Выбрать главу

»Weissagungen sind ein zweischneidiges Schwert«, entgegnete Sham. »Beim Versuch, einem schlechten Los zu entgehen, kann man nur allzu leicht ein noch schlimmeres finden. Wir sind wegen deines Wissens hier, nicht wegen deiner Magie. Ich muss alles erfahren, was du mir über den Chen Laut erzählen kannst.«

»Und du …« Die krumme Gestalt drehte sich Dickon zu. »Weshalb bist du hier?«

Sham vermeinte, einen Anflug von Verwirrung in Dickons sonst so reglosen Zügen zu erkennen, doch der Eindruck verflog zu schnell, um sicher sein zu können.

»Ich gehöre zum Vogt.«

»Ich verstehe.« Der Alte wiegte sich auf den Fersen zurück. Sham trat einen Schritt vor, weil sie fürchtete, er könnte das Gleichgewicht verlieren und nach hinten überkippen, aber er fing sich rechtzeitig.

Langsam humpelte der Magier zu dem unbesetzten Stuhl und ließ sich draufplumpsen. Er schüttelte den Kopf. »Dämonen sind keine angenehme Gesellschaft, meine Liebe.«

Sham vermutete, dass er mit ihr sprach, wenngleich er den Blick eindringlich auf die Wand etwas links von ihr gerichtet hatte. »Er hat uns auserkoren, nicht wir ihn – er benutzt Landsend als Jagdgefilde. Er hat den Bruder des Vogts ebenso getötet wie meinen Meister, den früheren Zauberer des Königs, Maur.«

»Den Zauberer des alten Königs?« Der von der Zeit schwer gezeichnete Magier straffte die Schultern und flüsterte wie zu sich selbst: »Und du warst sein Lehrling? Ich dachte, er wäre vor langer Zeit gestorben – ich habe die Berührung seiner Magie nicht mehr gespürt, seit die Feste eingenommen wurde.«

»Mittlerweile ist er tot«, erwiderte Sham, wenngleich ihr Tonfall nicht so scharf wie beabsichtigt ausfiel. »Die letzten Worte, die seine Lippen verließen, waren die Warnung vor einem Dämon namens Chen Laut. Ich muss diesen Dämon finden und vernichten.«

Der Zauberer nickte, wiegte sich ein wenig auf dem Sitz vor und zurück. »Der Chen Laut ist der Dämon der Feste. Schon lange bevor die derzeitige Festung auf ihrem Hügel stand, kam der Dämon von Zeit zu Zeit und nährte sich, bevor er wieder für Jahrzehnte oder Jahrhunderte verschwand. Die Geschichte seines Ursprungs verhüllt der Schleier der Zeit, und ich kenne nur Bruchstücke mit Gewissheit.«

»Wir hören dir zu«, meldete sich der Hai zu Wort.

»Ja, das tut ihr«, pflichtete der Zauberer ihm bei. »Nun denn. Vor langer, langer Zeit – lange vor den Magierkriegen – gab es einen Zauberer, Harrod, den Grauen. Er war reich an Magie und arm an Weisheit, denn nur ein Tor würde einen Dämon als Diener an sich binden, ganz gleich, wie viel Kraft man auch besitzen mag. Die Zauber sind schwierig, und in Augenblicken der Leidenschaft oder des Schmerzes ist es allzu leicht, die Herrschaft über sie zu verlieren.

Der Dämon, den er an sich band, war geduldig; er besaß die Geduld aller unsterblichen Wesen. Er diente seinem Meister gut, bis der Mann ihn nicht mehr nur als Sklaven, sondern auch als Freund betrachtete. Als der Dämon seine Gelegenheit gekommen sah, tötete er den Zauberer – und saß dadurch hier fest, für immer von seinesgleichen getrennt. Der Zauberer nannte ihn ›Chen Laut‹ – was in der alten Sprache ›begabter Diener‹ bedeutet.«

»Weißt du, wie man ihn finden kann?«, fragte Sham.

»Ja.« Der Greis starrte einen Atemzug lang mit verschwommenem Blick auf den geschnitzten Griff seines Stabs. »Vielleicht findet er aber auch dich, so wie Maur.«

»Gibt es noch andere Geschichten?«, meldete sich Kerim zu Wort. »Jeder Südwäldler, dem ich je begegnet bin, kennt Geschichten über die eine oder andere Art von magischen Geschöpfen.«

Der Zauberer prustete vor überraschtem Gelächter. »Hast du schon vom Dämon der Feste gehört? Nein? In Wirklichkeit ist es eine undurchsichtige Geschichte; allerdings ist das eher auf die Bemühungen der Herrscher von Landsend zurückzuführen als auf einen Mangel an Beweisen oder Interesse, hmm. Die Adeligen wären sonst längst in Scharen von hier abgerückt. Es sei denn natürlich, es wären Ostländler, zu vermeintlich kultiviert, um an derlei irrigen Unfug zu glauben.« Eine Weile kicherte er vor sich hin.

