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Er zog ein kleines Kaninchen unter der Tunika eines Adeligen hervor und betrachtete es mit kummervollem Blick. »Das sollte eigentlich eine Goldmünze sein. Lasst es mich noch einmal versuchen.«

Er steckte das Kaninchen zurück unter das Kleidungsstück des peinlich berührten Adeligen, dessen Kameraden ihn bereits zu hänseln begannen, doch auch diesmal wurde es keine Goldmünze. Die Menge tobte, und der cybellische Adelige errötete, wenngleich auch er lachte. Stumm hielt der Magier ein hauchdünnes Nichts aus Musselin in den Fingern, das sich mühelos als Unterwäsche einer Dame erkennen ließ.

Der Adelige riss es ihm aus der Hand und rief im Tonfall eines Feldbefehlshabers: »Also, wie ist das nur dahin gelangt?« Dann öffnete er seine Lederbörse, stopfte das spitzenbesetzte Kleidungsstück hinein, holte eine Münze hervor und sagte: »Hier ist deine Goldmünze, Junge.«

Der Magier nahm sie entgegen und schüttelte den Kopf. »So also macht das Meister Royce.«

Während die Zuschauer jubelten, kehrte der Magier zur Bühne zurück und zog das Tuch weg, das den Tisch verhüllte. Das Publikum wurde still, als er mit den Requisiten, die er mitgebracht hatte, Wunder zu wirken begann. Ohne den Einsatz eines Funkens echter Magie gelang es ihm, die abgebrühten Anwesenden in Staunen und Ehrfurcht zu versetzen – jedenfalls die meisten.

Obwohl Lord Kerim die Vorführung genauso zu genießen schien wie die anderen, richtete er einen steten Strom erklärender Worte an Sham, die in der Regel mit »Dickon sagt …« begannen.

»Dickon sagt, dass es zwei Gläser sind, eines innerhalb des anderen«, murmelte er, als der Magier Wasser erscheinen und wieder verschwinden ließ, indem er ein Glas durch eine breite Lederröhre bewegte. »In der Röhre sind Haken eingenäht, die das innere, mit Wasser gefüllte Glas abfangen, und das äußere Glas, das er uns jetzt zeigt, ist leer. Sieh nur, wie sorgsam er darauf achtet, dass die Röhre aufrecht bleibt.«

Es hätte Sham normalerweise durchaus interessiert, welcher Mittel sich der Magier mit seinem tadellosen Können bediente; die Behauptung, er sei ›lediglich ein Lehrling‹, konnte man jedenfalls getrost als Lüge bezeichnen. Aber andererseits war sie davon überzeugt, dass es sich bei der Vorstellung vor allem um einen unverhohlenen Angriff auf ihren Begriff von Magie handelte.

»Der Deckel des Topfs hat einen doppelten Boden«, erklärte Kerim weiter und nickte in Richtung des leeren Topfs, den der Magier nun hochhielt, um ihn allen zu präsentieren.

Der Unterhaltungskünstler ergriff einen kleinen Zweig vom Tisch hinter ihm und steckte ihn mit einem Atemzug in Brand. Das brennende Holzstück legte er in den Topf.

»Er zeigt uns den leeren Topf«, fuhr Kerim fort, »setzt den Deckel drauf, und der federgelagerte doppelte Boden wird in den Topf gedrückt und löscht das Feuer zwischen den zwei Metallplatten. Dickon sagt, dass zwischen dem doppelten Boden und der Oberseite des Deckels genug Platz für ein, zwei kleine Tiere ist – vielleicht ein paar Tauben. Sie nehmen weniger Raum ein, als man meinen möchte, wenn man sieht, wie sie mit den Flügeln flattern.«

Sham lächelte, und da sie genug von Kerims lehrmeisterhaftem Vortrag hatte, begann sie, ihre Magie zu wirken. Die Vorstellung ging so weiter, wie Kerim es vorhergesagt hatte. Als der Topf geöffnet wurde, war das Feuer erloschen – und wurde ersetzt durch zwei gurrende Tauben … und einen Fischadler.

Der Raubvogel streckte sich, stellte seine beeindruckende Flügelspannweite zur Schau und ließ einen Blick aus feindseligen Augen über die Menge wandern. Die Tauben ergriffen währenddessen verängstigt die Flucht.

Die Zuschauer, denen der Ausdruck sprachloser Verblüffung im Gesicht des Magiers entging, fingen zu klatschen an; der Fischadler stieß einen Schrei aus und erhob sich in die Luft. Er kreiste zweimal durch den Saal, bevor er auf den mittleren Flügel des Buntglasfensters zuflog, das sich über die halbe Höhe zwischen der gewölbten Decke und dem polierten Boden erstreckte.

Ein Keuchen entfuhr der Menge, als der Vogel das Glas erreichte und hindurchglitt, ohne die wertvolle Scheibe zu beschädigen. Während der Beifall anschwoll, fand der ›Magier‹ sein sicheres Auftreten wieder und verneigte sich tief.

