Er hob eine Hand und tätschelte damit die ihre. »Wie du willst, meine Liebe.«
»Du siehst müde aus, Kerim.« Lady Skys Besorgnis wirkte aufrichtig, und Sham spürte, wie sie sich ein wenig für die Frau erwärmte. »Wenn du möchtest, stellte ich Lady Shamera den Mitgliedern deines Hofes vor, dann kannst du dich ausruhen.«
Kerim schüttelte den Kopf. »Tatsächlich fühle ich mich heute besser als seit geraumer Zeit. Sonst hätte ich noch damit gewartet, Shamera in diese Schlangengrube zu führen – ihr fehlt es an der nötigen Erfahrung, um sich selbst zu beschützen. Ervan war ein Einsiedler, sogar er selbst hat das zugegeben. Und er hat sie zusammen mit sich abgekapselt.« Kerim wandte sich an Lady Tirra und lenkte das Gespräch auf weniger persönliche Belange. »Dickon hat mir mitgeteilt, dass du für heute ein rechtes Spektakel geplant hast.«
»Würdest du wohl Abstand davon nehmen, den Klatsch der Dienerschaft wiederzugeben? Das geziemt sich nicht.« Lady Tirras Schelte erfolgte ohne Leidenschaft; offensichtlich handelte es sich dabei um einen alten Kampf, den sie längst verloren gegeben hatte. »Allerdings trifft das Gerede in diesem Fall zu. Der Mann wurde von nicht weniger als drei meiner Hofdamen wärmstens empfohlen.«
»Ich freue mich schon darauf. Und nun, meine Damen, werdet ihr uns entschuldigen müssen, während Lady Shamera und ich uns weiter den Weg durch diese Meute bahnen.« Kerim setzte seinen Stuhl in Bewegung.
Als sie sich von einer kleinen Gruppe zur nächsten vorarbeiteten, spürte Sham die ihr folgenden Blicke: Empörte Frauen und neugierige Männer ließen ihr Kleid, ihre Anwesenheit und ihre wahrscheinliche Position auf sich wirken, bevor sie sich dem Vogt zuwandten.
Shamera fiel auf, dass er bei den meisten Höflingen aus dem Osten nicht allzu beliebt zu sein schien. Zwar verschleierte deren Gebaren ihr Empfinden beinahe genauso gut, wie Shams bauchfreies Kleid ihren Mangel an Schönheit überspielte – aber es schwang kaum Herzlichkeit in den Stimmen mit, während sie sich in blumigen Begrüßungsfloskeln ergingen. Kerim, so vermutete sie, bezahlte für seine Versuche, das Land zu einen.
Doch was ihm die Ostländler an Ablehnung entgegenbrachten, wogen die wenigen Adeligen aus Südwald im Saal wieder auf. Sie standen in einer losen Gruppe an einem Ende des Raumes beisammen. Als sich Kerim näherte, unterbrachen sie ihr Gespräch, und ein Adeliger trat vor, um sich tief zu verbeugen.
Seinen Gesten haftete eine geringfügige Wachsamkeit an, die jedoch der Herzlichkeit seiner Begrüßung keinen Abbruch tat. »Mein Lord, wir haben uns gerade darüber unterhalten, ob es mehr Vorteile bietet, die Felder im Frühling oder im Herbst zu brandroden. Da sich das Gespräch ohnehin zu einem bloßen Vortrag statt zu einer anregenden Erörterung entwickelt hat, kommt uns die Ablenkung gerade recht.«
Kerim lächelte, und Sham sah in seinem Gesichtsausdruck eine ebenso herzliche Gewogenheit. »Klingt, als wärt Ihr im Begriff gewesen, das Zwiegespräch zu verlieren, Halvok.«
Mehrere der Südwäldler hatten sich von der Gruppe entfernt, doch nach Kerims Bemerkung entspannten sich die Verbliebenen und tauschten freundschaftliche Neckereien mit dem Mann aus, den Kerim als Halvok angesprochen hatte.
»Gestattet mir, Euch meine Gefährtin vorzustellen: Lady Shamera, Witwe von Lord Ervan«, sagte Kerim. »Lady Shamera, das sind die Lords Halvok, Levrin, Shanlinger und Chanford.«
Sham bedachte sie alle mit einem ungewissen Lächeln. Die Namen klangen alle vertraut, und Chanford erkannte sie auch wieder, wenngleich er inzwischen deutlich älter geworden war. Er hatte in den letzten Tagen des Einmarsches zu den Verteidigern der Feste gehört – sie bezweifelte, dass er sich an die magiebegabte Tochter des Hauptmannes der Garde erinnerte. Und falls doch, dürfte er Lady Shamera kaum mit ihr in Verbindung bringen.
