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»Mein Bruder ist mir genommen worden«, verkündete er, als der Lärm verstummt war, mit genauso weithin vernehmbarer Stimme wie zuvor die beiden Priester. Er sprach langsam, damit ihn jeder Anwesende im Saal verstehen konnte. »Ich werde den Täter finden und dazu zwingen, Gerechtigkeit über sich ergehen zu lassen, und wenn ich ihn dafür höchstpersönlich vor Altis’ Thron schleifen muss.« Er hätte kein weiteres Wort hinzufügen können, selbst wenn er gewollt hätte – zu überwältigend fiel die Reaktion der Versammelten aus.

Die Segnung des Essens durch die Priester hingegen blieb im Vergleich dazu entschieden unspektakulär.

Sham wartete, bis ein Großteil der Anwesenden die Aufmerksamkeit vom Vogt auf ihre Teller geschwenkt hatte, bevor sie leise anmerkte: »Fykall hat gute Arbeit dabei geleistet, die Wogen zu glätten.«

Kerim knurrte kurz, aber als er sprach, ertönte seine Stimme genauso leise. »Ich habe hart daran gearbeitet, mich von Altis’ Priestern loszueisen, seit ich Vogt geworden bin; einige der Menschen hier haben sich Altis verschrieben, aber keiner der Adeligen Südwalds. Wenn sie glauben, ich sei eine Marionette der Priester geworden, werden sie zurück zu ihren Ländereien eilen und dort bleiben, bis sie verrotten. Fykall hat mit einer einzigen Ansprache die Arbeit eines Jahrzehnts zunichtegemacht. Ich kann von Glück reden, wenn ein Drittel der Adeligen Südwalds, die ich mit gutem Zureden an den Hof holen konnte, morgen noch hier ist.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, erwiderte Sham und dachte dabei daran, wie sehr sich Lord Halvok über die Erkenntnis gefreut hatte, dass die Mätresse des Vogts aus Südwald stammte. »Ich vermute eher, dass die Notwendigkeit, daran zu glauben, dass du ihnen helfen kannst, ihr Misstrauen überwiegen wird. Du bringst ihnen Hoffnung – es ist mehr als eine einzelne Rede notwendig, um das zu zerstören.«

Er wirkte nicht überzeugt.

»Wie dem auch sein mag«, fügte sie hinzu und aß einen Bissen Fisch, »dieses Boot hat den Hafen verlassen, und die Gezeiten werden weisen, wohin es fährt.«

Bei Einbruch der Dunkelheit wurde Lord Vens Leichnam auf den Scheiterhaufen gehoben und seine Seele in einer aufwendigen, vom Hohepriester geleiteten Zeremonie Altis übergeben. Kerim hielt eine Fackel an den Sockel des Scheiterhaufens, und das in Öl getränkte Holz begann bereitwillig zu brennen.

Lange bevor die Flammen erloschen, zog sich der Großteil des Hofstaates zurück. Nur Lord Vens Familie blieb, um ihn weiter zu betrauern. Lady Sky hätte ebenfalls anwesend sein sollen, doch sie hatte die Neuigkeit vom Tod ihres Verlobten schlecht aufgenommen. Der Heiler der Feste hatte sie ins Bett verbannt, weil er fürchtete, sie könne andernfalls ihr Kind verlieren. Sham wartete, bis alle gegangen waren, bevor auch sie den Vogt und seine Mutter stumm in die orangefarbenen Flammen starrend sich selbst überließ.

Früh am nächsten Morgen öffnete Shamera ihre Truhe und holte ihren Dolch daraus hervor. Es dauerte nur wenige Augenblicke, die juckenden Fäden aus ihren Wunden zu entfernen und die Reste ins Feuer zu werfen.

Danach schlüpfte sie erneut in ihre zweitbeste Arbeitskluft. Die weite Hose und das schwarze Baumwollhemd – am Ärmel, wo sie mit dem Arm an einem Fensterflügel aus Holz hängen geblieben war, grob geflickt – würden ihr bessere Dienste leisten als jedes ihrer Kleider, und sie würde nicht ständig den Trugbann zum Verdecken der Wunde an ihrem Arm aufrechterhalten müssen.

Sie ergriff eine Kerze und zündete sie mit einem Hauch Magie an, bevor sie den Wandteppich beiseitezog und in Kerims Gemächer spähte. Da kein Grund dafür bestanden hatte, das Feuer oder Kerzen entzündet zu lassen, und weil die Sonne auf der falschen Seite des Himmels stand, sodass sie Kerims Fenster nicht erhellen konnte, präsentierten sich die Räumlichkeiten in tiefen Schatten verborgen. Shams Gefühl verriet ihr, dass sich niemand darin aufhielt.

