Sham brauchte ihn nicht anzusehen, um zu wissen, dass er lächelte. »Ich hoffe, du erinnerst dich noch daran, wie sehr es dir gefällt, wenn du von der Schneiderin die Rechnung dafür bekommst.«
Er lachte. »Für gewöhnlich gibt es am Hof Unterhaltungsangebote verschiedenster Art – Musik zum Tanzen, einen Barden oder Ähnliches.« Er verstummte, und sein Stuhl wurde langsamer, als er ihr einen gehässigen Blick zuwarf. »Mir wurde gesagt, dass es heute Nachmittag eine Zaubervorstellung geben wird.«
»Ich freue mich schon darauf«, erwiderte Sham trocken, und Kerim lachte erneut.
Als sie sich dem öffentlichen Bereich näherten, wurden die Gänge breiter und waren auch kostspieliger eingerichtet. Kerim nickte den Lakaien zu, die eine breite Doppeltür für sie öffneten. Als Sham und Kerim den Raum dahinter betraten, scharten sich sofort Leute um sie. Sie blieben stetig in Bewegung, während er jeden Einzelnen, der sich näherte, begrüßte und Sham vorstellte. Sie nickte und lächelte strahlend. Dann fiel ihr Blick auf die Stelle, an der sie die Leiche ihrer Mutter gefunden hatte.
Shamera legte dem Vogt die Hand auf die kräftige Schulter und umfasste sie mit festem Griff, als sie sich der Flut von Erinnerungen entgegenstemmte. Sie hoffte, er würde es dem Lampenfieber zuschreiben. Nach wenigen Augenblicken verblasste die Eindringlichkeit der Erinnerungen, und der Saal wurde lediglich zu einem auf Hochglanz polierten Raum voll schillernd gekleideter Menschen.
Als Mätresse des Vogts verkörperte sie eine unbekannte Größe in der Politik am Hof, die drohte, bestehende Einflussverhältnisse aus dem Gleichgewicht zu bringen. Shamera achtete darauf, sich dumm zu geben und ihre Aufmerksamkeit auf Kerim zu bündeln – was viel zur Belustigung beitrug, die in seinen Augen schimmerte.
»Kerim«, sprach Lady Tirra, die von hinten auf sie zukam. »Du hast mir gesagt, du würdest dafür sorgen, dass Lady Sky ihre Ländereien und ihr Besitz übergeben werden. Sie hat mir mitgeteilt, dass ihr der Bruder ihres Gemahls nach wie vor das Recht auf das Landgut in Fahill verweigert.«
Kerim nickte. Ein Großteil des Frohsinns floss aus seinen Zügen ab, als er sich umdrehte und seine Mutter anschaute, wenngleich er dabei sorgsam darauf achtete, eine höfliche Miene zu bewahren. »Ich verhandle derzeit mit ihm. Es wäre ausgesprochen hilfreich gewesen, wenn du nicht selbst eine Nachricht an Johar geschickt hättest. Jetzt ist er so wütend, dass unter Umständen eine vollwertige Belagerung nötig ist, um ihn dazu zu bringen, das Anwesen aufzugeben. Er hat sich sogar die Beschuldigung einfallen lassen, Lady Sky hätte Fahill ermordet.«
»Lächerlich«, entgegnete Lady Tirra ansatzlos. »Er ist bloß habgierig, und du bist zu besorgt darüber, du könntest seine Spießgesellen verärgern, um ihm die Flügel ordentlich zu stutzen.«
Der Vogt lehnte sich im Stuhl zurück. »Ich gebe dir recht, dass Lady Sky nichts mit Fahills Tod zu tun hatte, Mutter. Das ist ein offensichtlicher Vorwand in dem Versuch, die Ländereien zu behalten. Wir werden ihr nicht den gesamten Landbesitz verschaffen können, aber wenn du aufhörst, mir zu ›helfen‹, kann ich einen vernünftigen Kompromiss zustande bringen.«
»Mit ihrem Besitz und dem deinen vereint hättest du genug Vermögen, um deinen Rang unangreifbar zu machen«, legte Lady Tirra angriffslustig nahe und ließ Sham zu dem Schluss gelangen, dass sie dies schon öfter vorgeschlagen hatte.
