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Kerim warf Talbot einen dankbaren Blick zu. »Ich denke, das wäre das Beste, Elsic.«

Der Junge nickte und tätschelte ein letztes Mal das Pferd, bevor er sich von Talbot wegführen ließ.

»Genau das hat der Junge gebraucht«, brummte eine tiefe Stimme auf Südwäldisch hinter Sham. »Ein Haus voller Frauen macht mich auch immer glücklich.«

Sham drehte sich um und erblickte einen Mann, der ungezwungen auf einem Fass an der hinteren Wand der Scheune saß. Er war deutlich überdurchschnittlich groß und besaß einen Körper, der jedem Lustknaben einer Adeligen zu Ehre gereicht hätte. Samt und Seide, die er trug, ließen auf zumindest bescheidenen Wohlstand schließen. Das gewellte blonde Haar kennzeichnete ihn als Südwäldler, und die großen, geistlos wirkenden Augen mit den halb geschlossenen Lidern deuteten einen entsprechend geistlosen Verstand an – eine Vermutung, die schon angesichts seiner Größe aufkam. Das Einzige, was völlig fehl am Platz wirkte, war der abgewetzte Griff des schweren Entermessers, das er an der Hüfte trug.

Kerim fragte sich wahrscheinlich, wie es dem Mann gelungen war, sich an ihnen vorbei in die kleine Scheune zu schleichen, ohne dabei von jemandem bemerkt zu werden. Sham stellte sich die Frage nicht, denn diesen kleinen Trick – sowie einige andere – hatte sie ihm beigebracht.

»Mein lieber Vogt«, ergriff Sham übertrieben förmlich das Wort, »so du ihn noch nicht kennengelernt hast, gestatte mir bitte, dir den Hai vorzustellen.«

Der Hai richtete sich zu seiner vollen außergewöhnlichen Größe auf und vollführte einen Hofknicks. Sham fiel auf, dass er noch dümmer als sonst aussah, und sie fragte sich, was er im Schilde führen mochte. »Wir hatten bisher nur über Dritte Umgang miteinander. Seid gegrüßt, mein Lord.«

Kerim nickte und bedachte den Herrn der Flüsterer mit einem abwägenden Blick. »Gleichfalls. Du musst schon verzeihen, wenn ich dich frage, warum du hier bist.« Kerim deutete mit ausholender Geste auf die Scheune im Allgemeinen.

Der Hai hob die unbewaffneten Hände, um seine Harmlosigkeit zu unterstreichen. »Ich? Oh, ich halte mich lediglich an eine Vereinbarung, die Sham und ich hinsichtlich gewisser Auskünfte haben. Dass ich Sie in Eurer erlauchten Gegenwart antreffe, ist bloß ein glücklicher Zufall.«

Wenngleich die Worte und Floskeln, die der Hai benutzte, des Hofes würdig waren, klang sein Fegfeuerakzent mit der typischen Betonung der Selbstlaute deutlich durch und bildete einen krassen Gegensatz zu seinen feinen Kleidern. Da Sham wusste, dass er mit jedem beliebigen Akzent sprechen und so schnell von einem zum anderen wechseln konnte, wie ein Fuchs einen Haken zu schlagen vermochte, konnte die jetzt zur Schau getragene Derbheit nur für den Vogt gedacht sein.

»Hast du etwas über den Chen Laut herausgefunden?«, fragte Sham ansatzlos dazwischen. Sein Gebaren verwirrte sie.

Der Hai verneigte sich vor ihr, ohne den Blick vom Vogt abzuwenden. »Ich habe jemanden gefunden, der behauptet, etwas darüber zu wissen, aber reden will er nur, wenn der Vogt dabei ist.«

»Warum denkt er, der Vogt könnte sich für die Angelegenheit interessieren?« Sham starrte dem Hai ins Gesicht, bis er ihrem Blick schließlich begegnete.

»Ich habe keine Ahnung. Der Mitarbeiter, der ihn aufgespürt hat, schwört, dass der Zauberer die Bedingung von sich aus gestellt hat.«

Shamera konnte zwar keinerlei Anzeichen dafür erkennen, dass der Hai log, allerdings wusste sie, dass er mit dem dümmlichen Gesichtsausdruck, den er sich angeeignet hatte, auch viel zu verbergen vermochte. Sie musterte ihn mit gerunzelter Stirn, bis er mit den Schultern zuckte und die Hände hob, um seine Arglosigkeit zu unterstreichen.

