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Da Sham keine Worte einfielen, die sich nicht abgedroschen angehört hätten, suchte sie sich einen Platz zum Sitzen, schloss die Augen und ließ sich von der Musik erfassen. Nach einigen Refrains tauschte Elsic die wehmütige Stimmung gegen die bekanntere Melodie eines Festtagsliedes. Er spielte die beschwingte Strophe einmal durch, bevor er den Klängen der Harfe seinen Gesang hinzufügte.

Sham lächelte wohlig und zog die nackten Füße auf die Samtpolsterung ihres Stuhls hoch. Bei ihrem Rock war das eine alles andere als züchtige Haltung, aber es befanden sich ja nur Elsic und sie im Raum. Nach dem letzten Refrain legte er die Harfe beiseite, beugte die Finger und lachte verlegen, als Sham ihm Beifall spendete.

»Es liegt an der Harfe«, erklärte er. »Jeder könnte ein solches Instrument gut klingen lassen.«

»Ich nicht«, widersprach Sham. »Und auch mein Meister, der mit Verlaub ein begabter Musiker war, hätte es nicht gekonnt. Ich muss ein wenig lesen. Wenn du weiterspielen möchtest, hole ich mein Buch hierher, wo die Stühle gemütlicher sind.«

Statt ihre Frage mit Worten zu beantworten, ergriff Elsic neuerlich die Harfe. Sham duckte sich zurück in ihr Zimmer und holte das Buch, das sie von Lord Halvok erhalten hatte. Als sie in Kerims Gemächer zurückkehrte, ließ sie sich behaglich auf einem Stuhl nieder und begann, die Schutzbanne des Buches aufzuheben.

Elsic hörte zu spielen auf und legte den Kopf schief. »Was machst du da?«

Sie löste den ersten der Banne und hielt inne, um ihm zu antworten. »Magie.«

Er runzelte die Stirn. »Fühlt sich … irgendwie merkwürdig an. Nicht wie die Magie, die ich kenne.«

Sham dachte kurz darüber nach und versuchte zu entscheiden, inwiefern sich die von der Geistebbe erzeugte Magie von der unterschied, die sie verwendete.

»Sie ist anders als das, was du tust«, meinte sie schließlich. »Ich verstehe deine Art von Magie nicht besonders gut; und ich weiß nicht, ob irgendein Mensch viel darüber weiß. Manchmal, wenn sie stark genug ist, kann ich sie so fühlen, wie du spüren kannst, was ich tue. Die Magie, die du verwendest, ist bereits von den Gewalten der Natur geformt – zum Beispiel von den Gezeiten des Meeres. Die Magie, die ich benutze, ist ungeformt. Ich erlege sie dem Buch oder sonstigen Dingen auf, die ich beeinflussen möchte.«

»Da ist noch etwas anderes«, fügte Elsic nach einer Pause in verhaltenem Tonfall hinzu. »Etwas, das mir nicht gefällt.«

»Ach das«, sagte Shamera. »Das Buch, das ich gerade lese, enthält einen ziemlich umfassenden Abschnitt über Dämonologie. Es gibt Magie, die schürt man mi …«

»Mit Tod«, fiel er ihr ins Wort und wirkte auf ein Mal so wachsam wie ein edler Jagdhund.

»Richtig. Ich wirke die Zauber selbst nicht einmal, aber schon über solche Dinge zu schreiben besudelt die Seiten.«

»Ach so«, meinte Elsic dazu und ahmte recht gut ihren vorherigen Tonfall nach. Er nickte knapp und spielte wieder weiter. Dabei wirkte er nicht unglücklich, nur nachdenklich, also überließ ihn Shamera seiner Musik.

Es gestaltete sich interessant, die ausführlichen Erklärungen zum ordnungsgemäßen Zeremoniell der Beschwörung von Toten begleitet von Liedern der Art »Wie die Kuh das Dach fraß« oder »Der Maid Umarmung« zu lesen. Die Auswahl hätte wohl schlimmer sein können, fand Shamera, doch irgendwie ließen die schlichten ländlichen Melodien die Opferung dreier Ferkel auf besonders grausame Weise noch verstörender erscheinen. Sie empfand es als Erleichterung, als jemand an ihre Tür klopfte und ihr damit einen Vorwand lieferte, mit dem Lesen aufzuhören.

Sham duckte sich unter dem Wandteppich hindurch und warf das Buch in die Truhe, die sich auf unerklärliche Weise erneut unversiegelt zeigte, als sie auf dem Weg zur Tür daran vorbeiging. Stirnrunzelnd betrachtete sie die Truhe, dann setzte das Klopfen jedoch wieder ein.

»Ich komme«, rief sie und öffnete die Tür.

