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Die Männer verlagerten unbehaglich das Gewicht von einem Bein aufs andere, einer jedoch trat vor. Er nahm seine Mütze ab und richtete den Blick zu Boden. »Ich bitt’ recht um Verzeihung, Herr, aber der Mann, der was gestorben is’, der is’ mein Bruder Jab. Er hat zu mir gesagt, dass ich mich mit ihm in der Scheun’ treffen sollt, wenn ich’s mit meine Pferd’ fertig bin. Er hat gesagt, dass er mir was zeigen will. Und wie ich reinkomm, da seh’ ich’s den Komischen …« Er räusperte sich, vermutlich weil ihm einfiel, dass der Vogt bekannt dafür war, Elsic zu mögen. »Tschuldigung, Herr. Ich seh’s also Elsic, wie er neben der Leich’ von mein’ Bruder knien tut. Da is’ kein Kopf am Körper gewesen, Herr. Ich hab’s nur wegen die Stiefel gewusst, dass es überhaupt der Jab is’.«

Kerim betrachtete die Sichel mit der scharfen Klinge, die der Stallknecht hielt, und erwiderte ruhig: »Also hast du beschlossen, selbst für ein wenig Gerechtigkeit zu sorgen, richtig?«

Das gerötete Gesicht des Stallknechts erbleichte, und seine Freunde begannen, sich unscheinbar davonzustehlen.

»Das is’ nur für mein’ Schutz, Herr. Dieser dämonische Gaul hat sein Abteil aufg’macht und mich aus der Scheun’ rausg’scheucht, bevor ich’s Elsic packen und für die Gardisten hab festhalten können.«

Kerim schüttelte angewidert den Kopf. »Genug. Bring die Sichel dorthin zurück, wo sie hingehört. Du hast den restlichen Tag frei. Um deinen Bruder kümmern sich die Priester des Tempels. Falls du andere Vorkehrungen für ihn wünschst, so rede mit einem von ihnen.« Damit schwenkte er die Hand, um die verbliebenen Männer zu entlassen.

Als der Letzte gegangen war, richtete Kerim seine Aufmerksamkeit auf die Scheune. Der große Hengst schnaubte und bäumte sich langsam auf. Das Tier hob beide Vorderbeine hoch in die Luft und hielt diese Pose einen ausgedehnten Augenblick lang, bevor er auf alle viere zurücksank.

»Ihr nehmt Euch besser zuerst des Pferdes an«, schlug Talbot vor, der eingetroffen war, als sich die Meute gerade aufgelöst hatte.

Kerim nickte und rollte vorwärts. Als er den Eingang passierte, schnaubte ihm der Hengst zu, löste jedoch die Aufmerksamkeit keinen Lidschlag lang von Sham, dem Stallmeister und Talbot. Als Kerim aus den Schatten der Scheune einen lauten, kurzen Pfiff ausstieß, folgte ihm Brandmal zögerlich.

»Kommt«, rief Kerim nach wenigen Atemzügen.

In der Scheune war es kühl und düster. Als sich Shams Augen nach der Helligkeit der Spätnachmittagssonne an die neuen Verhältnisse angepasst hatten, rollte Kerim gerade rückwärts mit seinem Stuhl aus einem Abteil gegenüber jenem, in das er sein Schlachtross geführt hatte. Stumm bedeutete er Talbot, hineinzugehen. Die Schatten verbargen, welcher Ausdruck in Talbots Gesicht trat. Nach wenigen Augenblicken kam er zurück heraus und schloss die Tür des Abteils hinter sich.

»Ist dir etwas Merkwürdiges aufgefallen?«, fragte Kerim.

Der einstige Seemann nickte verkniffen. »Zu wenig Blut. Sicher, es ist schon ganz schön blutig, aber wenn er hier getötet worden wäre, müsste es noch eine Menge mehr Blut sein. Jemand hat den Körper hergebracht, nachdem er bereits tot gewesen ist.«

»Elsic«, rief Kerim leise.

Die Tür zum Abteil des Hengstes öffnete und schloss sich hinter dem dünnen blassen Jungen wieder. Er hatte verschmiertes Blut an den Händen und an der Kleidung, wo er sich die Finger abgewischt hatte.

»Stallmeister«, sagte Kerim leise, ohne den Blick von Elsic abzuwenden. »Schick einen Reiter zum Tempel, und lass die Priester wissen, dass es eine weitere Leiche abzuholen gilt. Außerdem muss jemand Lirn suchen, den Hauptmann der Garde, und ihm Bescheid geben, dass ich hier zwei Gardisten brauche, die mir die Leute fernhalten, bis die Priester kommen.«

»Ja, Herr.« Der Mann ging und klopfte Elsic im Vorbeigehen auf die Schulter.

Kerim wartete, bis er sicher war, dass der Stallmeister die Scheune verlassen hatte, bevor er sich Elsic näherte.

»Es war Jab, oder?«, fragte Elsic kleinlaut.