»Würde es Aufzeichnungen geben?«, fragte Sham. »Wenn das schon früher geschehen ist, dann ist vielleicht irgendjemand der Lösung schon mal näher gekommen als wir.«

Kerim schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Als ich hier eintraf, war vieles zerstört. Was noch übrig war, habe ich zur Aufbewahrung in den Tempel geschickt – Talbot kann es von einigen seiner Leute durchsehen lassen.«

»Wenn wir den Dämon finden«, sagte Sham gedehnt, »was können wir dann gegen ihn unternehmen?«

»Zauberer, die von Dämonen und dergleichen wissen, werden von ihrer eigenen Art gejagt. Ich habe dir über den Dämon erzählt, was ich kann.« Mit einem Schwenk seines Stabs füllte sich der Raum mit öligem, übel riechendem Rauch.

Hustend rannte Sham zur Tür und zog sie auf, damit der stinkende Qualm aus der missgestalteten kleinen Hütte entweichen konnte. Als er sich gelichtet hatte, war der Magier verschwunden, und ein Trugbann verhüllte erneut das Innere der Werkstatt.

»Also«, meinte Shamera, als Dickon und der Hai Kerim auf dessen Pferd halfen, »die guten Neuigkeiten sind, dass wir etwas über den Chen Laut wissen. Allerdings hat er, wenn der Magier richtigliegt, mindestens tausend Jahre überlebt, und das in Zeiten, als Magier mit meinen Fähigkeiten in Landsend so verbreitet waren wie Kirchenmäuse. Außerdem wissen wir immer noch nicht, wie wir die Kreatur aufspüren können – oder sie töten, wenn wir sie finden.«

»Glaubst du, er hat uns alles gesagt, was er weiß?«, fragte Kerim.

Es war der Hai, der mit einem schiefen Grinsen darauf antwortete. »Ihr habt Sham noch nicht lange um Euch gehabt, oder? Eine klare Antwort aus einem Zauberer herauszubekommen ist so, als warte man darauf, dass ein Fisch blinzelt – es wird nicht passieren. Er weiß wahrscheinlich eine Menge mehr, das er nicht verrät – aber man bräuchte eine Streckbank, um es aus ihm herauszubekommen.«

Dickon war still hinter dem Vogt hergeritten und hatte auf den Boden gestarrt. Er räusperte sich und ergriff das Wort. »Überrascht es denn sonst niemanden, festzustellen, dass sich Lord Halvok für einen Zauberer hält?«

»Was?«, hakte Kerim in scharfem Tonfall nach.

»Ich fragte«, wiederholte Dickon langsam, als spräche er mit jemandem, der ausgesprochen schwer von Begriff war, »ob es nicht seltsam ist, dass sich Halvok für einen Zauberer hält.«

»Du glaubst, der alte Magier war Halvok?«, fragte Shamera.

Der Diener sah sie mit gerunzelter Stirn an. »Ich gebe zu, dass seine Verkörperung eines Greises gut war, aber unter der Kapuze seiner Robe hat eindeutig Lord Halvok gesteckt.«

Kerim schaute zu Sham. »Ich habe Lord Halvok nicht gesehen.«

Der Hai hatte den Ansatz eines Lächelns im Gesicht und betrachtete Dickon. »Ein Ostländler? Wie seltsam. Ich dachte, man hätte die Magie aus euch allen herausgezüchtet.«

Sham schenkte dem Hai keine Beachtung, murmelte stattdessen einige Worte und streckte die Hand aus. »Was halte ich hier, Dickon?«

Der Diener legte erneut die Stirn in Falten und sah sie an, aber er antwortete. »Einen Stein.«

Sie betrachtete den Frosch auf ihrer Hand, der zweimal träge blinzelte und dann verschwand. Zurück blieb ein kleiner, rund geschliffener Stein.

»Was hat das zu bedeuten?«, warf Kerim nachdenklich ein.

Sham zuckte mit den Schultern, steckte den Stein zurück in die Tasche und drängte ihr Pferd zurück in die Richtung der Feste. »Ich vermute, es bedeutet, dass Lord Halvok ein Zauberer ist – ein ziemlich gerissener.«

»Und?«, hakte Kerim nach, während Dickon unbehaglich dreinschaute.

Der Hai kicherte. Als Sham ihm einen strengen Blick zuwarf, verstummte er und setzte eine nüchterne Miene auf, aber seine Schultern zitterten weiter vor Belustigung. »Wer hätte das gedacht?«, murmelte er. »Ein im Osten geborener Zauberer.«

»Maur«, sagte Sham leise, »hat immer behauptet, dass Ostländer und Südwäldler unter der Haut dieselben sind. Anscheinend hatte er recht. Dickon ist mit Magie geboren, mein lieber Vogt, und anscheinend besitzt er eine Begabung für Trugbanne.«