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Nachdem sich Kerim erst mit der Notwendigkeit der Zerstörung abgefunden hatte, wirkte er überraschend unbeschwert. Shamera fand, dass er die ihm zuvor anhaftende Anmutung stillschweigender Schicksalsergebenheit verloren hatte. Nicht einmal der Tod seines Halbbruders dämpfte die Lebhaftigkeit, mit der er jetzt über seinen Raum herfiel.

Er hackte nicht nur die Bank, sondern auch einen aus sechs Tafeln bestehenden Raumteiler in so kleine Stücke, dass sie in den Kamin passten – auch der Raumteiler hatte die seltsamen Runen getragen. Kerim bestand darauf, zu helfen, als Shamera die vollständige Zerlegung des riesigen Prunkbettes anordnete, des letzten noch unangetasteten Gegenstands im Zimmer. Dort stieß sie dann auch auf die zweite Bündelungsrune des Dämons.

Die Tür zum Gang öffnete sich leise.

Sham, deren schwarze Hose und schwarzes Hemd das Grau des Staubs angenommen hatten, der durch all den Tumult aufgewirbelt worden war, kauerte dort, wo sich die Mitte des Bettes befunden hatte, und murmelte heiser in einer längst ausgestorbenen Sprache vor sich hin. Kerim beobachtete sie aufmerksam, zu Bewegungsunfähigkeit verdammt, weil die verschiedenen Teile des Bettes wirr rings um seinen Stuhl verstreut lagen. Talbot lehnte mit halb gespielter Erschöpfung an einem der imposanten Bettpfosten, der seinerseits an der Wand lehnte. Dickon war losgezogen, um zu sehen, was sich machen ließ, um diejenigen Einrichtungsgegenstände und Teppiche zu ersetzen, die Sham in Lagerräume verbannt hatte. Erst als der Eindringling das Wort ergriff, schaute überhaupt jemand zur Tür.

»Es erscheint mir passend, dass du nach der Verunglimpfung der Bestattung deines Bruders durch politische Theatralik gleich den nächsten Tag damit verbringst, deine Gemächer umzugestalten.« Lady Tirras Tonfall hätte Stein zu schmelzen vermocht.

Wenngleich Sham den Klang von Lady Tirras Stimme wahrnahm, unterbrach sie ihre Beschwörung nicht. Das Zeichen, das sie auf dem Boden unter Kerims Bett entdeckt hatte, war älter als der Rest, und der Dämon hatte sich Zeit genommen, diesen Zauber zu verstärken. Da sich der Steinboden ebenso wenig verbrennen wie in einen Lagerraum schaffen ließ, musste Sham den Bann auflösen. Dies stellte ihren dritten Anlauf dar, und es sah so aus, als könnte es ihr endlich gelingen – wenn sie imstande war, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Als Sham die Rune rückwärts nachfuhr – so hoffte sie zumindest, denn wie mehrere andere Zeichen, die der Dämon benutzte, unterschied sich auch diese Rune geringfügig von jenen, die sie kannte – und dabei auf Teile mehrerer verschiedener Zauber zurückgriff, spürte sie, wie das Symbol verblasste. Allerdings löste es sich nicht vollständig auf. Solange aber auch nur ein Teil davon verblieb, konnte die Magie erneut beschworen werden. Wieder versuchte sie es, veränderte das Muster ihrer Zaubersprüche und konnte fühlen, wie sie letztlich begannen, die Rune zu zersetzen.

Als sie schließlich von ihrer Aufgabe aufschaute, bemerkte sie als Erstes, das sich Talbot alle Mühe gab, unsichtbar zu erscheinen. Für einen Mann ohne die Fähigkeit, Magie zu Hilfe zu nehmen, gelang ihm das recht gut.

»… war ja auch kaum mehr von dir zu erwarten.«

»Mutter, es tut mir leid, dass Lady Sky ihr Kind verloren hat, aber ich wüsste nicht, wie meine Handlungen etwas daran hätten ändern sollen.« Kerim starrte seine Mutter über den Haufen aus Brettern und Lederriemen hinweg an, die einmal sein Bett gebildet hatten. Seine Stimme klang gefährlich leise.

Lady Tirra schenkte dem warnenden Tonfall keinerlei Beachtung und griff ihn weiter an. »Du hättest ihr die Nachricht schonender beibringen können – eine mitten in der Nacht zugestellte Botschaft kann man wohl kaum rücksichtsvoll nennen. Wenn du wenigstens Sorge für eine ordentliche Aufbahrung getragen hättest … Stattdessen hast du ihn mit weniger Würde verbrennen lassen, als man dem Sohn eines schäbigen Gossenräubers angedeihen ließe.«

»Ich hielt es zu dem Zeitpunkt für das Beste. Da ich nicht für den Mord an Ven verantwortlich bin – auch wenn du das Gegenteil zu empfinden scheinst –, war es mir nicht möglich, einen günstigeren Zeitpunkt für die Bekanntgabe seines Todes zu wählen. Und was die öffentliche Trauerfeier angeht – sein Leichnam war in keinem Zustand, von der Allgemeinheit gesehen zu werden, erst recht nicht von einer hochschwangeren Frau. Aber ich hätte wohl den Körper meines Bruders einen Monat lang verrotten lassen sollen, damit Lady Sky erst ungestört ihr Kind gebären kann.« Den letzten Satz sprach Kerim mit einem verbitterten Sarkasmus aus, der in Shams Ohren einen Gutteil des Schmerzes zum Ausdruck brachte, den er empfand.

