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Sham erhaschte einen flüchtigen Blick von irgendetwas, als sie eine leichte Berührung an der Schulter spürte. Dass es sich um einen Angriff gehandelt hatte, wurde ihr erst klar, als sie die Wärme ihres Blutes spürte, während es ihr den Arm hinablief. Was immer benutzt worden war, um sie zu schneiden, es war so scharf, dass es anfangs nicht wehtat – ein Umstand, der sich jedoch schon kurz darauf änderte.

Sham gelangte zu dem Schluss, dass es Vorteile haben könnte, in ihrer Rolle zu bleiben, und schrie um Hilfe. Sie hoffte, dass die Mauern dünner waren, als sie wirkten, sodass Kerim sie hören könnte. Bislang hatte der Dämon aus nur ihm bekannten Gründen ein öffentliches Auftreten vermieden; Sham musste sich darauf verlassen, dass er dieses Muster beibehalten würde. Ihr ermangelte es noch der Kenntnisse, die man benötigte, um den Dämon zu vernichten, wenngleich sie auch die Flüsterer nach Zauberern suchen ließ, die dazu in der Lage sein könnten. Ohne Hilfe von außen mochte es also durchaus sein, dass sie die Nacht nicht überlebte.

Mit der Hand an der Schulter wirbelte sie herum, hielt verzweifelt nach ihrem Angreifer Ausschau und achtete dabei sorgfältig darauf, das Gebaren beizubehalten, das sie für ihre Rolle als Mätresse des Vogts angenommen hatte. Im Raum herrschte Stille. Er schien so menschenleer zu sein wie vor dem Angriff. Sie konnte nur den eigenen rauen Atem hören.

Wie in der Hütte des Alten Mannes bediente sich der Eindringling keiner der herkömmlichen Methoden, Unsichtbarkeit zu erzeugen. Ganz gleich, wie mächtig ein Sichtvermeidungszauber auch war: Ein Magier, der um die Gegenwart des Bannwirkers wusste, konnte den Zauber überwinden – genau wie bei jeder anderen Sinnestäuschung. Sham konnte nichts Ungewöhnliches sehen. Warme Flüssigkeit troff von ihren Fingern, doch sie blickte nicht zu dem wachsenden Fleck auf dem Boden hinab.

Seinen Hunger hatte er erst in der vergangenen Nacht gestillt, deshalb hatte er nur vor, den Neuankömmling zu beobachten – wenngleich er den Dolch schon für eine mögliche Verwendung auf den Kaminsims gelegt hatte. In seiner ureigenen, körperlosen Form gestaltete es sich schwierig, Waffen zu tragen.

Der Chen Laut atmete tief ein. Der Geruch des Angstschweißes der Frau war erregend – viel zu erregend, um ihm zu widerstehen. Sie war so verwundbar … geradezu mitleiderregend. Dank der Erfahrung eines Jahrtausends, in welchem er die Entdeckung durch Menschen gemieden hatte, war ihm durchaus bewusst, dass er ein unnötiges Wagnis einging. Noch vor einem Jahrzehnt hätte er dem Drang, diesen Menschen zu verletzen, widerstanden – aus Angst davor, sich zu verraten.

Aber die Feste wurde von Narren bevölkert, die weder an Magie noch an Dämonen glaubten: Und diese Frau spielte an einem Ort, an den sie nicht gehörte. Er richtete die Gedanken flüchtig auf den verkrüppelten Menschen, den er auf der anderen Seite der Tür hörte, wie er sich zu dem Stuhl mit Rädern mühte, nur um ihn sogleich zusammen mit dem letzten Rest seiner Vorsicht abzutun.

Beim Betreten des Raumes hatte der Dämon seine Zweitgestalt angenommen und Magie heraufbeschworen, um seinen Körper vor der Frau zu verbergen. Als körperloses Wesen brauchte der Dämon eine leibliche Gestalt, um Gegenstände auf dieser Welt beeinflussen zu können. Der Beschwörer hatte ihm zwei zur Verfügung gestellt. Die erste Gestalt musste geschützt werden; ohne sie wäre der Dämon machtlos und würde auf ewig hilflos umhertreiben. Die zweite Gestalt hingegen war zwar unendlich nützlicher, aber trotzdem nicht zum Überleben erforderlich.

Langsam fasste Sham mit einer Hand hinter sich und tastete zwischen den Gerätschaften herum, die an Haken in der Nähe des Kamins hingen. Mit ihrer Magie würde sie das Wesen vermutlich nicht verletzen können, bis sie besser verstand, gegen was sie eigentlich kämpfte – daher beschloss sie, etwas anderes zu versuchen. Das offensichtlichste Werkzeug, zu dem eine verängstigte Frau greifen würde, war der Schürhaken. Doch sie hatte nicht die Absicht, dem Dämon nah genug zu kommen, um eine derart wirkungsarme Waffe einzusetzen. Sham stieß den Schürhaken absichtlich laut zu Boden und schnappte sich stattdessen die kleine Schaufel, als hätte sie ihr Ziel verfehlt. Sie hielt den Eisengriff mit einer Unbeholfenheit, die sie nicht spielte; ihre Schulter schmerzte.

