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Kerim nickte bedächtig. »Und dein Schutz beinhaltet, dass du sie uns vorgeschlagen hast, obwohl du – wie ich vermute – wusstest, dass sie diese Ermittlungen zu einem Aufeinanderprallen mit einem Dämon führen würden?«

Der Hai zuckte mit den Schultern und setzte wieder die Miene auf, die besagte: Frag mich nichts, ich bin ein Idiot. »Sie hat mich darum ersucht, ihr zu helfen, den Dämon zu finden. Da es den Anschein hatte, dass die Kreatur in irgendeiner Weise in Verbindung mit dem Hof steht – schien es mir das Beste zu sein, beide Anforderungen auf einmal zu erfüllen.«

Der Magier unterhielt seine Arbeitsräumlichkeiten in einem abgelegenen Teil von Fegfeuer, wo die ärmsten Menschen lebten. Das Gelände präsentierte sich übersät von den kartenhausähnlichen Überresten alter Lagerhäuser, die eine Generation salziger Seeluft regelrecht in den Boden hinein hatte verrotten lassen. Hier und da standen grobe Unterstände, die die Leute aus erbeuteten Brettern gebastelt haben mussten.

Dichter Meeresnebel hing in der Luft, klammerte sich hartnäckig in den niedrigeren Gefilden fest und beraubte die Umgebung jeglichen Anscheins von Farbe. Es war ein Nebel, der vor Verzweiflung und unerzählten Tragödien strotzte; Sham hatte dieses Gebiet noch nie ohne ihn gesehen.

Die Diebin schauderte, und sie schlang den fadenscheinigen Mantel, den sie sich in den Stallungen geliehen hatte, enger um sich. Diese Gegend wurde von einem der gnadenlosesten Bandenanführer Fegfeuers beherrscht, und sie wusste, dass seine Handlanger in wenigen Tagen hier einfallen, die Zufluchten niederreißen und die spärlichen Habseligkeiten rauben würden, die den Bewohnern noch verblieben. Auf dem Boden lag ein einsamer menschlicher Oberschenkelknochen, eine stumme Warnung für diejenigen, die geneigt waren, sie zu beherzigen.

Schon merkwürdig, dachte sie mit einem Anflug von Verbitterung, dass Menschen größeres Grauen erschaffen konnten, als sie von Dämonen oder Ghulen ausgingen. Der Alte Mann hatte erzählt, dass sich dieselbe Stimmung selbst nach Jahrhunderten auf alten Schlachtfeldern hielt. Orte, die zu viel Gewalt aufnehmen mussten, neigten dazu, Geister zu beherbergen. Wenn sie sich gestattete, aufmerksam zu lauschen, konnte sie das Stöhnen der Toten im Wind hören. Das Pferd, auf dem sie ritt, zog den Kopf ein und bewegte sich näher zu den anderen Tieren aus den Stallungen des Vogts, als könne es ebenfalls den Widerhall des Elends an diesem Ort vernehmen.

Sie bildeten eine merkwürdig anmutende Gruppe, fügten sich aber gut ins Bild der wenigen zerlumpten Seelen, die sich in den Schatten herumdrückten. Die bunten Samtgewänder des Hais dienten ebenso sehr als Warnung wie als Bekleidung. Nur ein Narr oder ein äußerst gefährlicher Mann würde eine solche Aufmachung tragen – und ein Narr hätte es nicht so weit geschafft. Sham erübrigte einen Gedanken dafür, sich zu fragen, wo er das Reiten gelernt haben mochte; soweit sie wusste, hatte er nicht den Vorzug genossen, der Spross eines Hauptmannes der Garde zu sein.

Kerim ritt ohne jegliche Schwierigkeiten und sah durch und durch wie der Krieger aus, der er war. Jemandem, der nach leichter Beute Ausschau hielt, würde nicht entgehen, wie unbeschwert und selbstsicher seine Hand auf dem Heft seines in der Scheide steckenden Schwertes ruhte. Am überraschendsten hatte Sham gefunden, mit welcher Leichtigkeit sich Dickon zusammen mit seiner zivilisierten Kleidung auch seines zivilisierten Gebarens entledigt hatte – er wirkte genauso gefährlich wie die anderen. Mit einem leichten Anflug von Belustigung erkannte sie, dass sie das am wenigsten beeindruckende Mitglied der Gruppe sein musste.

Während sie weiterritten, wurden die Gebäude nach und nach wieder höher, errichtet aus wiederverwendetem Holz und Ziegelstein, verfugt mit Schlamm, befestigt mit Seilresten und rostigen Nägeln. Eine Dirne beobachtete sie mit stumpfsinnigem Blick und dem ernüchterten Wissen, dass eine so gut gekleidete Gesellschaft bis nach Einbruch der Dunkelheit warten würde, ehe sie sich dem hingäbe, was sie verkaufte.

