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Als sie aus dem Ankleideraum der Schneiderei gekommen war, hatte Talbot zu lachen angefangen.

»Niemand, aber wirklich niemand, wird dich mit Sham, dem Dieb verwechseln.« Sogar die unverschämte Höhe der Rechnung, die infolge ihrer Wünsche angefallen war, hatte nicht ausgereicht, um das breite Grinsen aus seinem Gesicht verschwinden zu lassen.

Shamera verzichtete darauf, an die Tür des Vogts zu klopfen. Sie stieß sie einfach so kräftig auf, dass sie mit einem hohlen Laut gegen die Wand prallte.

»Liebling«, sprudelte es aus ihr auf Cybellisch mit deutlichem Akzent heraus. »Ich konnte es nicht glauben, als ich erfuhr, dass du krank bist. Ist das der Grund, weshalb du dich von mir getrennt hast?«

Nach einer dramatischen Pause an der Tür eilte Shamera an seine Seite, zog dabei eine teure Duftnote hinter sich her und schien nicht im Geringsten auf die verdutzten Mienen in den Gesichtern des Mannes und der Frau zu achten, die auf Stühlen neben Kerim saßen. Als sie den Raum durchquerte, warf sie jedoch aus dem Augenwinkel einen Blick auf die beiden.

Die Frau war zierlich und trotz der feinen Linien um ihren Mund und ihre Nase wunderschön. Sie besaß dieselbe Anmutung wie der Vogt: dichtes dunkles Haar, die Haut ein warmes Braun, ausdrucksstarke dunkle Augen. Als junge Frau musste sie außergewöhnlich schön gewesen sein – sogar noch in diesem Alter mit silbrigen Strähnen und etwas schlaff gewordener Haut am Hals hätte sie in jedem der besseren Freudenhäuser in Fegfeuer gut verdient.

Der Mann, der neben ihr saß, war ähnlich gutaussehend; seine Züge bestachen durch zierliche Knochen, eine feinere Ausgabe des Gesichts des Vogts. Die großen dunklen Augen besaßen lange Wimpern. Bei ihrem Erscheinen verzogen sich die Lippen zu einem herzlichen, anerkennenden Lächeln, wodurch ein Grübchen zum Vorschein kam.

Shamera erreichte den Stuhl des Vogts, beugte sich vor und drückte ihm einen leidenschaftlichen Kuss auf den Mund, den sie länger als beabsichtigt andauern ließ, als er mit ebenbürtiger Inbrunst mitspielte. Etwas außer Atem löste sie sich von ihm, ehe sie noch vor den Augen der Frau, die dem Ausdruck moralischer Entrüstung nach nur seine Mutter sein konnte, auf seinem Schoß landete.

»Aber Liebster, was gibt man dir hier bloß zu essen?« Mit aufrichtigem Entsetzen betrachtete Sham den Brei auf einem Tablett, das auf dem Tisch neben Kerims Stuhl stand. Sie ergriff das Tablett und wandte sich an den im Schatten stehenden Diener, wo ein guter Diener lernte, sich zu Hause zu fühlen.

»Du, wie ist dein Name?«

»Dickon, Lady.«

»Dickon, bring das zurück in die Küche, und hol etwas, das sich für einen Mann zum Essen eignet.« Sie dehnte die Selbstlaute bei ›einen Mann‹ bewusst ein wenig, sodass es sich um einen Akzent handeln könnte.

Der Diener trat vor, um das Tablett entgegenzunehmen. Dabei versteifte sich sein Körper nur geringfügig, als er ihr Gesicht deutlich zu sehen bekam. Aber er ergriff das Holzbrett mit den Goldintarsien wortlos und verließ das Zimmer, bevor jemand Gelegenheit hatte, Einwände gegen Shameras Befehl zu erheben. Sie wandte sich wieder den drei im Raum Verbliebenen zu und stellte fest, dass Kerim die Herrschaft über sein unterdrücktes Gelächter verloren hatte.

Mit geweiteten Augen sah sie ihn an und fuchtelte dramatisch mit den Händen, als sie sagte: »Du schrecklicher Mensch – ich komme, um dich zu retten, und du lachst mich aus! Ich denke, ich sollte wieder gehen.« Damit machte sie auf dem Fuße kehrt und trat zwei Schritte auf die Tür zu.

