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Sham senkte demütig den Kopf und erwiderte mit zuckersüßer Stimme. »Und wenn du mich noch mal als ›Mädel‹ bezeichnest, verwandle ich dich in einen Bitterfisch.«

»Kinder!«, ging Kerim scharf dazwischen, während Sham und Dickon beiderseits zufriedene Blicke tauschten. Der unterschwellige Hauch von Belustigung in seinem Tonfall verflog allerdings, als er weitersprach. »Zurück zum eigentlichen Problem. Shamera, geh und ruh dich aus. Wir wecken dich in einer Stunde, um uns um den Leichnam meines Bruders zu kümmern. Ich bespreche derweil mit Dickon und Talbot die Einzelheiten dessen durch, was wir wissen.«

Sham nickte und stand auf. Als sie dazu ansetzte, sich unter dem Wandteppich hindurchzuducken, folgte ihr Kerims Stimme. »Ich dachte, du könntest nicht in einem Zimmer neben der Leiche meines Bruders schlafen.«

Sie bedachte ihn nur mit einem schlitzohrigen Blick und setzte den Weg in ihre Kammer fort.

9

Allein in dem abscheulich miefenden Raum, untersuchte Sham den Leichnam von Lord Ven. Eine schmutzige Aufgabe, die ihr keineswegs behagte, aber sie musste erledigt werden. Shamera hatte Kerim eingeredet, sie arbeite allein am besten, doch in Wirklichkeit fürchtete sie eher, dass sein Kummer sie abgelenkt hätte. Er versuchte zwar, ihn zu verbergen, aber in der kurzen Zeit, die sie ihn kannte, hatte sie gelernt, tiefer in ihn zu blicken und mehr wahrzunehmen als das, was er öffentlich sehen ließ. Sie rieb sich die Augen und verdrängte derlei Gedanken.

Zuerst das Blut, beschloss sie, nachdem sie sich einen Überblick über die bevorstehende Aufgabe verschafft hatte.

Sie konnte zwar das alte Blut beseitigen, aber kein neues erschaffen, ohne ihre Magie hoffnungslos zu erschöpfen, lange bevor sie fertig wäre. Materie zu erschaffen war ein ausgesprochen kraftraubender Vorgang, und wahre Alchemie, bei der ein Material in ein anderes verwandelt wurde, erschöpfte beinahe genauso sehr. Sham hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, die Küchen aufzusuchen und das Blut eines geschlachteten Schweines oder anderen Tieres zu holen, doch die Gefahr, dass es jemand bemerkte, schien ihr einfach zu groß zu sein.

Sie kniete sich an den Rand der dunklen Lache und achtete nicht auf das leicht mulmige Gefühl in ihrem Bauch, das sich infolge des grauenhaften Geruchs eingestellt hatte. Shamera zog den Dolch aus ihrer Armscheide, die sie zusammen mit dem Rest ihrer Diebeskluft angelegt hatte, und zog einen flachen Schnitt über ihren Daumen. Drei Tropfen frischen Blutes gesellten sich zu dem alten.

Empathische Magie gehörte zu den Zaubern, die sich am einfachsten wirken ließen: Gleich und Gleich gesellte sich gern. Die Verwendung von Blut jedoch kam schwarzer Magie sehr nahe. Viele Magier würden es sogar so bezeichnen, auch wenn sie ihr eigenes Blut benutzte. Sogar Sham selbst fühlte sich ein wenig unrein dabei – allerdings ließ sie sich dadurch nicht davon abhalten.

Sie bückte sich nah zum Boden, blies zart über das frische Blut und murmelte anschließend einen Zauberspruch. Lord Vens Blut begann daraufhin, sich langsam zu dem Muster zu verändern, das ihr Blut vorgab. Lästiger Schweiß trat Sham auf die Stirn, als sie damit kämpfte, die Magie zu wirken und gleichzeitig die Ergebnisse im Auge zu behalten. Das Blut durfte auch nicht zu frisch erscheinen, das war wichtig.

Sie beendete den Zauber, solange die Ränder der größten Lache noch trocken waren. Danach kühlte sie das Blut auf Raumtemperatur ab und nahm in Augenschein, was sie erzielt hatte. Der Geruch von frischem Blut ergänzte die unangenehme, bereits vorherrschende Mischung. Ein wenig unstet richtete sich Sham auf und schritt um die nunmehr wieder feuchte Lache herum, bis sie Lord Vens Leichnam betrachten konnte.

Sie ging nicht das Wagnis ein, in die Schweinerei zu steigen; durch das, was sie mit dem Blut gemacht hatte, waren sämtliche Spuren verwischt worden, die Kerim und sie selbst sowie später Talbot und Dickon darin hinterlassen hatten. Zwar würde die Lache weiter verwischt werden, aber die Mätresse des Vogts hatte nichts in einem Raum mit einer Leiche verloren, und sie wollte nicht, dass unerwünschte Fragen über die Fußabdrücke einer Frau gestellt wurden.