Lord Halvok war offensichtlich der Anführer der Gruppe, was sowohl aus seiner Rangordnung bei Kerims Vorstellung als auch aus der Hochachtung hervorging, die ihm die anderen Lords entgegenbrachten. Er war jünger als Chanford, aber ein gutes Jahrzehnt älter als Kerim. Da er für einen Südwäldler eher klein war, besaß er in etwa die Größe eines durchschnittlichen Cybellers. In seinem Haar überwog das Silber gegenüber dem Gold, und sein gestutzter Bart war vollkommen weiß. Als er ihre Hand ergriff und sich darüberbeugte, bemerkte sie flüchtig einen abwägenden Ausdruck in seinen Augen. Als schätze er einen neuen Jagdhund ein.
Kerim sprach mit ihnen über mehrere kleine Angelegenheiten, bevor er mit Sham an der Seite weiterzog. Sie waren noch nicht weit gekommen, als jemand Glocken läutete und die Aufmerksamkeit der Menge auf einen Bereich des Saales lenkte, in dem eine Plattform errichtet worden war. Auf dieser Bühne, vom Boden aus gut zu sehen, stand ein Mann in einer schwarzen Robe mit einer Kapuze, die sein Gesicht verhüllte.
Mit einer dramatischen Geste hob er die Hände, und an beiden Enden der Bühne stieg blauer Rauch aus silbernen Urnen auf. Infolge einer zweiten Geste schossen Flammen hinterher, begleitet vom anerkennenden Gemurmel der Menschenmenge. Nachdem sich der Magier so die Aufmerksamkeit gesichert hatte, wartete er geduldig darauf, dass sich sein Publikum einfand. Kerim suchte sich ein Plätzchen weit vorne, wodurch Sham das Geschehen deutlich im Blickfeld hatte.
»Herzlich willkommen, meine wackeren Herren und holden Damen.« Die Stimme des Magiers klang dunkel und geheimnisvoll. Sham konnte beobachten, wie mehrere feine Damen wohlig erschauderten. »Ich danke Euch für die Gelegenheit …«
»Tabby? Tab-by!«, unterbrach ihn die schrille Stimme einer Frau vom nächstgelegenen Eingang.
Wie die meisten Anwesenden schaute Sham hinüber und erblickte eine der Dienerinnen, die den Magier ungläubig anstarrte, der ihren Blick mit derselben Verblüffung erwiderte. Die aus den Urnen aufsteigenden Flammen gerieten ins Stocken und erloschen.
»Tabby, was machst du denn da? Weiß Meister Royce, was du treibst?« Die Frau stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf, als er von der Bühne sprang und mit eindringlichen Gesten, sie möge schweigen, zu ihr eilte. Im Rennen klappte seine Kapuze zurück und entblößte das rundliche, sommersprossige Gesicht eines jungen Mannes.
»Sei still, Bess«, flüsterte er weithin vernehmlich und warf einen unruhigen Blick zur Menschenmenge. »Meister Royce ist …« Erneut schaute er zu den gebannt lauschenden Versammelten, beugte sich näher zu der Frau und tuschelte etwas in ihr Ohr.
»Was hast du gesagt?«
Der Magier räusperte sich und tuschelte erneut.
Sie lachte und wandte sich an das Publikum. »Er sagt, Meister Royce hatte gestern Abend ein paar zu viel. Ihr werdet Euch mit seinem Lehrling begnügen müssen.«
Die Anwesenden spendeten tosenden Beifall, als sie begriffen, dass es sich um einen Bestandteil der Aufführung handelte. Der Magier bahnte sich verlegen den Weg zurück zur Bühne und betrachtete stirnrunzelnd die Silberurnen. Jene, die sich ihm am nächsten befand, rülpste entschuldigend eine kurze Flamme hervor.
»So schlecht bin ich nun wirklich nicht«, erklärte der Lehrling in ernstem Tonfall. »Ich habe sogar Meister Royces Hausgeist mitgebracht, um Hilfe zu haben, falls ich die Zaubersprüche vergesse.« Er zeigte auf einen mit einem schwarzen Tuch bedeckten Tisch, den man unauffällig hinter ihm aufgestellt hatte. Das Tuch wies verschiedene Buckel auf, und eine dieser Erhöhungen schien sich nun Richtung der Vorderkante des Tisches zu bewegen. Der Buckel richtete sich für einen Augenblick weiter auf, bevor er wieder etwas zusammensank.
Die Menge lachte, was den Magier zu freuen schien. Sham beobachtete in anerkennender Stille, wie dieser Meister der Fingerfertigkeit eine Fassade gespielter Stümperhaftigkeit benutzte, um sein Publikum abzulenken.