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Sham wartete, bis die beiden Männer zu Ende geredet hatten, bevor sie fortfuhr. »Der ae’Magi war in den Händlerclans geboren worden. Als ihn die Kunde vom Tod seiner Familie erreichte, begab er sich auf die Jagd. Drei Jahre lang reiste er über den Gebirgspass, den der Dämon regelmäßig heimsuchte. Dabei begleitete er verschiedene Clans, da keiner gegenüber einem anderen bevorzugt zu werden schien. Jedes Mal, wenn sich ein Fremder dem Tross anschloss, was durchaus vorkam, stellte ihn der ae’Magi auf die Probe, um herauszufinden, ob er der Dämon war.«

»Wie hat er das gemacht?«, fragte der Vogt.

Sham zuckte die Schultern. »Das weiß ich nicht. Seit der Ächtung der Dämonenbeschwörung sind auch viele der Zauber im Zusammenhang mit Dämonen verloren gegangen.« Sie räusperte sich und fuhr fort. »Eines Tages, so lautet zumindest die Geschichte, stieß der Clan, mit dem der ae’Magi zu der Zeit reiste, auf einen dürren jungen Burschen, der gerade den letzten Stein auf ein frisch ausgehobenes Grab legte. In der Nähe befand sich ein umgekippter Wagen. Die beiden Pferde, die ihn gezogen hatten, lagen tot in den Wagenspuren. Der Junge selbst hatte einige Kratzer, davon abgesehen jedoch war er den Wölfen unversehrt entgangen, die seine Familie getötet hatten, während er vom Ast eines Baumes aus dabei zusehen musste.

Der Junge wurde ohne Fragen vom Clan aufgenommen – Kinder werden von Händlerclans besonders geschätzt. Er erwies sich als ernstes Kind, aber das konnte natürlich am Tod seiner Angehörigen liegen. Wie die Händler hätte auch der ae’Magi eher vermutet, selbst ein Dämon zu sein, als ein Kind zu verdächtigen.

Eines Nachts saß der ae’Magi nachdenklich vor einem kleinen Feuer, während seine Mitreisenden tanzten und sich Geschichten erzählten. Nach und nach gingen die Erzählungen von Heldentaten zu furchterregenderen Inhalten über, wie es bei solchen geselligen Runden meistens der Fall ist. Natürlich erzählte bald jemand die Geschichte von Tybokk.

Der ae’Magi wandte sich gerade zum Gehen, da bemerkte er einen ungewöhnlichen Ausdruck im Gesicht des fremden Knaben. Der Junge lächelte, allerdings nicht so, wie es gewöhnliche Jungen tun – seinem Lächeln haftete etwas Raubtierhaftes an.

Dem ae’Magi lief ein eiskalter Schauder über den Rücken, als er erkannte, wie gut der Dämon von demjenigen getarnt worden war, der ihn einst beschworen hatte, und wie dicht er selbst davor gestanden hatte, von der Kreatur besiegt zu werden, die er jagte.

Es folgte ein großes Gefecht, von dem die Nachkommen der Händler, die es bezeugt haben, noch heute voll Ehrfurcht sprechen. Letzten Endes wurde der Körper des Jungen zerstört. Der Dämon blieb ohne Gestalt zurück und konnte nicht mehr tun, als dabei zuzusehen, wie der Clan wohlbehalten die Berge verließ.

Der Pass heißt immer noch Dämonenpass oder Tybokks Grat, und manch einer behauptet, dort herrsche ein ungewöhnlicher Nebel, der bisweilen jene verfolgt, die diesen Pfad des Nachts beschreiten.«

Eine kurze Stille folgte auf die Geschichte, dann meinte der Vogt: »Du hättest lieber Geschichtenerzählerin als Diebin werden sollen. Damit würdest du mehr Geld verdienen.«

Shamera lächelte höflich. »Offensichtlich weißt du nicht, wie viel ich als Diebin verdiene.«

»Du denkst also, wir haben es mit einem weiteren Tybokk zu tun?«, fragte der Vogt.

Sie zuckte die Schultern. »Wenn Maur recht hatte, als er ihn Chen Laut nannte, dann schon.«

»Chen Laut ist das Ungeheuer, das Kinder frisst, die ihre Aufgaben nicht erledigen«, erklärte Talbot. »Meine Mutter hat uns früher immer mit ihm gedroht.«

»Was, wenn sich der Hexer des Königs geirrt hat?«, wollte Kerim wissen.