Was sie mit Lord Vens Körper tun musste, ließ sich auch mit etwas Abstand erledigen, und sie verspürte ohnehin nicht den Wunsch, die Leiche anzufassen. Die Aufgabe gestaltete sich einfacher als die Beeinflussung des Blutes, da sie die Steife der Gliedmaßen nur nachzuahmen brauchte, statt sie zu vervielfachen.

Als sie ihren Zauber beendete, trat sie vom Tatort zurück. Sie wischte sich an der sauberen Bluse die Hände ab, als wären sie besudelt – obwohl sie nichts mit ihnen berührt hatte –, drehte um, bahnte sich den Weg zur Täfelung, wo die Öffnung zu den Geheimgängen sich befand, und verließ den Raum.

Die drei Männer schauten auf, als sie die Gemächer des Vogts betrat.

»Es ist erledigt«, verkündete sie. Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren so rau und wund, wie sie sich fühlte. »Aber wenn er zu lange aufgebahrt wird, könnte jemand bemerken, dass ich eingegriffen habe: Lord Vens Leichenstarre wird sich nämlich eine Woche oder sogar länger nicht lösen.«

Kerim nickte. »Ich kümmere mich darum.«

Talbot rief mehrere Männer herein, die den Weg zum Altis-Tempel antreten sollten, auf dass sich die Priester Lord Vens annahmen. Bis zu ihrem Eintreffen bewachte Talbot die Tür zu Vens Todesstätte, während Dickon den Geheimzugang in der Täfelung übernahm.

Sham zog sich in ihre Kammer zurück, um sich umzuziehen, und achtete darauf, die Truhe zu versiegeln, nachdem sie ihre Diebeskluft darin verstaut hatte. Nach einer umfassenden Durchsuchung des Schranks fand sie ein Kleid, das sie ohne fremde Hilfe anlegen konnte.

In ihrer Tarnung als Mätresse des Vogts kehrte sie zu Kerim in dessen Zimmer zurück, wo sie auf die Ankunft der Priester warteten, ohne sich zu unterhalten. Sham wusste nicht, was der Grund für Kerims Schweigen war, doch sie blieb stumm, weil sie sich für alles andere zu müde fühlte. Es würde ein langer Tag werden, bevor die Erschöpfung ihrer Magie sie verließ.

Dickon betrat den Raum und nickte Kerim zu.

»Sag den Priestern, sie sollen einen Augenblick hereinkommen, bevor sie ihre Pflichten in Angriff nehmen.« Kerims Bariton hatte sich zu einem rauen Bass gesenkt, entweder vor Erschöpfung oder vor Gram.

Dickon nickte und kehrte mit fünf Männern in den braunen Roben der niedrigeren Diener Altis’ zurück. Vier der Roben waren mit blauen Schnürbändern gegürtet, der fünfte Priester besaß ein gelbes Band.

Kerim wandte sich an den Mann mit Gelb. »Mögt Ihr gesegnet sein, Brüder.«

»Und Ihr, Lord Kerim«, erwiderte der gelb Gegürtete.

»Der Tote ist mein Bruder.«

»Das wurde uns von Meister Talbot mitgeteilt.«

Kerim nickte ungeduldig. »Die meinem Bruder als Gemahlin versprochene Dame ist in anderen Umständen und musste vergangenes Jahr bereits den Tod ihres ersten Ehemannes ertragen. Ich möchte ihr weiteren Kummer ersparen, und Vens Überreste sind ohnehin in keinem Zustand, um sie zur Schau zu stellen. Ich befehle hiermit, dass sein Körper umgehend mit Leichentüchern zu verhüllen ist, und bei Sonnenuntergang hat auf dem Hof der Feste ein Scheiterhaufen für seine Verbrennung bereitzustehen.«

»So soll es geschehen, Lord Kerim«, willigte der Priester mit ernster Miene ein.

Kerim beobachtete, wie sie den Raum verließen. Sham wandte den Blick von dem Ausdruck in seinem Gesicht ab. Als sie wieder zu ihm schaute, schickte er Dickon gerade los, um einige Hofpagen zu holen, die Botschaften überbringen sollten.

Er selbst machte sich daran, an seinem Schreibtisch kurze Nachrichten zu verfassen. Als Dickon mit einer Schar junger Knaben zurückkehrte, die aussahen, als wären sie aus dem Schlaf gerissen worden, ehe sie eiligst in ihre Kleider schlüpfen mussten, entsandte sie der Vogt zu Lord Vens engsten Freunden, zu Lady Sky und seiner Mutter.