Gold und Edelsteine überzogen die hintere Wand als glitzerndes Mosaik und bildeten das Katzensymbol, das für den Gott Altis stand. Die als funkelnde Augen der Katze dienenden Smaragde beobachteten gleichgültig, wie Sham drei der Münzen, die sie zuvor gestohlen hatte, auf ihre Handfläche legte.
Als sie dies zum ersten Mal getan hatte, hatten ihr die Augen der Katze Angst eingejagt. Sie hatte damit gerechnet, gleich vom Blitz getroffen zu werden, als sie ihren Zauber wirkte, aber es war damals nichts geschehen und seither auch nie. Trotzdem konnte sie sich des kalten Schauders nicht erwehren, der ihr über den Rücken kroch. Wie ein Krieger, der auf dem Schlachtfeld dem Feind Anerkennung zollt, nickte sie den grünen Augen zu, die sie beobachteten, dann wandte sie sich ihrer Arbeit zu.
Mit Gold ließ sich am einfachsten von allen Metallen Magie wirken, deshalb brauchte sie nicht lange, um Altis’ Katze aus der Rückseite der Münzen zu schmelzen. Zwei der Münzen ließ sie leer, doch auf die dritte zeichnete sie eine Rune, die Pech in das Haus einlud.
Sie hielt die dritte Münze über den Stern an der Stirn der Katze und bedeckte die grünen Augen mit den anderen zwei, beraubte so die Katze der Sicht. Während sie mit den Daumen auf die Augen und mit den Zeigefingern auf den Stern drückte, murmelte sie leise etwas vor sich hin, bis die goldenen Münzen verschwanden und das Katzenmosaik scheinbar unverändert zurückblieb.
Sham trat zurück und rieb sich unbewusst die Hände. Die von ihr benutzte Runenmagie war nicht schwarz; jedenfalls nicht ganz. Aber man konnte sie auch nicht gerade als gut bezeichnen, und sie fühlte sich immer ein wenig unsauber, nachdem sie damit gearbeitet hatte.
Viel Schaden würde der Bann nicht anrichten – für richtiges Unglück benötigte man eine besonders schwierige Rune. Der Alte Mann hätte dennoch vermocht, die Wirkung mehrere Jahre lang andauern zu lassen. Das Beste, was Sham bisher geschafft hatte, waren zehn Monate; aber sie wurde besser.
Beim Gedanken an den Mann, der ihr Lehrmeister gewesen war, legte Sham widerwillig die Hände auf die unsichtbaren Münzen und begrenzte den körperlichen Schaden, den die Rune verursachen konnte, damit durch den Zauber niemand dauerhaft verletzt wurde. Da sie dies für ihn tat, musste sie sich auch an seine Regeln halten.
Sham hatte Jahre gebraucht, um herauszufinden, wer die Schöffen gewesen waren, die ihren Lehrmeister zu Finsternis und Schmerz für den Rest seiner Tage verurteilt hatten. Die Aufzeichnungen, die in den frühen Tagen der Besatzung geführt wurden, waren lückenhaft und selbst für den einfallsreichsten Dieb schwierig zu beschaffen. Der Alte Mann selbst wollte es ihr nicht sagen – er war ein sanftmütiger Mensch, der nichts von Vergeltung hielt.
Eines Nachts jedoch hatte er einen Namen hervorgestoßen, als er im Schlaf Dinge aus der Vergangenheit nacherlebte. Sham benutzte den Namen, um einen alten Gerichtsschreiber zu befragen. Von ihm erfuhr sie drei weitere Namen. Sie erkundigte sich bei anderen und bot Geld für Auskünfte, bis sie die Namen aller fünfzehn Mitglieder des Gerichts hatte, das einstimmig entschieden hatte, die Hände des Hexenmeisters zu verkrüppeln und ihn zu blenden. Die Cybeller, die den Magier des Königs kämpfen gesehen hatten, konnten ihren Unglauben an magische Kräfte nicht aufrechterhalten, und sie hatten aus blanker Angst zurückgeschlagen. Erst später, nachdem die Magier Südwalds gelernt hatten, sich zu verbergen, konnten die Menschen aus dem Osten die Zauberei wieder als Aberglauben und Einbildung abtun.
Hätte Sham die Namen der Peiniger des Alten Mannes von Anfang an gekannt, hätte sie zweifellos alle vernichtet, doch die Sanftmut des Alten Mannes hatte ihr Werk verrichtet. Bestimmt wäre er sogar über das bisschen aufgebracht, das ihr zu tun gelungen war – sollte er je davon erfahren.
Ihr genügte, dass sie sich eine Bezahlung von ihnen geholt hatte, wenngleich sie es vielleicht auch nie bemerkten. Das Pech, das diese Leute eine Zeit lang verfolgen würde, war nichts im Vergleich zu den Schmerzen, unter denen der Alte Mann für den Rest seines Lebens zu leiden haben würde. Die Betroffenen würden es letztlich einfach abschütteln und ihr Leben weiterführen, aber Sham würde wissen, dass sie bezahlt hatten.