»Dann ist es vermutlich ein Mensch, der gerne tötet«, gab Sham zurück. »Er geht sieben oder acht Tage hintereinander seiner gewöhnlichen Arbeit nach und nimmt sich den achten oder neunten Tag zum Morden frei. Vielleicht besucht am achten oder neunten Tag seine Frau auch regelmäßig ihre Mutter. Er bewegt sich ungehindert in der Oberschicht – möglicherweise irgendein Diener oder gar selbst ein Adeliger. Er kann Schlösser knacken und sich so geschickt in Schatten hüllen, dass ich ihn nicht gesehen habe, als ich die Hütte des alten Mannes betrat.«

Eine kurze Pause entstand, dann nickte Kerim. »Solange du bereit bist, auch nach einem menschlichen Übeltäter zu suchen, werde ich mir alles anhören, was du in Hinblick auf Dämonen zu sagen hast.«

»Einverstanden. Darf ich dir jetzt eine Frage stellen?«

»Gewiss«, erwiderte Kerim zuvorkommend.

»Wer genau ist dieser Lord Ervan, und wie bin ich zu seiner Witwe geworden?«

Es war spät am Abend, als sie damit fertig waren, ihre jeweiligen Geschichten aufeinander abzustimmen und man Sham zu der Kammer geleitete, die der Vogt ihr zugedacht hatte. Nachdem sie die Tür hinter dem Diener des Vogts geschlossen hatte, streckte sie sich müde und sah sich um.

Das Zimmer war kleiner als das von Kerim, aber durch eine geschickte Anordnung der Einrichtung wirkte es in etwa gleich groß. Anders als beim Vogt zierten dicke Teppiche den Boden, um den kalten Steinboden von den nackten Zehen zu trennen. Sham zog die Schuhe aus und ließ die Füße in den Flor eines besonders dicken Läufers sinken.

Probeweise spähte sie auf die Oberfläche des Nachttisches neben dem Bett; das Spiegelbild, das ihr entgegenblickte, wirkte weniger verschwommen als das des kleinen, polierten Bronzespiegels, den sie aus Gewohnheit mit sich herumtrug. Die Kerzen, die ihre Kammer erhellten, schienen von höchster Güte zu sein und erfüllten den Raum mit einem zarten Rosenduft. In den Gemächern des Vogts wurde die Beleuchtung mit Hilfe mehrerer großer Silberspiegel verstärkt. Ohne die Spiegel oder Fenster herrschte in den Winkeln dieses Zimmers tiefe Dunkelheit.

Sie hatte noch nie inmitten solchen Prunks geschlafen, nicht einmal, als sie noch mit ihrem Vater hier gewohnt hatte. Wenn sie genau überlegte, konnte sie sich nicht mal daran erinnern, wann sie überhaupt das letzte Mal in einem Bett übernachtet hatte. Die Witwe von Lord Ervan hätte das als nicht mehr betrachtet, als ihr zustand. Doch ohne jemanden, vor dem Shamera sich verstellen musste, war sie nur eine bürgerliche Diebin an einem Ort, an den sie nicht gehörte.

Wie in Kerims Raum nahm das Mauerwerk des Kamins den Großteil der Wand ein. Zu beiden Seiten daneben prangten Wandteppiche. Als sie diese genauer in Augenschein nahm, bemerkte sie eine Tür, die sich hinter einem der kunstvoll gewobenen Behänge in jenem Teil der Wand verbarg, den der ausladende Kamin nicht für sich beanspruchte.

Der Anblick der geheimen Öffnung munterte sie auf und erinnerte sie daran, weshalb sie hier war. Dickon hatte sie durch mehrere verschlungene Korridore und Abzweigungen geführt, doch das Diebeshandwerk hatte Sham einen ausgesprochen guten Orientierungssinn verliehen. Sie vermutete, dass die Tür zu einem Zugang in die Gemächer des Vogts führte – passend für seine Mätresse.

Sham kehrte zum Bett zurück und trat die zu ihrem schwarzen Kleid passenden Schuhe beiseite. Die Verschlüsse des Kleids befanden sich an der Vorderseite, deshalb hatte sie das Angebot einer Zofe ausgeschlagen. Sie ließ das Kleid dort auf dem Boden liegen, wo es gelandet war, denn sie wusste, dass jemand, der an solch kostspielige Bekleidung gewöhnt war, achtlos damit umgehen würde. Shamera löschte die Kerzen, kletterte ins Bett, verbarg ihr Messer unter dem Kissen und widerstand erfolgreich dem Drang, sich auf den Boden zu legen, bis sie einschlief.

Blut tropfte von der Hand des Mannes auf den glatten Granitboden und ließ eine dunkle, zähflüssige Lache entstehen. Dieses Opfer hatte sich als überaus befriedigend erwiesen; seine Überraschung, sein Grauen versüßten die Mahlzeit, die der Mann so großzügig zur Verfügung gestellt hatte. Der Dämon lächelte, als er sein Werk betrachtete.

Die Zofe mit dem ausdruckslosen Gesicht, die das Zimmer am nächsten Morgen betrat und damit begann, die Kerzen anzuzünden, bekam das Messer nie zu Gesicht, das Sham instinktiv beim Geräusch der sich öffnenden Tür ergriffen hatte.