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Shamera nickte nur und setzte sich wieder in Bewegung. Nach etwa einer Meile räusperte sich Talbot. »Ach, Mädel, wo willst du hin? In Fegfeuer gibt es keinen Laden, der die Art von Seide und Samt führt, die du brauchst.«

Sie bedachte ihn mit einem schlitzohrigen Grinsen. »Sei dir da mal nicht so sicher. Wenn es etwas gibt, das Menschen kaufen, dann wird es in Fegfeuer auch verkauft.«

Talbot lachte und folgte ihr tiefer hinein in den Bezirk.

»Das Problem, mit dem wir es zu tun haben«, erklärte sie, als sie ihn über den geröllübersäten Boden eines kleinen, aufgegebenen Geschäfts in der Nähe der Küste führte, »besteht darin, dass die Mätresse eines hochrangigen Würdenträgers immer Kleider von einem bekannten Schneider tragen muss. Die meisten davon würden jemanden, der so wie ich angezogen ist, nicht einmal durch die Tür hineinlassen. Und wenn es uns gelänge, einen zu finden, der das doch täte, wäre das am nächsten Morgen das Stadtgespräch schlechthin.«

Sie blieb stehen und zog einen Abschnitt loser Bretter beiseite, wodurch eine Öffnung zu einem Kriechkeller zutage trat, den der ursprüngliche Besitzer des Gebäudes für Lagerzwecke verwendet hatte. Shamera hatte mehrere solcher Speicher über ganz Fegfeuer verteilt, und sie achtete darauf, nie in der Nähe eines solchen zu schlafen. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass sie weniger von ihren Habseligkeiten einbüßte, wenn sie diese nicht bei sich trug.

»Du bist zu groß, um da reinzupassen, Talbot. Warte kurz.«

Sham schlüpfte mit der Mühelosigkeit langer Übung durch den Spalt und schlängelte sich durch den schmalen Kriechgang, bis sie zu einer Vertiefung gelangte, die jemand zu einem einigermaßen großen Hohlraum unter dem Gebäude nebenan ausgeweitet hatte. Hier wischte kein Mensch alle zwei Wochen den Boden, und der Staub brachte ihre Augen zum Tränen.

Sie beschwor ein Magierlicht und fand die große Holzkiste, die den Großteil ihrer Kleidung enthielt. Shamera hob den Deckel an und kramte durch die verschiedenen Verkleidungen, die sie hier eingelagert hatte, bis sie auf ein Bündel stieß, das sie sorgfältig in ein altes Laken gewickelt hatte, um den Inhalt vor Staub zu schützen. Aus einer Eingebung heraus nahm sie auch ihre zweitbeste Diebeskluft mit und fügte sie dem Bündel hinzu.

Wieder im Dunkeln, robbte sie durch den schmalen Tunnel zurück nach draußen. Sie rückte die Bodenbretter erneut an ihren Platz und scharrte mit den Füßen umher, bis der Staub neben ihnen genauso wenig aufgewühlt aussah wie im restlichen Raum.

»Wenn du dich kurz umdrehst, ziehe ich mir etwas an, das die Schneider annehmbar finden dürften.«

Talbot nickte und entfernte sich einige Schritte, blickte durch das dreckverkrustete Fenster hinaus auf die verschwommenen Gestalten von Menschen, die draußen auf der kopfsteingepflasterten Straße vorbeigingen, und meinte: »Für eine Diebin aus Fegfeuer weißt du eine ganze Menge über den Hof.«

Sham nahm ihren Gürtel ab und legte ihn beiseite, nachdem sie den kleinen Beutel gelöst hatte, der die wenigen Kupferstücke enthielt, mit denen sie durch die Straßen reiste. Das verschaffte ihr Zeit, um über ihre Erwiderung nachzudenken.

»Meine Mutter war eine Hofdame des Königs, mein Vater ein Kleinadeliger.« Damit deutete sie an, dass ihre Eltern Hofschmarotzer gewesen waren, verarmter niederer Adel mit Ansprüchen, aber wenig mehr; Leute, die sich nur der kostenlosen Unterkunft und Verpflegung wegen am Hof herumtrieben. Nicht besonders schmeichelhaft für sie, aber irgendwie widerstrebte es Sham, den Namen ihres Vaters zu beflecken, indem gemeinhin bekannt wurde, dass sich seine Tochter als Diebin verdingte. Sie legte das Geld beiseite und holte einen Kamm, einige Haarnadeln und ein sauberes Tuch hervor, bevor sie ihre Kleidung auszog.

»Konntest du denn nirgendwohin? Ich würde nicht wollen, dass ein junges Hoffräulein gezwungen ist, in Fegfeuer zu leben.« Als der Ehrenmann, der er war, ließ ihr Talbot den Rücken zugekehrt.

»Nachdem die Feste gefallen war? Nein. Meine Eltern starben, als die Tore geöffnet wurden. Sie hatten keine Verwandten, die den Einmarsch überlebten.« Es hatte damals niemanden gegeben, an den sie sich wenden konnte – nur einen blinden alten Mann, der ihr Lehrmeister gewesen war. Auch er hatte den Wunsch verspürt, zu sterben, doch das hatte sie nicht zugelassen. Vermutlich wäre er lieber damals verschieden, als die letzten zwölf Jahre blind und ohne Magie weiterzuleben.