»Er ist dir immer zuwider gewesen, nicht wahr?« warf ihm Lady Tirra im Tonfall einer Feststellung vor. »Warum solltest du ihm im Tod Ehre zugestehen, wenn du ihm schon im Leben nichts vergönnt hast? Wir sind vor fünf Jahren in der Hoffnung hergekommen, dass du für Ven Ländereien finden würdest, die eines Bruders des Vogts würdig sind, aber stattdessen hast du ihn hierbehalten, wo er nach deiner Pfeife tanzen sollte. Du wolltest ihn ja nicht einmal zum Erben deines Amtes ernennen. Und dann, kurz bevor er durch die Eheschließung mit Lady Sky zu Wohlstand hätte kommen können, wird er getötet. Ich finde es auch bemerkenswert, dass die anderen Adeligen, die von diesem … unbekannten Mörder getötet wurden, allesamt Gegner deiner Richtlinien und Politik waren.«

Kerim hatte seine Gefühle mittlerweile wieder in den Griff bekommen. Aus seiner Stimme sprach nur noch Traurigkeit, als er erwiderte: »Mutter, fast alle Adeligen aus dem Osten sind gegen meine Haltung gegenüber den Lords von Südwald. Es wäre schwierig, einen zu finden, auf den das nicht zutrifft.«

»Mit dem Reichtum aus Lady Skys Aussteuer wäre Ven ein Problem für dich geworden«, merkte Lady Tirra frostig an.

Sham musterte die verbitterte Frau und entdeckte in Lady Tirra unerwarteterweise dieselbe Stärke, die ihren Sohn kennzeichnete. Es mochte diese Ähnlichkeit gewesen sein, die Sham bewog, sich an dieser Stelle einzumischen; es mochte auch der Umstand gewesen sein, dass Kerims Hände die Armlehnen seines Stuhls mit vor Anspannung weißen Knöcheln umklammerten.

»Lady Tirra.« Sham beobachtete, wie die Frau zögerte, als spiele sie mit dem Gedanken, der Mätresse ihres Sohnes einfach keine Beachtung zu schenken.

Schließlich drehte sich Tirra ihr steif zu. »Wie ich sehe, setzt Ihr Eure Versuche unvermindert fort, Aufmerksamkeit durch die Absonderlichkeit Eurer Aufmachung zu erlangen.«

Sham betrachtete kurz die schwarze Hose und das schwarze Hemd, beides grau vor Staub, und sie lächelte. Als sie jedoch das Wort ergriff, ging sie nicht auf die unverhohlene Herausforderung der Adeligen ein. »Kerim hat gute Gründe dafür, so zu handeln, Lady Tirra. Er hat entschieden, sie vor dem Rest des Hofes geheim zu halten, aber ich denke, Ihr habt ein Anrecht auf die ganze Wahrheit.« Oder, fügte Sham in Gedanken hinzu, zumindest auf so viel davon, wie ich bereit bin, preiszugeben.

Ohne Kerim Gelegenheit zu lassen, sie aufzuhalten, fuhr sie fort. »Wie Ihr schon sagtet, hat es eine Reihe von Morden gegeben, und Euer Sohn war dabei lediglich das neueste Opfer. Mein Lord bedient sich meiner« – sie räusperte sich leicht – »ungewöhnlichen Fähigkeiten, um den Täter in die Falle zu locken. In den vergangenen Tagen sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass der Mörder nicht das ist, was er zu sein scheint. Die Entdeckung von Lord Vens Leichnam gestern Nacht hat diese Vermutungen lediglich bestätigt.«

Sham achtete darauf, Lady Tirras Blick zu begegnen. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund glaubten die Menschen immer, man sei ehrlich zu ihnen, wenn man ihnen in die Augen schaute. »Lady Tirra, Lord Ven wurde nicht gestern Nacht ermordet; er war bereits seit mehreren Tagen tot.«

Die Lady versteifte den Körper, und ihre Augen blitzten. Als sie sprach, zitterte ihre Stimme vor einer unterdrückten Gefühlsregung, der Shamera keine Bezeichnung zuordnen konnte. »Ihr irrt Euch. Ich habe noch gestern mit meinem Sohn gesprochen.«