Выбрать главу

Kerim begann zu lachen, verstummte jedoch abrupt und biss die Zähne zusammen.

Dickon betrat leise den Raum. Aufgrund seines zufriedenen Gesichtsausdrucks und ein paar leichten Spuren von Rot an den Knöcheln seiner rechten Hand vermutete Shamera, dass er ein wenig seiner eigenen Form von Vergeltung geübt hatte.

Leise räusperte er sich, um Kerim seine Gegenwart anzuzeigen, bevor er sagte: »Der Heiler hat entschieden, in den Küchen zu warten, bis wir seine Habseligkeiten holen. Falls Ihr es vorzieht, Euch eine Weile auf dem Tisch auszuruhen, bevor wir versuchen, Euch zu bewegen, Herr – der Mann schien nicht in großer Eile zu sein.«

»Nein«, gab Kerim zurück und stemmte sich mit den Händen hoch, bis er aufrecht saß.

Dickon brachte ihm einen leichten Leibrock. Er war nicht warm genug, um ihn im Freien zu tragen, aber in einem Raum, in dem ein fröhliches Feuer knisterte und in dem Wandbehänge die Zugluft abhielten, schien er mehr als ausreichend zu sein. Das Gesicht des Vogts nahm sich gegen den dunkelblauen Satin des Leibrocks eher grau als braun aus, und die Linien um seinen Mund kamen deutlicher als sonst zur Geltung.

Shamera hatte hart daran gearbeitet, sich an niemanden zu binden; schon früh hatte sie gelernt, dass Menschen starben und es nur schlimmer schmerzte, wenn man zuließ, dass einem etwas an ihnen lag. Sie war geschickt darin geworden, sich hinter den Rollen zu verstecken, die sie spielte, sei es als Mätresse oder als gewiefte Diebin. Es gab nur zwei Menschen, die Sham als Freunde betrachtete, und einen davon hatte ein Dämon getötet. Der Vogt von Südwald war innerhalb von weniger als einer Woche in jenen erlesenen Kreis vorgestoßen, und Sham befürchtete sehr, dass er sogar zu mehr geworden sein könnte.

»Ich denke, wenn hier alles erledigt ist, unternehme ich einen Streifzug und schnüffle ein wenig herum, während die Leute am Hof noch damit beschäftigt sind, Klatsch zu verbreiten«, verkündete sie und konnte es plötzlich kaum erwarten, den Raum zu verlassen.

Der Vogt ließ sich auf seinem Stuhl nieder und nickte, als überstiege eine Unterhaltung seine Kräfte. Sham betätigte den Hebel, der die ›geheime‹ Tür in der Täfelung öffnete, und trat hindurch. Sie wollte die Öffnung gerade hinter sich verschließen, als sie bemerkte, dass Dickon die Habseligkeiten des Heilers zusammenpackte.

»Dickon«, warnte sie. »Achte darauf, diese Holzklöppel nicht lange in den Händen zu halten … und sorg dafür, dass der Heiler sie unbedingt zurückbekommt.«

Dickon betrachtete die Klöppel und beugte leicht die rechte Hand, als male er sich just aus, sie dem Heiler auf nicht allzu sanfte Weise zurückzugeben. »Ihr könnt Euch darauf verlassen.«

Wenngleich der Gang während des Tags von Kerzen schwach erhellt wurde, waren die meisten mittlerweile ausgebrannt. Sham beschwor ein Magierlicht, das ihr folgte. Es erschien ihr als höchst unwahrscheinlich, hier jemandem zu begegnen. Das stete bläulich weiße Licht spiegelte sich fröhlich funkelnd im polierten Boden, während sie ging. Ein kurzer Gang verlief das Zimmer des Vogts entlang zurück und endete an einer Steinwand. Sie ersparte es sich, diesen Weg einzuschlagen. Stattdessen trat sie einen Schritt dorthin, wo der Hauptgang nach rechts abzweigte. Geradeaus verlief ein schmaler Tunnel die Länge ihrer Gemächer entlang. Sie beschloss, zuerst dorthin zu gehen.

Da in diesem Bereich nur Dickon, der Vogt und sie wohnten, hatte sie diesen Weg erst einmal beschritten, während sie sich mit den Gängen anderswo in der Feste eingehender hatte vertraut machen können.

Neben der mit Angeln versehenen Täfelungsplatte, die sich zu ihrem Schlafzimmer hin öffnete, befand sich eine Reihe von Befestigungswinkeln, die ein Brett an der Wand hielten. In allen Gängen hatte Sham festgestellt, dass solche Halterungen Gucklöcher in die meisten Räume der Feste kennzeichneten. Ursprünglich dienten Bretter vor den Löchern dazu, dass die Beobachteten nicht auf etwaiges Licht aus dem jeweiligen Tunnel aufmerksam wurden. Da die Gänge nicht mehr geheim waren, besaßen die meisten Gucklöcher in die persönlichen Gemächer heutzutage eine dauerhafte Versiegelung.