»Beim Grab meiner Mutter, Sham, ich weiß nicht, warum er entschieden hat, dass der Vogt dich begleiten muss. Auf der Straße hat sich nicht herumgesprochen, wo du dich derzeit aufhältst, und keiner meiner Leute ist nach dir gefragt worden. Der Zauberer ist gestern an einen meiner Mitarbeiter herangetreten. Die Flüsterer bedienen sich dieses Magiers gelegentlich, und wir hatten ihn schon mehrmals auf den Chen Laut angesprochen. Aber er hat immer behauptet, nichts darüber zu wissen. Jetzt will er sich heute Nachmittag in seiner Werkstatt in Fegfeuer mit dir treffen … und mit dem Vogt.«

Sham schüttelte den Kopf. »Und wie erwartet er, dass wir den Vogt mit diesem Rollstuhl nach Fegfeuer schaffen sollen, ohne jeden Möchtegerndieb und Entführer im Umkreis von hundert Wegstunden anzulocken? Will er etwa ein Publikum von mehreren hundert Dieben haben? Selbst wenn wir es hin und wieder zurück schaffen könnten, ohne dabei getötet zu werden, würde sich jeder Mensch in der Stadt fragen, was den Vogt geritten hat, sich nach Fegfeuer zu begeben.«

Die Lippen des Hais zuckten angesichts ihrer Vorwürfe. »Ich habe nicht mit dem Mann gesprochen, um ihn zu fragen, was er sich dabei denkt. Dieser Teil liegt dann wohl bei dir. Ich kann nur gewährleisten, dass es die Flüsterer nicht in alle Winde tragen werden.«

»Ich kann reiten«, warf Kerim verhalten ein. Bei dem hitzigen Wortwechsel hatte Sham ihn beinahe vergessen. »Da ich wieder Gefühl in den Beinen habe und die Muskelkrämpfe zurückgegangen sind, sollte ich in der Lage sein, mich im Sattel zu halten. Sobald wir dort sind, kann mir Dickon in die Behausung des Zauberers helfen.«

Sham richtete einen abwägenden Blick auf ihn. »Das Wagnis ist zu hoch. Wenn du mit einem in der Feste gezüchteten Pferd durch Fegfeuer reitest, könntest du dir ebenso gut eine Zielscheibe auf den Rücken malen.«

»Dieser Dämon hat meinen Bruder getötet«, erinnerte Kerim sie. »Wenn meine Gegenwart dazu beitragen kann, ihn zu fangen oder herauszufinden, was wir mit ihm machen sollen, wenn wir ihn erst haben, dann lass uns auf jeden Fall nach Fegfeuer reiten. Hier gibt es nicht nur edle Zuchtrösser, sondern auch Karrenpferde. Ich bin sicher, wir können geeignete Tiere finden.«

Sham wandte sich an den Hai. »Wann heute Nachmittag?«

»Sofort.«

»Ich hole Dickon.«

Die zwei Männer blieben stumm, bis Shamera hinter den Mauern der Feste verschwand, bevor sie sprachen.

»Also«, meinte der Hai und wiegte sich auf die Fersen zurück, »hat sie wieder einen gefunden.«

Kerim wartete höflich, längst an das Austragen verschiedenster Arten von Schlachten gewöhnt.

»Einen weiteren hilflosen Welpen, den sie bemuttern kann«, klärte ihn der Hai mit einer Beiläufigkeit auf, die Kerims Misstrauen schürte. »Ich hab mich schon gefragt, wie lang es nach dem Tod des Hexers dauern würde, bis sie wieder jemanden findet, den sie umhegen kann.«

»Ich sehe hier keine Milchzähne«, gab Kerim zurück und bleckte das weiß aufblitzende Gebiss. »Und was die Frage angeht, wer sich um wen kümmert, denke ich, dass bislang ein recht ausgeglichenes Verhältnis herrscht.«

Der Hai wandte sich ab und beobachtete, wie sich die Schatten in der Ecke der Scheune verdichteten. »Seid vorsichtig, was Ihr tut, Katzenfreund. Diejenigen von uns, die in Fegfeuer leben, sind gut darin, zu hassen, und wir fressen unsere Feinde. Sham genauso wie ich.«

»Wen hasst sie denn?«, erkundigte sich Kerim leise.

»Ah, meine Sham hasst viele Menschen, aber sie lenkt ihre Gefühle in geordnete Bahnen und beherrscht sie. Sham hält sich an Regeln. Sie wählt ihre Opfer sorgsam aus. Durch die Regeln bewahrt sie sich ihre geistige Gesundheit, während der Rest von uns im eigenen Hass und in der eigenen Verzweiflung verrottet.« Als sich der Hai wieder Kerim zudrehte, beraubte eine alte Wut seine Augen der Ausdruckslosigkeit, die den Eindruck von Dummheit hatte entstehen lassen. »Aber ich schulde ihr meinen Schutz – und mein Hass folgt keinen Regeln. Wenn Ihr sie verletzt, finde ich Euch.« Kerim fiel auf, dass auch der starke Akzent verschwunden und das Cybellisch des Hais so tadellos wie das eines Höflings war.