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Nickend ließ sich der Vogt nach hinten plumpsen, bis er mit dem Rücken an eine schwere Truhe gelehnt auf dem Boden saß. Er legte den Kopf zurück und schloss die Augen.

»Shamera, würdest du wohl Dickon holen? Sein Zimmer ist ein Stück den Flur hinunter. Ich denke, wir könnten seine Hilfe dabei gebrauchen, den Körper zu beseitigen.«

»Ja«, gab sie zurück und runzelte besorgt die Stirn, als sie Kerims blasses Antlitz betrachtete.

Erst auf halbem Weg zur Tür wurde ihr bewusst, dass sie in der rechten Hand immer noch das Messer hielt. Kopfschüttelnd setzte sie dazu an, es auf einen Tisch zu legen. Es ging nicht an, dass die Mätresse des Vogts nachts mit einem Messer durch die Feste lief.

»Shamera!«

Die Eindringlichkeit im Tonfall des Vogts ließ sie jäh herumwirbeln.

Mit Kerims blauem Schwert in einer Hand näherte sich ihr Lord Vens Simulakrum mit verstohlenen Schritten, die in einen linkischen Laufschritt umschlugen, als sie ihre Drehung vollendete. Ohne nachzudenken, duckte sie sich unter seinem Hieb hindurch und stach das Messer der Kreatur tief ins Auge.

»Ausgeburt der Pest!«, spie Sham voll Abscheu hervor, als sie in der Umklammerung der Kreatur zu Boden gerissen wurde. Wild wand sie sich hin und her, bis sie sich von den zuckenden Bewegungen des Körpers befreit hatte, und riss das Messer heraus, um weiterhin eine Waffe zu haben, sollte das Geschöpf sie noch einmal angreifen. »Bei den Gezeiten! Warum kann dieses Ding nicht einfach tot bleiben?«

Bei ihren Worten verschwand der nach wie vor zuckende Körper mit einem lauten Krachen. Zurück blieb nur das blaue Schwert. Shamera sprang auf die Beine, stieß einen wüsten Fluch aus und wischte sich mit dem Rücken der Hand, in der sie das Messer hielt, über die Stirn.

»Kommt es zurück?«, erkundigte sich Kerim in verdächtig ruhigem Tonfall.

Sham schüttelte den Kopf, aber es schwang nicht allzu viel Überzeugung in ihrer Stimme mit, als sie erwiderte: »Ich glaube nicht. Ich gehe Dickon holen.«

»Nein, warte«, widersprach Kerim. »Ich denke … ich brauche eine Erklärung für die Ereignisse dieser Nacht, bevor du gehst. Irgendwie habe ich das Gefühl, mit verbundenen Augen einem Rudel hungriger Wölfe zum Fraß vorgeworfen worden zu sein. Und du kannst damit anfangen, mir zu erklären, was du mit mir gemacht hast, dass ich meine Beine wieder benutzen konnte.«

Sham sank Kerim gegenüber erschöpft auf den Boden. »Ich glaube, ich muss dir erst ein paar Fragen stellen, bevor ich genug verstehe, um dir sagen zu können, was passiert ist.«

Er legte den Kopf schief und brachte das Kunststück zustande, erhaben zu wirken, obwohl ihn nur Schweiß und die leichte, knielange Baumwollhose kleideten, die Cybellern als Unterwäsche diente. Und wäre die Hose ebenso wie das Obergewand mit einer Rune gebrandmarkt gewesen, trüge er nicht einmal so viel.

»Ist irgendetwas komisch?«, fragte Kerim.

Hastig besann sich Sham ihrer Gesichtszüge und räusperte sich. »Wann genau hat dein Rücken angefangen, dir Schwierigkeiten zu bereiten?«

Er zog angesichts der Frage die Augenbrauen hoch, antwortete ihr jedoch, ohne zu zögern. »Ich befand mich auf Reisen, und mein Pferd rutschte auf einer Böschung ab, als wir einen Fluss überquerten. Dabei habe ich mir den Rücken verrenkt. Das war vor acht oder neun Monaten.«

»Talbot hat mir erzählt, dass es in unregelmäßigen Abständen sprunghaft schlimmer geworden ist, nicht stetig fortschreitend.«

Kerim nickte. »Ich bekomme einen schlimmen Anfall wie heute Nacht, und wenn der vorbei ist, fühle ich mich schlechter als davor. Die Muskeln in meinem Rücken pochen ständig, vereinzelt stechen darunter noch heftigere Schmerzen hervor. Meine Beine sind …« Einen Atemzug lang verstummte er, und über seine Züge huschte eine wilde Hoffnung, die er rasch unterdrückte. »Meine Beine waren von der Mitte abwärts gefühllos. Als wären sie in Eis gepackt. Mir war die ganze Zeit kalt.« Eindringlich sah er Sham an. »Bis jetzt war mir gar nicht klar, wie kalt.«

»Jetzt, da es verschwunden ist«, ergänzte Sham mit dem Beginn eines schelmischen Grinsens.