Versuchsweise bewegte Sham das Brett, und es glitt mühelos in ihre Hand. Sie runzelte die Stirn, weil sie schon früher daran hätte denken sollen. Sie legte das Stück Holz zurück in die Halterungen und benutzte eine Befestigungsrune, um das Brett mit dem Loch zu verschweißen. Wenn sie länger als ein paar Wochen blieb, durfte sie nicht vergessen, den Zauber rechtzeitig zu erneuern. Zufrieden kehrte sie in den breiteren Gang zurück und setzte ihre Erkundung fort.

Das Guckloch in den Raum neben den Gemächern des Vogts offenbarte eine Art Versammlungszimmer, als Sham ihr Magierlicht durch die Öffnung sandte, um den Raum zu erhellen. Mehrere ungemütlich wirkende Stühle umgaben einen großen dunklen Tisch aus Eichenholz. Einen Platz hatte man freigelassen. Er hob sich durch die Einheitlichkeit der Abstände zwischen den anderen ab – die Lücke am Tisch war gerade breit genug für den Rollstuhl, den der Vogt benutzte. Da Sham nichts Bemerkenswertes entdeckte, wandte sie sich ab und durchquerte den Gang, um in den Raum neben dem ihren zu spähen.

Weiße Laken verhüllten die Möbel in der Kammer und schützten die kostbaren Stickereien der Stühle vor Staub, der sich durch mangelnde Nutzung unweigerlich ansammelte, ganz gleich, wie ordentlich geputzt wurde. Anhand der Formen der Tücher erkannte sie, dass die mit Musselin bedeckte Einrichtung ähnlich wie im letzten Raum angeordnet war, den sie sich angesehen hatte.

Sie rümpfte die Nase, als ein Luftstoß durch das kleine Loch wehte, und sie legte angesichts des Gestanks die Stirn in Falten.

»Bei den Gezeiten …«, fluchte sie leise und zwang sich, neben dem Guckloch tief einzuatmen.

Die Feste war seit langer Zeit besetzt, und alle Räume besaßen ihren eigenen Geruch. Das Zimmer des Vogts beispielsweise war beherrscht vom modrig-salzigen Aroma von Leder, Pferden und Metall, und ihre eigene Kammer duftete leicht nach Rosen, durchsetzt mit Rauch. Dieser Raum stank nach Schlachthaus.

Sie verstärkte die Kraft des Magierlichts und sandte es in die Nähe des Kronleuchters, um mehr erkennen zu können. Rings um einen großen Tisch standen fünfzehn Stühle mit hoher Rückenlehne, alle von weißen Tüchern verhangen. Mit Hilfe der besseren Beleuchtung stellte Sham fest, dass der Stuhl unmittelbar gegenüber der Tür ein wenig verrückt worden war. Durch die Staubschichten ließ es sich schwer belegen, aber es sah so aus, als ob der Stuhl der Tür statt dem Tisch zugewandt stand.

Mehr ließ sich durch das Guckloch nicht ausmachen. Shamera ging zur Tür im Gang. Die Hebel ließen sich einwandfrei bedienen, und die Täfelung glitt auf Schienen zurück und beiseite; genau wie bei der Tür zum Zimmer des Vogts. Die volle Wirkung des Gestanks erfasste sie, als sie die Tür öffnete, und sie musste schlucken, bevor sie eintrat.

Wieder verstärkte sie die Helligkeit des Lichts; nicht nur um besser zu sehen, sondern auch wegen des Gefühls etwas größerer Sicherheit, das damit einherging. Die merkwürdige Platzierung des Stuhls erschien ihr irgendwie bedeutungsvoll, und sie dachte daran, dass der Dämon seinem Muster entsprechend bereits vor mehreren Tagen hätte töten sollen – allerdings hatte man bislang keine Leiche gefunden.

Sie trat einen Schritt in den Raum und bemerkte erstmals, dass auf dem polierten Granitboden in der Nähe der Eichentür getrocknete Blutflecken prangten. Flach atmend umrundete Sham den Stuhl, bis sie davorstand. Von dort konnte sie weitere Blutflecken auf dem Boden sehen, die sich in Spritzmustern über andere Möbelstücke zogen und unter der Abdeckung des Stuhls vor ihr verschwanden. Zwischen der Tür und dem Stuhl befand sich ein größerer Fleck, wo so viel Blut geflossen war, dass es eine Lache gebildet hatte. Der ranzige Gestank der faulenden Flüssigkeit brachte sie zum Würgen.