Der Hai zügelte sein Pferd an der Front eines hastig zusammengeschusterten Bauwerks mit Decken vor den Fenstern und einigen der größeren Löcher in den Wänden. Sham verspürte kurzzeitig Überraschung darüber, dass niemand die Decken gestohlen hatte, bis sie den magischen Schutz bemerkte, der das Gebäude umgab.

Als sich der Hai aus dem Sattel schwang, strömte eine kleine Schar von Gossenkindern aus der Sicherheit der Schatten hervor, um sich der Pferde anzunehmen. Sie erwiesen sich als nicht so mager wie der Rest der Kinder in dieser Gegend, weshalb Shamera davon ausging, dass der Hai sie hergebracht hatte. Wenn er so weit vorausgedacht hatte, dann hatte er wahrscheinlich in der Nähe noch andere, tödlichere Schergen versteckt. Zuversichtlicher als zuvor, dass sie es ohne Zwischenfall zurück zur Feste schaffen könnten, stieg auch Shamera ab.

Den Vogt vom Pferd zu bekommen gestaltete sich einfacher, als es gewesen war, ihn in den Sattel zu hieven. Als Sham sein Gesicht betrachtete, fürchtete sie jedoch, dass er noch für die ungewohnte Tätigkeit des Reitens würde bezahlen müssen. Mit Dickon auf einer Seite und dem Hai auf der anderen bewältigte der Vogt den Weg von seinem Pferd zum Gebäude und trug dabei einen Großteil des eigenen Gewichts selbst.

Im Inneren erwartete sie eine Kammer mit festgestampftem Erdboden, leer abgesehen von zwei Stühlen und einer durchsichtigen Kristallkugel, die in Hüfthöhe ohne sichtbaren Halt mitten im Raum schwebte. Der Anblick der Stühle veranlasste Shamera, ihre Stirn in Falten zu legen; sie hatte höchstens mit einer Bank gerechnet. Stühle waren für Adelige, die sich die hohen Preise von Holzhandwerkern leisten konnten und an Orten lebten, wo solche Dinge nicht gestohlen wurden.

Der Vogt ließ sich behaglich auf einem der Stühle nieder, und Dickon und der Hai stellten sich neben ihn. Der andere Stuhl stand dem Vogt zugewandt und war offensichtlich für den Zauberer gedacht. Shamera wich einen Schritt zurück, um sich gegen die Wand zu lehnen, doch bevor sie dazu kam, krachte ihr Hinterkopf hörbar gegen irgendetwas.

Sie rieb sich die wunde Stelle, drehte sich um und betrachtete argwöhnisch den vermeintlich leeren Raum hinter ihr. Als sie stirnrunzelnd die Wand betrachtete, bemerkte sie ein kaum wahrnehmbares Flimmern um die Ränder einer Leerstelle – sie flüsterte einige geheime Worte.

Der Anschein, dass da nichts war, platschte zu Boden wie Wasser. Zurück blieben mehrere Regale mit einigen Büchern und geheimnisvollem Krimskrams, eine Bank an einer Wand und ein Zauberer, der eine Kutte mit Kapuze trug und sie aus dem gegenüberliegenden Winkel des Raumes beobachtete. Shamera verneigte sich vor ihm und nahm auf der Bank Platz. Die Gestalt mit der Kapuze kicherte vergnügt und kam mit schlurfenden Schritten aus seiner Ecke hervor. Sham spürte ein kurzes Kribbeln seiner Macht, als die schwebende Kugel zur Decke aufstieg und Licht abzustrahlen begann.

Sie schnaubte verächtlich. »Nicht alle von uns sind Wilde aus dem Osten, die sich mit einem Magierlichttrick beeindrucken lassen, den ich schon konnte, bevor ich reden gelernt habe.«

»Oh«, krächzte der Magier heiser und stützte sich schwer auf seinen schwarzen Stab, als er weiter ins Licht tappte. »Eine Hexerin. Ich habe gehört, dass eine nach dem Dämon sucht.«

»Ich habe dir das gesagt, Zauberer. Und ich lüge nicht«, warf der Hai mit frostiger Stimme ein.

»Ja.« Die Schultern des alten Mannes zitterten vor Vergnügen, und er wandte sich Kerim zu. »Siehst du, wie einfach es ist, einen stolzen Mann zu verärgern? Hüte dich vor Stolz, Junge, denn Stolz wird dich zu Fall bringen.«

»Ist das eine Weissagung oder der Versuch einer Unterhaltung, Alterchen?«, wollte Sham wissen.

Der Zauberer bewegte sich auf sie zu; der durchdringende Geruch der zwar prächtigen, aber dreckigen Pelzrobe trieb ihr regelrecht Tränen in die Augen. »Unterhaltung, Kind. Für Weissagungen werde ich bezahlt. Bist du deshalb hergekommen? Ich dachte, du suchst nach einem Dämon.«