»Shamera.« Kerims Stimme klang dunkel, und Sham fühlte sich, als hätte er ihr mit einer Hand über den Rücken gestreichelt. »Komm her.«

Mit einer Schmollmiene drehte sie sich wieder um und verschränkte die Arme unter den Brüsten. Damit bewirkte sie, dass dem anderen Mann im Raum ein leiser Fluch der Bewunderung entfuhr. Die Augenbrauen der tadellos gekleideten Frau schossen empor, als Shameras Kleid ein Stück tiefer rutschte. Sie mochte an sich zierlich sein – aber eben nicht überall.

»Shamera.« In der Stimme des Vogts schwang ein unterschwellig warnender Tonfall mit, aber Sham war froh, dass ihn gerade niemand außer ihr ansah. Keinem Menschen wäre der Ausdruck innerer Belustigung entgangen, der seine Augen umspielte. Sie spürte, wie ihre Lippen das Schmollen aufgaben und sich stattdessen zu einem aufrichtigen Lächeln verzogen.

»Es tut mir leid«, entbot sie mit leiser Stimme und durchquerte gehorsam das Zimmer, »aber du weißt, dass ich es nicht mag, wenn ich ausgelacht werde.«

Er ergriff die sich ihm entgegenstreckenden Hände und führte sie entschuldigend an seine Lippen. »Liebstes Herzblatt, deine Gegenwart ist wie ein Hauch des Sommers in diesen dunklen Gemächern.« Er sprach mit einer sinnlichen Stimme, die so manche junge Maid in Verzückung versetzt hätte.

»Unsere Gegenwart ist offensichtlich nicht länger erforderlich«, merkte der andere Mann an. »Komm, Mutter.« Die ältere Frau ergriff seinen Arm und ließ sich von ihm beim Aufstehen helfen.

»Wartet«, forderte der Vogt die beiden auf und hob gebieterisch eine Hand. »Ich möchte euch Lady Shamera vorstellen, die Witwe von Lord Ervan von Burg Steilwand. Lady Shamera, meine Mutter, Lady Tirra, und mein Bruder, Lord Ven.«

Shameras leichter Knicks wurde dadurch behindert, dass Kerim ihre Hand nicht losließ. Sie lächelte die beiden an und wandte sich wieder Kerim zu, ohne abzuwarten, ob sie den Gruß erwidern würden. Mit der freien Hand strich sie Kerim einige Strähnen aus den vergnügten Zügen.

Shamera hörte, wie Lady Tirra Luft holte, um etwas zu sagen, als Kerims Diener mit einem neuen Tablett aus der Küche zurückkam. Sham richtete sich auf, ergriff das Tablett und schenkte dem Diener für sein zeitgerechtes Auftauchen ein herzliches Lächeln. Schließlich konnte sie nicht sicher sein, wie weit sie den Bogen bei Lady Tirra spannen durfte, ohne Kerim zu schaden. Sie hielt das Tablett geschickt mit einer Hand und hob mit der anderen den Warmhaltedeckel an. Darunter kam gebratenes Hähnchen mit Gemüseallerlei zum Vorschein.

»Ah, das ist viel besser. Danke, Dickon.«

Der Diener verneigte sich und zog sich in den Winkel zurück, wo er zuvor gestanden hatte, während Sham das üppig verzierte Holztablett auf Kerims Schoß statt auf den nahen Tisch stellte. Sie kniete sich vor ihn, ohne auf den Schaden zu achten, den sie dadurch an dem von der Schneiderin so sorgfältig gebügelten Material verursachte.

»Iss, mein Leopard. Danach unterhalten wir uns«, gurrte sie im sinnlichsten Tonfall, den sie zustande brachte. Offenbar erzielte sie damit die gewünschte Wirkung, denn sie hörte das Rascheln von steifem Stoff, als Kerims Mutter vor weiterer Entrüstung den Körper versteifte.

Ohne den Blick von Shamera zu lösen, sagte Kerim: »Danke, Mutter, für deine Anteilnahme. Wie es scheint, werde ich heute Abend doch nicht alleine essen. Die Edelmänner des Hofes harren bestimmt schon ungeduldig deiner verspäteten Ankunft.«

Lady Tirra fegte aus dem Raum, ohne ein Wort zu verlieren, und ließ ihren jüngsten Sohn hinter sich hertrotten.

4

Als sich die Tür schloss, wandte sich Kerim an seinen Diener. »Dickon, ich glaube, Talbot ist in der Nähe. Such ihn, und schick ihn herein, ja?«

»Sehr wohl, Herr.« Dickon verneigte sich und verließ die Kammer.