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Sie verkniff sich ein erleichtertes Gelächter und setzte den Weg in den Keller fort. Die Temperatur fiel merklich, als das letzte trübe Licht hinter ihr zurückblieb. Sie hielt inne und suchte mittels Hellsicht erneut nach der bruchstückhaften Magie des Arbeitsraums, wenngleich sie diesmal nicht die Augen schloss – das wäre angesichts der völligen Schwärze, die im Keller herrschte, sinnlos gewesen. Sie konnte immer noch die mit der Sammlung der Antiquitäten verworrenen Banne spüren, aber diesmal lag das stärkere Ziehen vor ihr und etwas links.

Shamera entschied, das Wagnis, dass jemand ihr Licht sehen könnte, war geringer als jenes, dass jemand hörte, wie sie in der Finsternis über die Katze stolperte. Also beschwor sie erneut ihr Magierlicht. Sie ließ es trüb, um ihre Nachtsicht nicht zu zerstören. Von der Katze fehlte, ihrer Unberechenbarkeit entsprechend, jede Spur.

Die erste Tür, zu der Shamera gelangte, führte in einen mit Lebensmitteln gefüllten Lagerbereich. Beim zweiten Raum handelte es sich unübersehbar um eine Werkstatt – allerdings eine der falschen Art. Teile zerbrochener oder unfertiger Möbel verteilten sich in geordneter Weise über die Kammer. Eine dritte Tür gab es nicht, obwohl sie das Pulsieren von Magie ziemlich stark spüren konnte, als sie danach tastete.

Stirnrunzelnd klopfte sie ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden und starrte in die Werkstatt. Sie atmete ein und nahm unter dem Geruch von Zitronenöl und Beize den Duft von Kräutern sowie den beißenden Gestank verbrannter Haare wahr. Im Geiste verglich sie die Größe des Lebensmittellagerraumes und der Holzwerkstatt miteinander. Der Lagerraum war bedeutend schmaler.

Sie kehrte zum Lagerraum zurück und entdeckte hinter einem Regal mit getrockneter Petersilie und frischem Gemüse eine schlichte Tür, die zu Lord Halvoks wahrer Werkstatt führte – in der es nach Magie statt nach Beize roch. Das Betreten des Raumes bescherte ihr das eigenartige Gefühl, in der Zeit zurückzureisen. Genauso hatte die Werkstatt des Alten Mannes in der Feste ausgesehen.

Von schwarzer Magie fehlte hier ebenso wie in der Hütte in Fegfeuer jede Spur; doch Shamera hatte auch nichts anderes erwartet. Ein Magier, der den verbotenen Künsten frönte, würde das kaum in seinem eigenen Haus tun. Sie begann, seine Bücher durchzusehen.

Jede Magie besaß eine bestimmte Signatur, die sie einem Zauberer zuordnete. Aufgrund dieser Signatur ließ sich sagen, was ein Bann bewirken würde, auch wenn er dem Magier, der ihn betrachtete, nicht bekannt war. Statt Zeit damit zu vergeuden, jedes Buch zu durchstöbern, berührte Sham die Bücher nacheinander, indem sie ihre Magie benutzte, um jene Bände herauszuholen, die unter Umständen schwarze Magie enthalten mochten.

Nach zwanzig Minuten Arbeit hatte sie drei Bücher auf der glatten Oberfläche eines Marmortisches ausgebreitet. Beim ersten handelte es sich um eine alte Ausgabe eines noch älteren Textes. Es enthielt mehrere Zauber, die zur Verwendung verschiedener Körperteile aufriefen … ›den Zeigefinger eines Erhängten zur Frühlings-Tagundnachtgleiche‹, ›das Auge eines im Schlaf Verstorbenen‹. Genug, um die Banne als schwarze Magie zu bezeichnen, aber der damit gewirkte Weitsichtzauber war nicht, wonach Sham suchte. Sie legte das Buch beiseite.

Das zweite besaß einen butterweichen Ledereinband und wies als Prägung den aufschlussreichen Titel Majik Boke auf. Im Gegensatz zum Ersten war dies von einem Bann versiegelt, damit es nicht beiläufig von einem Ahnungslosen geöffnet werden konnte. Sham brauchte ein Weilchen, um die Schutzbanne aufzulösen, die sich als alt und mächtig erwiesen – und als vage vertraut. Kaum hatten die Banne ihre Wirkung verloren, öffnete sich das Buch mit flatternden Seiten, und die Signatur des Bösen verstärkte sich um das Zehnfache.

»Das habe ich in der Asche des Feuers gefunden, in dem die Bibliothek des Magiers des Königs verbrannt wurde«, sagte Lord Halvok leise hinter ihr.