Mit einer Geste entfachte sie jede Kerze in der Kammer sowie das Holz im Kamin. Dann stellte sie ihren Kerzenhalter auf ein praktisches Tischchen und betrachtete den Kleiderschrank. Er schien sich durchaus dafür zu eignen, mit der Suche nach weiteren Runen des Dämons zu beginnen.

Als Dickon und der Vogt den Raum einige Zeit später betraten, züngelte das Feuer munter vor sich hin und verschlang einen Großteil der Kleidung des Vogts. Sham schleifte gerade einen der großen Webteppiche über den Boden – in der unverkennbaren Absicht, ihn der brennenden Kleidung hinterherzuschicken.

Dickon räusperte sich und sprach den Vogt mit schnellen Worten an: »Herr, das ist ein dreihundert Jahre alter Teppich, ein Brautgeschenk des Königs von Reth an seine Schwester zu ihrer Vermählung mit dem König von Südwald.«

Sham richtete sich auf und bedachte beide Männer mit einem gereizten Blick, als sie sich Schweiß aus dem Nacken wischte. »Und er enthält eine der Runen des Dämons – ich habe nicht genug Kraft, um alle zu entfernen. Wenn der Vogt den Rest seiner verkürzten Lebensspanne in diesem Rollstuhl verbringen möchte, lasse ich das Ding auch gerne hier.«

»Herr …« Dickons Stimme glich beinahe einem Stöhnen. »… Dämonenrunen … Dieser Teppich ist unersetzlich. Es gibt viele Möglichkeiten, es so zu richten, dass ein Mensch wie ein anderer aussieht. Eine solche Kostbarkeit aus bloßem Aberglauben zu zerstören …«

»Wir können den Teppich auch irgendwo in einem Lagerraum verstauen, wenn euch das lieber ist«, bot Sham an. »Wenn wir den Dämon loswerden, besteht keine Notwendigkeit mehr, ihn zu vernichten, und bis dahin kann er eingemottet keinen Schaden anrichten. Aber das da muss ins Feuer.« Sie nickte in Richtung einer großen, an der Wand stehenden Zierbank. »Darauf sind gleich mehrere Runen, und zwei davon habe ich noch nie gesehen.« Sie erinnerten Shamera ein wenig an die merkwürdigen Schnörkel und Ergänzungen an der Bindungsrune, die sie von Kerim entfernt hatte. »Ich bin nicht sicher, wie ich damit verfahren soll – das Ding passt nicht in den Kamin. Du musst wirklich sehr wichtig für diesen Dämon sein, Kerim. Er hat eine unvorstellbare Menge Kraft darauf verwendet, zu gewährleisten, dass du verwundbar für ihn bist. Ich habe seine Runen an deinen Schuhen gefunden, an deiner Kleidung, deiner Rüstung …«

»Warte!«, fiel Kerim ihr ins Wort, als ihm erstmals das schwere Kettenhemd auffiel, das auf dem Boden einen knittrigen Haufen bildete. Ein meisterhafter Harnischmacher hatte fast ein Jahr gebraucht, um das Hemd fertigzustellen, und durch zehn Jahre voller Schlachten war es für ihn wie eine zweite Haut geworden.

Sham schüttelte den Kopf. »Das Metall ist in Ordnung, die Rune war an der Lederauskleidung. Aus irgendeinem Grund habe ich noch kein einziges Zeichen auf Metall entdecken können – vielleicht liegt das an der Natur der Magie des Dämons.«

Dickon schüttelte den Kopf und brummte leise vor sich hin.

»Nachdem ich mein Leben lang Umgang mit schwierigen Frauen hatte, habe ich mittlerweile gelernt, dass es oft besser ist, ihren Forderungen gleich nachzugeben«, sagte Kerim und näherte sich der Bank, die Sham zum Tode verurteilt hatte. »Dickon, sieh zu, ob du in der Unordnung irgendwo meine Axt findest, dann befolge ich meine Befehle und verwandle dieses wehrlose Kunstwerk in Feuerholz. Anschließend treibst du einige starke Männer auf, um die wertvolleren Stücke in den nächstbesten Lagerraum zu schaffen.«

Sobald Sham klar geworden war, wonach sie Ausschau halten musste, konnte sie kaum glauben, dass sie die Magie, die nahezu alles in dem Raum berührte, zuvor übersehen hatte. Das Feuer züngelte höher und höher, und im Zimmer sah es allmählich aus, als hätte ein angetrunkener Riese beschlossen, die Einrichtung neu zu arrangieren.

Irgendwann trat Talbot ein und mischte bei dem Treiben munter mit. Bei den besonders schweren Gegenständen erwies sich seine Hilfe als unschätzbar. Shamera vermutete, dass vor allem der Kleiderschrank seit mehreren hundert Jahren nicht mehr bewegt worden war – und angesichts der Mühe, die es sie alle kostete, das verfluchte Ding zu verschieben, würde ihn wohl auch die nächsten hundert Jahre niemand wieder verrücken.