»Ja«, antwortete Kerim. »Weißt du, wer ihn hierher gebracht hat?«

Elsic schüttelte den Kopf und lehnte sich an die Abteiltür, als wäre sie das Einzige, was ihn aufrecht hielt. Der Hengst schob den Kopf über die Tür und begann, Elsic mit den Lippen die Haare zu zausen.

»Es ist sehr leise hereingekommen«, erklärte Elsic und rieb mit einer Hand über den ausgeprägten Wangenknochen des Tieres.

»Es?«, hakte Talbot neugierig nach.

»Es hat Brandmal auch Angst eingejagt«, fügte Elsic hinzu.

Kerim nickte und verstand, was Elsic mit der Anmerkung meinte. »Brandmal hätte sich nicht gefürchtet, wenn das ein Mensch gewesen wäre.«

»Es hat eine andere Form gebraucht«, warf Sham ein.

»Was?«, fragte Talbot und sah sie verdutzt an, als hätte er ihre Gegenwart gerade erst bemerkt. Sie lächelte verkniffen und entfernte den Verschleierungszauber. »Der Golem hat eine andere Form gebraucht. Die von Lord Ven konnte er nicht noch einmal benutzen, also hat er sich jemand anderen gesucht.«

Kerim schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn. Dieses Wesen muss doch vermuten, dass wir wissen, es hat einen Golem. Warum den Leichnam des Stallknechts dann so unübersehbar zur Schau stellen? In weniger als einer Stunde wird jeder in der Feste wissen, dass Jab tot ist. Er ist schon länger hier als ich, und jeder kennt ihn.«

»Trotzdem ist er im Wesentlichen ein Namenloser«, merkte Talbot an. »Er sieht nicht anders aus als unzählige Burschen, die sich in Landsend tummeln. Wenn der Dämon nicht in der Feste bleiben will, erlangt er durch Jab Namenlosigkeit.«

Inzwischen waren Shams Gedanken weiter fortgeschritten. »Ich wette, er hat inzwischen noch jemand anderen getötet – und dann dafür gesorgt, dass man Jab findet. Obendrein an einem Ort, der Argwohn auf einen offensichtlichen Verdächtigen für die geheimnisvollen Todesfälle lenken würde. Talbot, schau dir Elsic an, und sag dem Vogt, was ein Südwäldler sieht.«

Talbot nickte begreifend und begann zu Shams Überraschung, leise zu singen.

»… Zart stand sie da mit holdem Gesicht, die Augen so schwarz wie das tiefe Meer, Haar lang und hell, wie’s ihrer Art entspricht, für mich war ihr Lied, zu mir trieb es her …«

Talbot zögerte und wirkte verlegen, obwohl sein volltönender Tenor die Töne durchaus getroffen hatte. »Das ist ein altes Seemannslied. Schon als ich ihn zum ersten Mal gesehen hab, musste ich daran denken. Ich hatte davor noch nie ein Selkie zu Gesicht bekommen, nicht einmal weiße Seehunde, in die sich Selkies ja angeblich verwandeln. Aber Elsic erinnert zu sehr an die alten Geschichten, als dass ein Südwäldler mit Seemannsblut in den Adern etwas anderes vermuten könnte. Ich denke, das ist auch der Grund, weshalb es für ihn so schwierig ist, sich hier einzugliedern.«

»Selkies«, erklärte Shamera für Kerim, »stehen im Ruf, gnadenlos und blutrünstig zu sein.« Ihr fiel auf, dass Elsic mittlerweile noch verstörter dreinschaute, deshalb fügte sie hinzu: »Dabei sollte man nicht übersehen, dass ihr Ruf von Menschen stammt, die sich den Lebensunterhalt damit verdienen, zu fischen und die Säugetiere des Meeres zu jagen – von Menschen also, die wohl nicht besonders beliebt bei einer Rasse sein dürften, die sich in Seehunde verwandeln kann. Mich überrascht, dass du noch nicht aufgefordert worden bist, ihn nur deshalb vor Gericht zu stellen, weil er ein Selkie ist.«

»Selkie?« Elsic murmelte das Wort leise. »Ich träume manchmal vom Meer.« Wenngleich sich sein Gesichtsausdruck nicht veränderte, schwang in seiner Stimme eine Schwermut mit, die sogar Shams durch Fegfeuer abgehärtetes Herz anrührte.

»Ich sag dir was, Junge«, ergriff Talbot gedehnt das Wort. »Nicht mal Altis’ Leopard kann dafür sorgen, dass die Stallungen ein freundlicher Ort für dich bleiben, bis wir den Dämon fangen. Meine Frau und ich haben acht Mädchen, und sie wollte immer einen Jungen – was auch der Grund dafür ist, dass wir acht statt sechs Kinder haben. Sie würde deine Gesellschaft für einige Tage sehr genießen, falls du bei uns wohnen möchtest, bis das hier vorüber ist.«