Sham schüttelte den Kopf. »Schon unglaublich, wie der Mann den Fischadler in den Deckel des Topfs gequetscht hat. Und was glaubst du, wie hat er das mit dem Fenster gemacht?«

Mit großen Augen sah sie Kerim unschuldig an. Dessen verdrossene Miene war ihr die Mühe der Zauberei allemal wert.

Der Unterhaltungskünstler beschloss klugerweise, seine Vorführung zu beenden, obwohl er einige Requisiten noch nicht benutzt hatte. Er warf die Hände hoch, und blauer Rauch erfüllte die Luft. Als sich der Qualm lichtete, war er verschwunden. Das falsche Dienstmädchen sammelte Münzen von den Versammelten ein, während mehrere dunkel gewandete Männer die Habseligkeiten des Magiers zusammenpackten.

Als sie sich von der Bühne entfernten, spürte Sham, wie sich Kerims Schulter leicht versteifte. Sie schaute auf und erblickte einen groß gewachsenen, hageren Mann in roten und goldenen Klerikergewändern, der sich zielstrebig einen Weg durch das Gewirr der Menschen bahnte, die zwischen ihm und Kerim standen. Wie viele der Cybeller besaß auch dieser Mann dunkle Haut, wenngleich sein Haar eine goldene Farbe aufwies, die man bei einem Ostländler selten zu Gesicht bekam. Seine adlergleichen Züge und seine Haltung verliehen ihm eine fesselnde Ausstrahlung, die von einer friedlichen Selbstsicherheit verstärkt wurde, mit der nur Glaubenseiferer oder Wahnsinnige gesegnet waren.

Links neben ihm befand sich ein kleiner, schlanker Mann, der so strahlend weiße Gewänder trug, dass Sham unwillkürlich Mitleid für seine Wäscherin empfand. Er hielt das Haupt geneigt und hatte einen entschieden friedlichen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Die Hände ruhten gefaltet über dem grünen, zweifach um seine Mitte gewickelten Gürtel.

Sham blieb hinter Kerims Stuhl stehen. Sie erkannte den vorderen Mann an seinen Amtsroben; es handelte sich um Lord Brath, Altis’ Hohepriester. Shamera musterte ihn mit zu Schlitzen verengten Augen, bevor sie den Blick zu Boden senkte – dieser Mann hatte zu jenen gehört, die ihren Meister verurteilt hatten. Er war bei ihren Rachediebstählen noch nicht an der Reihe gewesen; doch vielleicht sollte sie ihre Bemühungen bei ihm fortsetzen.

»Lord Kerim«, sprach er mit einer volltönenden Stimme, die für das Singen von Lobliedern wie geschaffen zu sein schien. »Wie ich höre, habt Ihr mein Gesuch um zusätzliche Mittel für die Errichtung des neuen Tempels abgelehnt.«

»Ja«, bestätigte Kerim unumwunden und in so erhabenem Tonfall, dass Sham ihn voller Respekt ansah.

»Das ist nicht hinnehmbar. Die Gilde der Glaser hat einen Entwurf für die Eingangshalle vorgelegt, der perfekt ist, aber es bedarf der von mir ersuchten Mittel, um mit den Arbeiten zu beginnen. Das Rubinglas ist besonders kostspielig, und der Vorrat reicht kaum aus.«

»Dann werden die Arbeiten nicht beginnen. Für das Staatssäckel gibt es Angelegenheiten, die dringender sind als ein weiteres Buntglasfenster. Falls Ihr mit meiner Entscheidung unzufrieden seid, könnt Ihr das in Euer nächstes Schreiben an den Propheten aufnehmen.« Kerim schob seinen Stuhl vorwärts.

Der Hohepriester stellte sich ihm in den Weg. »Das habe ich bereits. Er hat mir einen Brief für Euch geschickt.«

Hinter seinem Rücken verdrehte der kleinere Priester die Augen und zuckte hilflos mit den Schultern.

»Na schön«, sagte Kerim. »Kommt in meine Gemächer, nachdem das Abendessen aufgetragen und abgeräumt worden ist.«

»Verlasst Euch darauf, Lord Kerim«, erwiderte der Hohepriester düster.

»Der ist dir nicht wohlgesonnen«, merkte Sham an, als sich die Männer der Kirche außer Hörweite hinter ihnen befanden.

»Er bereitet mir kein Kopfzerbrechen.« Kerims Stimme verlor den hochmütigen Tonfall genauso mühelos, wie sie ihn zuvor angenommen hatte. »Brath ist zu sehr mit Fenstern und Altären beschäftigt, um eine echte Bedrohung zu sein. Seine rechte Hand Fykall hingegen – der kleine Priester in Weiß und Grün – ist eine andere Geschichte. Er hat sich für mich als unbezahlbar erwiesen. Allerdings vermute ich, das liegt nur daran, dass er meine Auffassung dessen teilt, was Südwald braucht. Also mussten wir einander nicht bekriegen – noch nicht. Falls es je dazu kommt, bin ich nicht sicher, wer am Ende die Oberhand behalten wird.«