Zu ihrer Rechten ertönte ein leises Geräusch, als schabe etwas Hartes über einen Abschnitt des Bodens, der nicht von Teppich bedeckt war. Sie war überzeugt davon, dass der Dämon genauso in der Lage wäre, Laute zu verschleiern, wie Sham selbst es konnte: Er köderte sie.

Das nächste Geräusch erklang lauter und zu ihrer Rechten. Sie drehte sich dem Feuer zu und tauchte die Schaufel in die heißen Kohlen. Ohne in der Drehung innezuhalten, schleuderte sie die glühenden Klumpen in die allgemeine Richtung des zweiten Geräuschs.

Als sie hinschaute, erkannte Sham ansatzweise die Gestalt ihres Angreifers. Wenngleich die Magie sein Gesicht verbarg, schien es sich um einen Mann zu handeln. Sie musste ihn mit einigen der Kohlen getroffen haben, denn er kreischte in unmenschlich hohen Tönen. Als der Lärm erstarb, hörte sie, wie jemand am Riegel der Tür zu Kerims Zimmer rüttelte.

Als sich Sham der Tür zudrehte, packte der Eindringling sie an den Schultern und stieß sie in Richtung der gegenüberliegenden Wand. Sie landete auf dem polierten Nachttisch, was weder ihrem Wohlbefinden noch dem des kleinen, vormals robusten Möbelstücks zuträglich war. Da sie an Straßenkämpfe gewöhnt war, auch wenn sie noch nie jemand quer durch einen Raum geschleudert hatte, gelang es ihr, sich abzurollen und auf die Füße zu kommen. Gleichzeitig schüttelte sie Holzsplitter von sich ab.

Der Dämon hatte die Schatten um sich gebündelt, indem er denselben Zauber benutzte, den Sham gern auf den dunklen Straßen von Fegfeuer einsetzte. In dem düsteren Raum verhüllten die unnatürlichen Schatten den gesamten Bereich, bis Sham nur noch die Kohlen sehen konnte, die auf den Bettlaken gelandet waren und begannen, den Stoff zu entzünden.

Als sie in die Finsternis spähte, entlockte ihr der Dämon einen überraschten Aufschrei, indem er ihr einen Schnitt an der nackten Wade versetzte. Sie schaute hinab, bevor der Streich vollendet war, und erhaschte in der Dunkelheit einen flüchtigen Blick auf etwas Metallisches – die vermaledeite Kreatur benutzte ein Messer!

Aus unerfindlichem Grund ließ diese Erkenntnis ihre Angst in Wut umschlagen. Sie wurde von einem Dämon angegriffen, einer sagenumwobenen Gestalt aus Liedern und Geschichten – und das Wesen bediente sich eines Messers wie ein gewöhnlicher Dieb.

Knurrend kauerte sie sich hin, aber der sonderbare Schattenschleier verhüllte den gesamten Raum, und die Gegenwart des Dämons erwies sich als zu stark, um sie auf eine bestimmte Stelle fixieren zu können. Rauch von den kleinen Brandherden zwischen dem Bettzeug und den Teppichen erfüllte allmählich die Kammer. Er brachte ihre Augen zum Tränen, und sie bekam eine weitere Wunde verpasst, diesmal am Oberschenkel. Sham grunzte vor hilfloser Wut.

Ein ohrenbetäubendes Krachen hallte im Raum wider, gefolgt von verschiedenen Geräuschen, darunter das Öffnen und Schließen der Außentür, als der Eindringling in die Namenlosigkeit der Gänge draußen flüchtete.

Der Dämon rannte vorsichtig durch die Korridore, bis er sich weit von möglichen Verfolgern entfernt wähnte. Dem Vogt würde eher daran gelegen sein, die Frau zu beschützen, als ihren Angreifer zu finden. In den Schatten eines unbenutzten Raumes untersuchte er den ihn beherbergenden Körper. Der von den Kohlen verursachte Schaden erwies sich als gering, obwohl er eine beträchtliche Menge an Macht würde aufwenden müssen, um den Golem völlig wiederherzustellen. Die leichte Verärgerung, die er über die Mätresse des Vogts empfand, flammte kurzzeitig zu glühender Wut auf. Er beruhigte sich, indem er beschloss, dass diese Frau seine nächste Mahlzeit werden sollte. In sieben Tagen. Bis dahin konnte sie wenig Schaden anrichten.