»Wie hast du dich durchgeschlagen?«

»Nicht, indem ich meinen Körper verkauft habe«, gab sie nüchtern zurück und fand das Mitgefühl in seiner Stimme merkwürdig verstörend. Sie benutzte einen Hauch Magie, um das Tuch zu befeuchten, damit sie die Hände und das Gesicht reinigen konnte, so gut es ging. Der Rest ihres Körpers war sauberer als die der meisten Menschen, die in Fegfeuer lebten, aber saubere Hände und ein sauberes Gesicht wären zu auffällig gewesen. »Ich verstand ein wenig von Magie. Das Diebeshandwerk ist keine schlechte Möglichkeit, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, jedenfalls nicht nach dem ersten Mal – obwohl ich eine Hure kenne, die dasselbe über ihr Handwerk sagt. Meine Wahl ermöglicht aber eine längere Laufbahn.«

»Wenn du nicht gefasst wirst«, schränkte Talbot ein, wobei er sich ihres nüchternen Tonfalls bediente.

»Das stimmt natürlich«, pflichtete Sham ihm höflich bei.

Sie faltete das Laken auseinander und entnahm dem Bündel das blaue Unterkleid aus Musselin, schüttelte es aus, so gut sie konnte. Die verbleibenden Knitterfalten wurden rasch mit einem weiteren Hauch von Magie beseitigt. Unter gewöhnlichen Umständen vergeudete sie ihre Kraft nicht für etwas so Unbedeutendes, aber sie hatte keine Zeit, ein Bügeleisen zu erhitzen.

Als sie das Kleid angezogen hatte, steckte sie das Messer, das sich für gewöhnlich in ihrem Stiefel befand, in eine Scheide am Oberschenkel und schob die Hand durch das Loch im Rock, um zu überprüfen, ob sie den Griff gut erreichen konnte. Es gestaltete sich etwas schwierig, deshalb zog sie die Scheide über die schmalen Lederstreifen, die sie sich um den Oberschenkel gebunden hatte, bis sie die Hand auf natürlichere Weise um das Heft des Messers legen konnte.

Armscheide und den Dolch darin musste sie zwar weglassen, doch die lange, spitze Haarnadel war beinahe genauso gut. Das gelbe Überkleid verdeckte den schmalen Schlitz im Rock, war jedoch an den Seiten offen, sodass es ihren Zugriff auf das Messer nicht behinderte. Ein Paar flache gelbe Schuhe vervollständigte die Aufmachung.

»Du kannst dich jetzt umdrehen«, sagte sie und rollte die Kleider, die sie zuvor getragen hatte, in das Bündel, das aus dem Versteck stammte. Sie löste ihr Haar aus dem Zopf und zog den kleinen Holzkamm gnadenlos durch die dichten Strähnen, bis es ihr gelang, sie ordentlich auf dem Kopf einzudrehen und mit der gefährlichen Haarnadel zu sichern.

»Jetzt«, verkündete sie, »sind wir bereit, die Schneider zu besuchen und eine Garderobe anzuschaffen.«

Shamera stolzierte in die Feste und überließ es Talbot, sich um das Verstauen ihrer Einkäufe zu kümmern. Ohne einen Blick nach links oder rechts folgte sie dem Weg, den sie bereits zuvor an diesem Tag beschritten hatte.

Talbots Einwand, dass sich der Vogt keine Frau von fragwürdigem Geschmack als Mätresse nehmen würde, hatte sie vom Tisch gewischt. Jeder wusste, dass der Vogt noch nie eine Mätresse gehabt hatte, also musste sie außergewöhnlich sein. Angesichts ihrer herben Züge und ihres zierlichen Körpers blieb dafür nur ihre Aufmachung.

Das Kleid, das sie jetzt trug, war schwarz, eine Farbe, die sich Cybeller ausschließlich für Trauerfälle vorbehielten. Sie hatte von der Näherin den Ausschnitt vertiefen und die Ärmel abnehmen lassen, wodurch ein Großteil ihres Oberkörpers entblößt blieb. Kleine saphirblaue Blumen, die auf Shameras Verlangen hastig von einem anderen Kleid abgerissen worden waren, zierten hier und da den Satinrock ihres Kleids.

Ihre von den üblichen Bändern befreiten Haare hingen ihr in dichten, sanften Wellen über die Schultern, bis mitten auf den Rücken hinab. Die Lippen hatte sie mit einem zarten Rosa bemalt, die großen Augen nachgezogen, die Wimpern mit Kohlfarbe nachgedunkelt. Das Gesicht hatte sie gepudert, bis es noch weißer als sonst schimmerte und einen krassen Gegensatz zu den dunkelhäutigeren Cybellern bildete. Sogar ihre Körpersprache hatte sie angepasst und ihren üblichen, knabenhaften Gang gegen sinnlich wogende Schritte ausgetauscht, mit denen sie auf völlig andere Weise dieselbe Geschwindigkeit erzielte.