Выбрать главу

Sham tippte Dickon auf den Arm und fragte: »Ist Kerim schon wach?«

Dickon, dem all die Aufmerksamkeit sichtliches Unbehagen bereitete, antwortete: »Ja, Herrin. Lady Tirra …«

»Seine Mutter«, unterbrach ihn Sham, als verkünde sie einer Gruppe Uneingeweihter eine Neuigkeit.

»Ja, Herrin«, sagte Dickon geduldig. »Seine Mutter hat einen neuen Heiler gefunden, der im Ruf steht, Wunder wirken zu können. Er ist gerade bei ihm.«

Sham dachte kurz darüber nach. Es schien offensichtlich, dass Dickon zu ihr gekommen war, um den Vogt vor einem Scharlatan zu retten. Natürlich dachte der Diener, dass ihr daran gelegen sein würde – immerhin stellte sie seine Mätresse dar. Obwohl sie ihr geheucheltes Gebaren vor Dickon seit der Nacht des Angriffs des Dämons aufgegeben hatte, wusste er nicht alles. Oder vielleicht doch? Das Ausmaß des Zorns, den sie verspürte, ängstigte sie regelrecht.

Als sie das Wort ergriff, achtete sie sorgsam darauf, nicht mehr als die Besitzgier einer Mätresse durchklingen zu lassen, die ihre Position bedroht sah. »Ein Heiler seiner Mutter? Wie lange ist dieser Mann denn schon bei Kerim?«

Dickon trat von einem Bein aufs andere und erwiderte: »Seit dem Abendessen.«

Sham lächelte strahlend. »Meine Herren, wenn Ihr mich bitte entschuldigt. Lord Van … äh, Ven, wir werden unser Gespräch auf ein anderes Mal verschieben müssen. Dickon …«

»Lord Kerims Diener«, ergänzte Halvoks Pflegekind Siven voll Belustigung.

Shamera nickte und fuhr voll Dramatik fort: »… ist gekommen, um mich zu holen. Lord Kerim braucht mich, und ich muss gehen.«

Nach einem flüchtigen Knicks folgte sie Dickon durch die Tür hinaus. Kaum befanden sie sich allein im Gewirr der Gänge, ließ sie die Fassade fallen und verfiel in einen alles andere als schicklichen Laufschritt.

»Wie schlimm ist er?«, fragte sie verkniffen.

»Ziemlich schlimm. Ich wusste nicht, was vor sich ging, bis ich einige der Kleidungsstücke Seiner Lordschaft aus den Flickräumen hineinbrachte. Anscheinend ist jemand aus dem Bekanntenkreis Ihrer Ladyschaft auf diesen Wunderwirker gestoßen. Dem Vernehmen nach ist er in der Lage, Lahme wieder gehen zu lassen. Lady Tirra hat ja schon mehrere solche Quacksalber angeschleppt, und die meisten sind harmlos. Aber dieser …«

»Ich bin auch Wunderwirkerin«, meinte Sham düster. »Pass nur mal auf, wie ich den Heiler auf wundersame Weise verschwinden lasse. Ist Ihre Ladyschaft auch dort?«

»Kerims Mutter?«, fragte Dickon in unschuldigem Tonfall.

Sham kicherte trotz der Dringlichkeit, die sie dazu bewog, geradezu zu rennen. »Das hat dir gefallen, was? Ja, die Mutter des Vogts.«

Er schüttelte den Kopf. »Im selben Raum mit einem teilweise entkleideten Mann? Niemals.«

»Wie konnte jemand wie Lady Tirra je einen ehelichen Sohn zeugen?«, fragte Shamera mit einem Anflug von Verwunderung.

Dickon schüttelte abermals den Kopf. »Im Leben geschehen bisweilen so seltsame Dinge, dass nicht einmal der kühnste Barde wagen würde, sie in Liedform zu verarbeiten, weil er fürchten müsste, dafür ausgelacht zu werden.«

Sham warf einen Seitenblick auf das Gesicht des Dieners. »Dickon!«, rief sie überrascht. »Du kannst ja doch lächeln!«

In wahrer Lady-Shamera-Manier stieß sie Kerims Tür so schwungvoll auf, dass sie beinahe gegen die Wand prallte. Sie eilte zu dem Holztisch, auf dem Kerim mit dem Gesicht nach unten lag. Er bekam von ihrem Eintritt nichts mit, da der Kopf in seinen Armen vergraben ruhte – dem dreckigen kleinen Mann, der neben ihm stand, entging er dafür keineswegs.

Sein Mund klappte unschön auf und offenbarte mehrere geschwärzte Zähne. Er setzte dazu an, gegen ihr Hereinplatzen aufzubegehren, doch als er das sinnliche Wesen wahrnahm, als das die Mätresse des Vogts ihm erschien, breitete sich statt Widerstand ein Lächeln in seinen Zügen aus.

