Выбрать главу

Der Samt war an den Stellen, wo die Ärmel und die Seiten des Kleides aneinandergerieben hatten, fadenscheinig geworden, weshalb sie den Stoff dort hatte entfernen und die Ränder mit Goldlitzen veredeln lassen. Das Kleid ließ ihre Flanken somit von den Unterarmen bis halb hinunter zur Hüfte nackt und verließ sich allein auf das Gewicht des Stoffes, um zu verhindern, dass mehr als annehmbar offenbart wurde. Der Rock war auf ähnliche Weise kunstvoll geschlitzt.

Vorsichtig duckte sie sich unter dem Wandteppich hindurch und ging in Kerims Zimmer. Dabei bereitete ihr weniger Sorgen, wer dort sein könnte, als vielmehr, wie viel das Kleid preisgab, wenn sie sich bückte. Sie schaffte es hindurch, ohne etwas Unzüchtiges zur Schau zu stellen, und lächelte Dickon an, der allein in dem Raum mit einem abgedeckten Warmhalteteller wartete, der ihr Frühstück enthielt.

»Guten Morgen, Lady Shamera«, begrüßte der Diener sie, ohne sich anmerken zu lassen, dass er in der Nacht zuvor ihre Schulter genäht hatte. »Der Vogt hat mir aufgetragen, Euch auszurichten, dass er sich heute mit verschiedenen Antragstellern trifft, und bedauert, nicht in der Lage zu sein, Euch zu unterhalten. Er dachte, Ihr könntet es vielleicht aufschlussreich finden, die Höflinge zu besuchen. Er wird sich dann zum Abendmahl zu Euch gesellen.«

»Guten Morgen, Dickon. Danke.«

Nachdem Dickon gegangen war, aß Sham, danach trat sie allein einen Streifzug durch die Gänge an. Ihr Richtungssinn leistete ihr gute Dienste, und so hatte sie keine Schwierigkeiten, den öffentlichen Raum ohne fremde Hilfe zu finden. Diese östlichen Adeligen verkörperten einen wahrhaft müßiggängerischen Menschenschlag, wenn sie von früh bis spät nichts anderes taten, als die Ränke des Hofs zu schmieden. Sham zuckte in Gedanken mit den Schultern, setzte ein strahlendes Lächeln auf und stolzierte in den Raum.

Lord Ven, Kerims Bruder, näherte sich ihr als Erster, verneigte sich tief und küsste ihre Finger. »Ah, Lady, neben Euch verblassen die Sterne.«

Shamera wechselte zu einer verwirrten Miene und schüttelte den Kopf. »Das hatte ich nicht beabsichtigt. Ich mag die Sterne.«

Er verharrte kurz, bevor er sich aufrichtete. »Ich meinte damit nur, dass Eure Schönheit selbst die Sterne überstrahlt.«

»Oh«, machte sie, dann lächelte sie begreifend. »Euch gefällt mein Kleid. Ist es nicht wunderschön? Und es hat nur zehn Goldstücke gekostet. Kerim hatte nichts dagegen. Er mag meine Kleider.«

Lord Ven wirkte ein wenig verstört. Sham vermutete, dass es an der öffentlichen Erwähnung der Kosten des Kleides lag.

»Habt Ihr etwas gegessen, das Euch nicht bekommen hat?«, erkundigte sich Sham, die rundum Spaß hatte. »Ich habe festgestellt, dass ich mich durch Wintergrünöl besser fühle, wenn ich etwas gegessen habe, von dem mir schlecht wird.«

Vor weiterem Geschwätz wurde Lord Ven durch die Ankunft eines jungen Mannes bewahrt, dessen blonde Haare ihn als Südwäldler auswiesen. Sham schätzte ihn auf ein gutes Jahrzehnt jünger als sie.

»Ach, schöne Frau, erweist mir die Ehre, ein Stück mit mir zu spazieren. Lord Halvok hat mich ersucht, Euch zu unterhalten, da er gezwungen ist, Euch heute der Gesellschaft des Vogts zu berauben.«

Sham bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln. »Selbstverständlich. Sind wir uns gestern begegnet?«

Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin Siven, Lord Halvoks Pflegekind, Lord Chanfords jüngster Sohn.«

Sham ließ sich von dem Jungen wegführen und bemerkte, dass Lord Ven den Raum unauffällig hinter ihr verließ. Sie hängte sich bei Siven ein und plauderte mit ihm über belanglose Dinge.

Er verließ sie, als sie sich mit Lady Sky über Mode unterhielt, doch als sich die schwangere Dame entschuldigte, um sich in ihre Gemächer zurückzuziehen, heftete sich ein zweites Pflegekind an Sham. Anscheinend hatten Lord Halvok und sein Umfeld beschlossen, sie aus Schwierigkeiten herauszuhalten, wenn der Vogt sie nicht im Auge hatte. Es konnte nur Gutes daraus entstehen, eine Frau aus Südwald als Mätresse des Vogts zu haben.

