Anziehen auftreiben, bis eine Schneiderin etwas anfertigen kann.« Er räusperte sich. »Er meinte auch, wir sollten uns eine Woche Zeit nehmen, um etwas, äh … an deinem Hofgebaren zu arbeiten.«
»Ihr meint, es würde sich nicht schicken, wenn die Mätresse des Vogts wertvolle Figuren mitgehen lässt?«, fragte Sham in hoftauglichem Cybellisch, blieb stehen und sah Talbot an. »Ich bin mit Euch einer Meinung, guter Mann. Lord Kerims Ruf darf nicht unter derlei Possen leiden.«
»Na so was«, murmelte Talbot und rieb sich das Kinn. »Dann müssen wir uns wohl doch nur über die Garderobe den Kopf zerbrechen.«