Sham drehte sich zu ihm um und nickte mit einer Ungezwungenheit, die sie nicht empfand. Niemals Angst zeigen oder sich anmerken lassen, dass man überrascht worden war. »Ich dachte mir schon, dass ich die Arbeit des Alten Mannes in den Schutzbannen erkannt hätte. Ihr habt es noch nie geöffnet?«

Lord Halvoks plumpe Finger streichelten die Katze mit den gelben Augen, die sich schlaff um seine Schultern geschlungen hatte, hinter den Ohren. Das Tier schnurrte. »Nein, ich habe eines, das genauso ist – obwohl ich glaube, das Maurs Ausgabe etwas älter als meine sein könnte.«

Zwanglos trat er an den Tisch, auf dem die Bücher ruhten, und ergriff jenes, das zu untersuchen Shamera noch keine Zeit gehabt hatte. Er hob die Banne auf, die es geschlossen hielten, und öffnete das Exemplar, um ihr denselben Text zu zeigen, der sich auf der Seite des von ihr aufgeschlagenen Buches befand – wenngleich in einer anderen Handschrift verfasst. »Das ist meine Ausgabe. Da Ihr Maurs Lehrling wart, finde ich, dass jene, die Ihr geöffnet habt, Euch gehören sollte. Ich rate Euch, das Buch an einem Ort zu verwahren, wo es niemand finden kann. Texte, die sich mit schwarzer Magie befassen, sind verboten, Lady Shamera.«

Er schlug das Buch zu und begegnete ihrem Blick. »Sagt, woher habt Ihr gewusst, dass ich der Zauberer heute Nachmittag war? Mein Trugbann vom alten Zauberer hat schon viele Magier genarrt, die – verzeiht, wenn ich das sage – mächtiger als Ihr waren.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Wie lange wisst Ihr schon, dass ich eine Hexerin auf der Suche nach einem Dämon statt die Mätresse des Vogts bin?«

»Nach all den Jahren erwählt Lord Kerim eine Mätresse – nicht bloß irgendeine Mätresse, sondern eine Einheimische.« Kurz schloss er die Augen. »Wir sind so lange ohne Hoffnung gewesen. Haben nur durch den dünnen Faden von Lord Kerims Ehre an unseren Ländereien festgehalten.« Er öffnete die blauen Südwald-Augen wieder und begegnete ihrem Blick. »Als mir klar wurde, dass irgendetwas vor sich geht, war es einfach, das mit Euch in Verbindung zu bringen. Warum sollte er eine unbekannte Lady aus Südwald auserwählen, die, wenn Ihr verzeihen wollt, mehr Stil als Schönheit besitzt, wenn er sich eine beliebige Hofdame hätte aussuchen können? Darunter auch Frauen aus Südwald wie Lady Sky, so denn sein Geschmack in diese Richtung geht.«

»Natürlich wegen meines sprühenden Geistes«, erwiderte sie in Lady Shameras gedankenloser Art.

Unwillkürlich lachte er. »Richtig. Aufgrund der Berichte meiner Pflegekinder hatte ich bereits begonnen, Eure Klugheit neu einzuschätzen. Siven meinte, seiner Meinung nach setzt Ihr Eure Dummheit mit großem Geschick und mit Gerissenheit ein.« Halvok schüttelte den Kopf. »Von all dem abgesehen musstet Ihr eine Magierin sein, um dem Vogt zu helfen, den Dämon aufzuspüren. Er hätte es in diesem politischen Klima niemals gewagt, sich für irgendetwas anderes mit einer Lady aus Südwald einzulassen. Und nun beantwortet meine Frage: Wie habt Ihr mich erkannt?«

»Maur hat immer gesagt, dass Trugbanne ein unzuverlässiger Zauber sind – sie sind die einzigen Banne, die ihre Wirkung verlieren können, ohne dass ihr Erschaffer es merkt.«

»Ihr wollt es mir nicht verraten.«

»Nein. Es ist nicht mein Geheimnis, und es steht mir daher nicht zu, es Euch zu enthüllen.«

Einen Atemzug lang starrte er sie eindringlich an, dann nickte er. »Na schön.«

Sham schürzte die Lippen und klopfte mit den Fingern leicht auf den Tisch. »Ihr klingt, als ob Ihr Lord Kerim schätzt. Tut Ihr das?«

Jäh runzelte er die Stirn und bedachte sie mit einem scharfen Blick. »Natürlich tue ich das. Warum fragt Ihr?«

Sie schaute vom Tisch auf und sah ihn mit zu Schlitzen verengten Augen an. »Weil irgendein Idiot den Vogt in den schlimmsten Winkel von Fegfeuer bestellt hat, nur um eine alte Geschichte zu erzählen, die genauso gut den Flüsterern hätte erzählt werden können.«

Beim Tonfall ihrer Stimme schossen Halvoks Augenbrauen in die Höhe. »Es war eine Gelegenheit, der ich einfach nicht widerstehen konnte. Fegfeuer gleicht einem schwarzen Loch, in dem unser Volk verschwindet. Die Ostländler vergessen gern, dass es überhaupt existiert – oder sie tun so, als wäre es nicht mehr als ein Elendsviertel, wie es sie in den meisten größeren Städten gibt. Mit dem Hai an eurer Seite wart ihr in Sicherheit. Niemand würde das Wagnis eingehen, sich seinen Zorn einzuhandeln …«