Als Sham vor dem Abendessen in ihr Zimmer zurückkehrte, erwartete sie dort eine Botschaft. Sie war mit Wachs versiegelt, um zu verhindern, dass Bedienstete, die zufällig lesen konnten, einen Blick daraufwarfen. Zufrieden lächelte sie, als sie die Auskünfte überflog, die ihr die Flüsterer über die Adeligen des Hofes hatten zukommen lassen. In dieser Nacht würde sie drei oder vier ihrer Heime besuchen, um zu sehen, was es dort zu entdecken gab.

7

Sham unterdrückte ein Gähnen und ließ den Blick über die Gruppe der sie umgebenden Männer wandern. Mehrere von Lord Halvoks Jungspunden hatten sich unter die älteren Anwesenden gemischt. Kerim hatte recht – die abendlichen Versammlungen wurden besser besucht als die Zusammenkünfte während des Tages.

Er hatte vorgehabt, sie zu ihrer ersten Abendveranstaltung zu begleiten, hatte sich jedoch zu krank gefühlt. Ohne seine Respekt einflößende Gegenwart scharten sich die Männer wie Heuschrecken auf einem Weizenfeld um sie, was sie eher lästig als unterhaltsam fand. Entsprechend der Rolle, die sie spielte, schäkerte sie verhalten mit ihnen, ließ aber keinen Zweifel daran, dass ihre Treue dem Vogt galt.

Allmählich begann sie zu glauben, dass sich ihre Anwesenheit am Hof als nutzlos erweisen würde. Die Flüsterer besaßen umfassendere Kenntnisse über das weniger öffentliche Leben der Hofmitglieder, als sich aus den Hofgerüchten heraushören ließ. Über den Dämon jedoch hatte sie bisher noch nichts erfahren.

Für die Unterhaltung sorgte an diesem Abend ein Barde, der sich als höchst mittelmäßig erwies – was die Musik anging. Aufgrund der leidenschaftlichen Blicke, die er mit mehreren Hofdamen wechselte, vermutete Sham, dass sein Können auf anderen Gebieten überdurchschnittlich sein musste.

Abermals gähnte sie und kratzte sich unauffällig am Oberschenkel. Die Wunden, die ihr der Dämon zugefügt hatte, traten in jenen Abschnitt der Heilung ein, in dem sie juckten wie nasse Wolle. Shamera spielte ernsthaft mit dem Gedanken, sich früh in ihre Gemächer zurückzuziehen.

Sie öffnete schon den Mund, um sich bei ihrem derzeitigen Begleiter zu entschuldigen, als sie Lady Sky erblickte, die alleine saß, während in ihrer Nähe zwei Frauen aus dem Osten miteinander tratschten. Zu den Dingen, die Sham bei ihren Streifzügen am Hof festgestellt hatte, gehörte, dass die Lords von Südwald zwar von den Lords aus dem Osten geduldet wurden, die Frauen aus dem Osten hingegen kein ähnliches Entgegenkommen für Damen aus Südwald aufbrachten – deren Anzahl sich hier und derzeit auf zwei belief: Shamera und Sky.

Von Shamera, die entweder durch Kerims Gegenwart oder durch Halvoks Jungvolk beschützt wurde, hielten sie sich fern, aber Sky glich Freiwild, sobald Lady Tirra sich nicht im selben Raum befand. Dass die Männer aus dem Osten die Abneigung ihrer Damen gegen Lady Sky keineswegs teilten, verschlimmerte die Dinge nur.

So stumm wie unauffällig schüttelte Sham den Kopf und bahnte sich den Weg durch die Menge zu Lady Sky. Sie dachte daran, dass der Hai unbeirrt die Auffassung vertrat, dass ihre Schwäche für schutzlose Einzelgänger noch einmal ihr Tod sein würde.

Sky schaute erschrocken auf, als Shamera neben ihr Platz nahm – oder vielleicht lag es an ihrem violetten und gelben Kleid; aufsehenerregend genug dafür schien es jedenfalls zu sein. Ihr von Halvok eingesetzter Beschützer ergriff eine von Skys Händen und küsste sie zart, bevor er wie selbstverständlich in den Hintergrund zurücktrat und dafür sorgte, dass sich die beiden Damen aus dem Osten eine andere Beute suchen mussten.

»Sagt«, begann Shamera und richtete ihre Röcke rings um sie, »wie ist es einer Frau aus Südwald gelungen, einen Krieger aus dem Osten zu umgarnen?«

Sky musterte sie zunächst verhalten, doch offenbar überzeugte sie die Arglosigkeit in Shams Blick. »Ich habe ihn bei Fahills Wallfahrtstor kennengelernt.«

Shams Augen weiteten sich. »Wie romantisch! Mich hat Ervan von meinem Vater gekauft. Ich versichere Euch, daran war rein gar nichts romantisch. Als Wiedergutmachung habe ich ihn hart arbeiten lassen – so ist er gestorben.« Dem Vernehmen nach war Ervan, ein betagter, verbitterter Mann, im Bett verschieden. Kerim hatte ihr versichert, dass er selbst am Hof der Einzige war, der ihn je persönlich kennengelernt hatte.