»Jetzt, da es verschwunden ist«, pflichtete er ihr heiser bei. Er schloss die Augen und schluckte, ballte die Hände zu Fäusten.

Sie erbarmte sich seiner, wandte den Blick ab und begann, sich die Geschichte laut zusammenzureimen. »Irgendwie musst du die Aufmerksamkeit des Dämons erregt haben. Ich weiß nicht, warum er entschieden hat, dich auf andere Art anzugreifen als seine übrigen Opfer, oder was er von dir erlangt hat, aber ich kann dir sagen, dass deine Behinderung vom Dämon bewirkt wurde.«

»Wie kannst du dir da so sicher sein?«

Shamera sah den Vogt an und stellte fest, dass er immer noch damit kämpfte, sich keine zu großen Hoffnungen zu machen.

Sie seufzte laut. »Da du Cybeller bist …« Sie legte auf das Wort eine Betonung, als handle es sich um eine Beleidigung höchsten Ranges, ähnlich wie Kerim es regelmäßig bei dem Ausdruck ›Magie‹ tat. »… muss ich wohl mit einer grundlegenden Lektion in Sachen Magie beginnen. Ich benutze in der Regel Runenmagie, statt mithilfe von Stimme, Gesten und Hilfsmitteln zu zaubern. Runen sind unscheinbarer und halten länger vor.«

In Kerims Stimme schwang ein zarter Hauch von Belustigung mit, als er sie unterbrach. »Was ist eine Rune?«

Sham seufzte ein zweites Mal und sprach äußerst langsam, als hätte sie jemanden vor sich, der sehr jung und ungemein ahnungslos war. »Runen sind …« Sie verstummte und fluchte kurz. »Ich muss es noch einfacher ausdrücken. Ich wusste ja schon immer, dass es einen Grund dafür gibt, warum Zauberer nicht mit Uneingeweihten über Magie reden … hmm. Magie ist eine Kraft, die auf der Welt besteht – wie die Sonne oder der Wind. Es gibt zwei Arten, wie sich ein Kundiger die Magie zunutze machen kann: durch Zaubern oder durch Runen. Beim Zaubern gelangen Gesten mit den Händen, Sprachbefehle und Materialien zum Einsatz, um die Magie zu formen. Je besser ein Magier wird, desto weniger braucht er, um seine Banne zu wirken.«

»Und eine Rune …?«

»Runen sind Muster, die dasselbe bewirken. Für sie sind Können, Genauigkeit und Zeit erforderlich – aber sie halten länger an als Zauber. Sofern Runen keine Beschränkung auferlegt wird, nehmen sie Magie von anderen Quellen auf, sodass der Zauber am Ende mächtiger ist als am Anfang. Wenn die Rune nicht zwischenzeitlich ausgelöst wird. Als du heute Nacht solche Schmerzen hattest, habe ich eine Gesundheitsrune auf deinen Rücken gezeichnet. Dabei hat sich mir offenbart, dass sich dort bereits eine andere Rune befand. Irgendwie ist es dem Dämon gelungen, dich an ihn zu binden. Ich habe jene Rune aufgelöst, aber an deinem Obergewand war noch eine. Außerdem steckte eine Bündelungsrune an deinem Stuhl.«

Kerim rieb sich die Schläfen. »Was ist eine Bündelungsrune?«

»Magier können ohne Hilfsmittel keine Magie über große Entfernungen wirken. Manche Magier bedienen sich dafür eines Tieres, das an sie gebunden ist – eines sogenannten Hausgeists. Verbreiteter jedoch ist die Verwendung einer Bündelungsrune, eines Kennzeichens des Zauberers. Dadurch kann der Zauberer Magie an Orten wirken, ohne selbst dort zu sein. Sowohl eine Rune als auch ein Hausgeist bergen Gefahren, weil ihr Schöpfer bei ihrer Zerstörung verletzt werden kann.«

»Also hast du den Dämon verletzt, und er hat meinen Bruder geschickt.«

Müde verlagerte sie das Gewicht von einem blauen Fleck auf einen anderen. »Wahrscheinlich hat der Dämon den Golem losgeschickt, als er gespürt hat, dass ich mich an der Rune auf deinem Rücken zu schaffen gemacht habe. Zufällig gehen meine Begabungen in die Richtung, Runen zu erschaffen und aufzulösen. Deshalb ist es mir auch gelungen, die Rune zu zerstören, bevor der Golem eintraf.«