»Kerim!«, rief sie und berührte zart die nackten Schultern des Vogts. »Dickon hat zwar gesagt, dass du nicht gestört werden willst, aber ich wusste einfach, du würdest nichts dagegen haben, wenn ich dir erzähle, dass Lady Sky den interessantesten kleinen Hut …« Kerim drehte sich ihr zu, und Sham schäumte innerlich über den teilnahmslosen Ausdruck, mit dem er sie bedachte. Sie sah jedoch zu, sich das nicht anmerken zu lassen.

Mit gerunzelter Stirn wandte sie sich an den ›Heiler‹. »Du musst jetzt gehen. Ich muss mit Kerim reden, und ich mag es nicht, wenn Fremde meine Privatgespräche belauschen.«

Der Mann richtete sich voller Empörung, die seine Lüsternheit dann doch überwog, zu ganzer Größe auf. »Wisst Ihr eigentlich, wen Ihr vor Euch habt?«

»Nein«, gab sie zurück und stemmte die Hände in die Hüften. »Ist mir auch egal, solange du jetzt gehst.«

»Ihre Ladyschaft …«, begann der Mann.

»Dickon!«, rief Sham, die wusste, dass er angespannt auf dem Gang wartete, um den Schaden zu begutachten.

Die Tür öffnete sich, und der Diener mit der stets unverbindlichen Miene trat ein. Der ehemalige Soldat ließ keine Anzeichen von dem wilden Lauf durch die Feste erkennen.

»Bring ihn weg«, befahl Sham beiläufig. »Danach kannst du zurückkommen und seine Habseligkeiten beseitigen.«

»Ja, Herrin«, antwortete der Diener bemerkenswert gefasst, als er den aufbegehrenden Mann mit einem Griff packte, der von seinen alten Fähigkeiten zeugte. »Ich werde unverzüglich zurückkehren.«

Als er ging, eilte Sham hinüber und schloss die Tür hinter ihm.

»Miese, dreckige kleine Pestbeule«, murmelte sie in bösartigem Tonfall, wenngleich ihr die Umgebung genug Respekt einflößte, nicht noch wüstere Kraftausdrücke zu benutzen.

Sie wandte sich wieder dem harten Holztisch zu, auf dem der Vogt nach wie vor lag, und stellte fest, dass er das Gesicht auf die Arme gebettet hatte. Sham achtete sorgsam darauf, ihn nicht zu berühren, als sie seinen Rücken aufmerksam auf Schäden untersuchte. »Warum hast du ihn das machen lassen?«

Kerim setzte zu einem Schulterzucken an, dann grunzte er. »Es kann nicht schaden, und es macht meine Mutter glücklich.«

Sham brummte leise etwas Passendes über die Dummheit von Mannsbildern, insbesondere die cybellischer Männer. Unter der wunderschön braunen Haut zuckten seine von jahrelangen Kämpfen gestählten Muskeln und verkrampften sich. Dunkel gesprenkelte Blutergüsse verrieten ihr, dass Tirras Heiler die kleinen Holzklöppel verwendet hatte, die auf einem nahen Tisch lagen, aber sie sah keine Blasen, die auf eine Nutzung der Eisenstange hätten schließen lassen, die über einer großen Kerze erhitzt wurde.

Shamera ergriff einen der Klöppel und zeichnete die Unglücksrune darauf, die sie benutzt hatte, um Maur zu rächen. Sie wünschte, sie wäre mächtig genug, um dem Fluch ein weiteres Jahr hinzuzufügen, und musste lange hin und her überlegen, bevor sie sich dazu durchrang, das Zeichen zu ergänzen, das die Menge des Schadens begrenzte, den der Zauber verursachen konnte.

»Was machst du da?«, fragte der Vogt, dessen Stimme nur geringfügig rauer als sonst klang.

Shamera schaute auf und sah, dass er den Kopf gedreht hatte, um sie zu beobachten. Ebenso fiel ihr auf, dass er vor Schmerzen tunlichst darauf achtete, sonst nichts zu bewegen. Sie war versucht, die Begrenzung des Bannes doch wieder zu ändern.

»Das ist nur ein kleiner Bann«, erklärte sie in bestem Mätressentonfall. »Also, was diesen Hut angeht …«

Er lächelte – müde zwar, aber es war ein Lächeln. »Was diesen Zauber angeht …«

»Ich dachte, du hättest Zweifel an Magie.«

»Habe ich auch, aber ich habe es mir zum Grundsatz gemacht, nie eine Möglichkeit völlig auszuschließen. Was im Übrigen auch einer der Gründe ist, warum du jetzt hier überhaupt bist. Was diesen Zauber angeht …«, wiederholte er mit fester Stimme, und sein Lächeln wurde ein wenig gezwungen.

»Nur etwas, um diesen kleinen Wurm ein wenig zu beschäftigen …« Sham verstummte, als ihr ein vielversprechender Gedanke kam. »Ich frage mich, ob der Hai von ihm weiß. Ich muss ihn fragen.«