Das Gold, das sie raubte, hielt sie gut versteckt, und schon bald würde sie über die Mittel verfügen, die sie brauchte, um ein kleines Gehöft auf dem Land zu kaufen. Der Alte Mann war im Gebiet der Felder des nördlichen Südwalds geboren und aufgewachsen, und er weilte nur notgedrungen in der Stadt. Er hatte ihr einen Grund zum Weiterleben gegeben, nachdem ihre Eltern getötet worden waren, als die Feste fiel. Das konnte sie ihm mit der unfreiwilligen Hilfe seiner Zerstörer zurückgeben.
Sie verließ das Herrenhaus durch die Vordertür und benutzte ihre Magie, um die Schlösser hinter sich zu verriegeln. Nachdem sie sich wieder unter der Hecke hindurchgezwängt hatte, vergewisserte sie sich, dass sich niemand auf der Straße befand, bevor sie den Schutz der Schatten endgültig verließ. Mit etwas Glück würde es Monate dauern, bis jemand den Diebstahl bemerkte. Sham hoffte, dass niemand einen armen, unschuldigen Diener beschuldigen würde, doch das war deren Angelegenheit, nicht ihre.
Diesmal winkte sie dem Wächter nur zu, als sie an ihm vorbeitrottete, und tat so, als wäre sie ganz darauf bedacht, so schnell wie möglich ihrem Auftraggeber eine Antwort zu überbringen. In einer Woche würde der Mann sich überhaupt nicht mehr an sie erinnern.
Sham holte ihr Kleiderbündel und hielt in der Gasse an, die den Rand der zwar inoffiziellen, aber gemeinhin bekannten Grenzen von Fegfeuer kennzeichnete. Rasch tauschte sie die kostspielige Seide gegen eine Baumwollhose, ein weites Hemd und ein fleckiges Lederwams; eine Kluft, die ihr Geschlecht wesentlich zuverlässiger verschleierte als die Botenaufmachung. Das Unterhemd mit den Taschen behielt sie an.
Für die meisten Menschen stellte es ein gefährliches Unterfangen dar, nachts durch Fegfeuer zu wandeln. Aber Shams Gesicht kannte man, und es galt als sicher, dass es Dieben Pech bescherte, einen Magier zu bestehlen. Das genügte zum Schutz vor Südwalds Einheimischen, die bereits mehr Pech hatten, als sie brauchten.
Wie der Rest der Menschen aus dem Osten, die nach dem ursprünglichen Angriff auf Südwald hergekommen waren, glaubten die cybellischen Gossenstrolche gemeinhin nicht an Magie. Aber sie wussten genug über Shams Geschick im Umgang mit Messer und Dolch, dass sie gar nicht erst versuchten, an ihre ohnehin bekanntermaßen leeren Taschen oder ihre Geldbörse zu kommen. Hätten sie gewusst, dass Sham eine Frau war, hätten sie es sich vielleicht anders überlegt.
Shamera lief eine Weile vor sich hin, um sich zu vergewissern, dass sie nicht verfolgt wurde, nickte unterwegs einem Bekannten beiläufig zu und tauschte mit einem anderen herzliche Beleidigungen aus. Als sie den Hang hinunter zu den alten Docks gelangte, benutzte sie ihre Magie, um Schatten um sich zu scharen, die ihren Körper vor zufälligen Blicken verbargen.
Ohne das stete Murmeln, das die Wellen für gewöhnlich sogar in ruhigsten Zeiten verursachten, lag eine eigenartige Stille über den Docks. Auf dem Meer herrschte gerade die Geistebbe, die einen etwa eine Meile breiten Streifen von nassem geröllübersäten Sand unterhalb der niedrigsten Klippenspitzen zurückließ. Die alltäglichen Gezeiten ließen den Wasserpegel bloß wenige Fuß an den Pfählen der Docks absinken und setzten nur die Spitzen der Klippen der Luft aus. Aber einmal im Monat legte die Geistebbe den fahlen Strand für ein Zehntel des Tages frei. In dem einen Monat geschah es nachts, in einem anderen tagsüber.
Die Stützpfeiler der Docks ragten hoch in die Luft und zeichneten sich gegen das Mondlicht ab. Die Seepocken, die das Holz überzogen, trockneten während der wenigen Stunden der Ebbe. Jahre des Salzwassers und der Gezeiten hatten den dicken Pfeilern zugesetzt, und durch Vernachlässigung strotzten die Stege vor fehlenden und morschen Bohlen.
Der Abfall der See übersäte den langen Streifen des Strands. Fässer und zerbrochener Unrat lagen zwischen gesprungenen Muscheln und den aufgedunsenen Überresten von Meeresbewohnern. Hin und wieder bekam man auch das geborstene Holz eines Schiffes zu sehen, das sich die See geholt hatte, bis es bei der nächsten Flut weggespült wurde. Einst, so hieß es, sei ein uralter, mit Gold beladener Kahn auf den von Seetang überzogenen Sand geschwemmt worden, und der König von Südwald habe das Edelmetall verwendet, um daraus die großen Pforten der Feste zu schmieden.