Der Vogt schäumte sichtlich vor Wut. »Der Einzige, der mich von meinen Pflichten entbinden kann, ist Altis’ Prophet, Mutter. Er lässt sich nicht vom Vermögen und der Macht derer beeinflussen, die Einwände gegen meine Herrschaft haben. Darüber hinaus werde ich Lady Sky nicht heiraten. Sie war die Gemahlin meines teuersten Freundes –«
»Der seit acht Monaten tot ist«, fiel sie ihm forsch ins Wort. »Es ist an der Zeit, dass ich Enkelkinder bekomme. Ich hätte nichts dagegen, Lady Skys Kind als das Erste anzunehmen.«
»Dann verheirate sie doch mit meinem Bruder«, gab er ungeduldig zurück. »Sie und er sind ohnehin seit geraumer Zeit Geliebte. Hätte er ihr einen Antrag gemacht, hätte sie ihn schon vor drei Monaten geheiratet.« Er holte tief Luft und senkte die Stimme, um von niemandem gehört zu werden, den es nichts anging. »Du weißt, dass Ven und Johar immer gut miteinander ausgekommen sind. Ven hat mich ersucht, eine Schlichtung auf der Grundlage seiner Vermählung mit Sky anzustreben.«
Der Geräuschpegel im Saal hatte im Verlauf des Gesprächs zunehmend nachgelassen. Sham hatte den Eindruck, dass ein jeder im Raum darauf bedacht war, den Wortwechsel zwischen dem Vogt und seiner Mutter zu belauschen – ein Eindruck, den die abrupte Stille bestätigte, die einkehrte, als eine junge Frau durch eine nahe Tür eintrat. Nach dem Verhalten der Höflinge zu urteilen, konnte es sich nur um ebenjene Lady Sky handeln, über die der Vogt mit seiner Mutter gesprochen hatte.
Wie Sham besaß die Frau die für Südwäldler bezeichnende Färbung, doch während Shamera ihre Anziehungskraft dem Kleid und Schminke verdankte, erwies sich diese Frau als natürliche Schönheit. Sie war klein, zierlich und sehr schwanger.
Ah, dachte Sham. Das erklärte die Bemerkung über das ›erste Enkelkind‹. Ven hatte ihr nicht den Eindruck eines Mannes vermittelt, der eine Frau in anderen Umständen als anziehend empfinden würde; dass er sich dennoch mit ihr eingelassen hatte, ließ verborgene Tiefen erahnen, die sie aufgrund ihrer ersten Begegnung nicht in ihm vermutet hätte. Oder, was wahrscheinlicher anmutete: Er hatte es lediglich auf ihr Vermögen abgesehen.
Lady Sky behielt ein freundliches Lächeln im Gesicht, als sie sich den Weg zum Vogt bahnte. Ohne Sham zu beachten, küsste die Frau den Vogt auf die Wange und sagte in akzentfreiem Cybellisch: »Guten Morgen, Kerim. Ich vermute, du und Lady Tirra haben wieder über Fahill gesprochen, richtig?«
Der Vogt lächelte, allerdings wirkte sein Gesichtsausdruck dabei verhalten. Was eigenartig war, denn Lady Sky war neben Lady Tirra die bislang Einzige, die Shamera den Vogt mit Vornamen anreden gehört hatte. Sie fragte sich, ob zwischen Kerim und der Witwe seines Freundes etwas gewesen sein mochte.
»Wir haben über Fahill gesprochen«, erwiderte er wahrheitsgemäß. »Meine Mutter sah sich genötigt, deinen angeheirateten Bruder für seinen unnatürlichen Hass gegen Frauen zu rügen.«
Lady Tirra presste vor Zorn die Lippen aufeinander. »Ich habe lediglich angedeutet, dass er, wenn er auch nur einen Funken Achtung vor der Frau hätte, die ihn geboren hat, nicht eine werdende Mutter aus ihrem eigenen Haus vertreiben würde.«
Lady Sky lachte und schüttelte den Kopf. »Danke dafür, Lady Tirra, aber mein Schwager weiß, dass ich mich immer auf Eure Großzügigkeit verlassen kann, wenn ich eine Unterkunft benötige. Er erhebt lediglich Anspruch auf meinen Besitz, tut mir aber nichts zuleide.« Sie wandte sich wieder dem Vogt zu und meinte in leicht scheltendem Tonfalclass="underline" »Aber wir sind unhöflich. Würdest du mich wohl deiner Gefährtin vorstellen, mein Lord Kerim?«
Kerim hatte es genossen, den Hof und seine Mutter vor den Kopf zu stoßen, aber Sham hörte das Zögern in seiner Stimme, als er sie Lady Sky vorstellte. Sham nickte der anderen Frau zu und begann, mit einer Naht von Kerims Tunika zu spielen.
»Ich habe vor mehreren Jahren von Lord Ervans Tod gehört«, sagte Lady Sky in dem offensichtlichen Versuch, Sham entgegenzukommen. »Ich kannte ihn nur dem Namen nach, aber er stand im Ruf, ein freundlicher Mensch zu sein. Mir war nicht bewusst, dass er verheiratet war.«
Sham senkte bescheiden den Blick, zerstörte diesen Eindruck jedoch dadurch, dass sie die Hand von Kerims Samttunika löste und zur nackten Haut an seinem Schlüsselbein hob. Sie konnte beinahe hören, wie Kerims Mutter, die ihr bis dahin beharrlich keinerlei Beachtung geschenkt hatte, vor Empörung erzitterte. Kerim ergriff fest ihre Hand und führte sie zu seinen Lippen, bevor er sie zurück auf den Stuhl legte.
»Wir haben in der Tat erst kurz vor seinem Tod geheiratet«, räumte Sham abwesend ein. Dann fuhr sie in wesentlich lebhafterem Tonfall fort: »Kerim, diese Tunika sitzt an den Schultern nicht richtig. Überlass sie heute Abend mir, dann passe ich sie für dich an.«