Talbot ließ den Blick über ihre befremdliche Aufmachung wandern und schüttelte den Kopf. »Und ich habe gehört, du seist bei der Wahl deiner Kleider unter die alten Jungfern gegangen. Wäre das erste Mal, dass ich eine alte Jungfer in Orange sehe.«

Sham bedachte ihn mit einem neckischen Augenaufschlag und gurrte: »Oh, aber mein Herr, Frauen mögen es, unberechenbar zu sein.«

Talbot lachte und betrat den Raum, als sie ihn mit einer Geste dazu einlud. »Und wo hast du den Burschen versteckt, hm? Unter dem Bett?«

»Eigentlich haben wir uns eher die gemütlichere Einrichtung in Kerims Gemächern zunutze gemacht.«

Talbots Augenbrauen kletterten in die Höhe. »Wüsste ich es nicht besser, würde ich glatt meinen, du schläfst mit ihm, so ungehemmt, wie du seine Räumlichkeiten verwendest.«

Sham bedachte ihn mit dem geheimnisvollsten Lächeln der Mätresse des Vogts, ohne auf die echte Frage in seinen Augen zu antworten. Elsic kam unter dem Wandteppich hervor und bahnte sich den Weg durch den Raum, als hätte er das schon hunderte Male getan.

»Fertig mit der Arbeit, Meister Talbot?«, fragte er.

»Vorläufig, Junge.« Der Sicherheitsleiter wandte sich wieder Shamera zu. »Es gibt genug Hinweise darauf, dass die Geschichte des alten Magiers stimmt, um einen genaueren Blick zu rechtfertigen, allerdings habe ich noch nichts Interessantes gefunden. Morgen habe ich einige Besprechungen, und ich traue mich nicht, Elsic bei meinen Mädels zu lassen – die fressen ihn noch mit Haut und Haaren.«

»Dann bring ihn meinetwegen mit hierher. Im Augenblick tue ich nichts anderes, als zu lesen. Und angesichts des Inhalts schadet es nichts, jemanden dabei zu haben, damit ich mich nicht vor Angst um den Verstand lese«, gestand sie wahrheitsgemäß.

Talbot lachte. »Verstehe. So, und jetzt muss ich uns schnell nach Hause schaffen, sonst wirft die Frau noch die letzten Reste vom Abendessen dem Nachbarshund vor. Komm mit, Elsic.«

Talbot steckte sich Elsics Hand in die Armbeuge und wandte sich zum Gehen. Bevor sie die Tür schlossen, hörte Sham, wie Talbot in väterlichem Tonfall meinte: »Also, die Frau hat gesagt, sie hätte eine schöne fette Ente zum Braten. Die Soße solltest du vermeiden, wenn es irgendwie geht, aber eine bessere Füllung findest du nirgendwo in ganz …«

Die Luft draußen erwies sich als kühl und frisch, und Sham zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht. Die Stallknechte hatten sie in beiden Verkleidungen gesehen, daher hoffte sie, dass sie durch den Mantel mit der Kapuze und mithilfe der Dunkelheit des späten Abends wie eine Lady auf dem Weg zu einem geheimen Treffen mit ihrem Liebhaber wirken würde. Sie hatte die Nachricht der Flüsterer auf ihrem Abendessentablett erhalten, aber weil sie einige Zeit gebraucht hatte, um sich unbemerkt aus dem Gebäude zu stehlen, konnte sie nicht sicher sein, ob der Bote noch warten würde.

»Ah, solch ein liebliches Antlitz sollte niemals wie ein verborgener Schatz versteckt werden.« Die Stimme des Hais grollte aus der Finsternis der Heuscheune hervor.

Sham wich in die Schatten, wo der Hai wartete. Aufmerksam beobachtete sie den Stallhof, bis sie sicher war, dass ihr niemand auffällige Beachtung schenkte, bevor sie ungeduldig sagte: »Lass den Mist, im Stall ist auch so schon genug davon. Warum hast du nicht einfach einen weiteren Brief geschickt?«

Er sank auf einen Heuhafen und zog einen Halm hervor, um darauf zu kauen. »Ich hielt es für besser, nach dir zu sehen und dafür zu sorgen, dass du dich nicht zu sehr an dein neues Gefieder gewöhnst« – er nickte in Richtung ihrer Kleidung – »und nicht vergisst, dass du kein Pfau, sondern ein Fuchs bist.«

Sham verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn. »Was hast du für mich, Sir Fuchs?«

»Halvok hat zwölf Jahre lang Magie bei Cauldehel von Reth studiert. Ich weiß nicht, warum diese kleine Tatsache bei all den anderen Malen, als ich Erkundigungen über ihn eingeholt habe, durch die Lappen gegangen ist, aber ich habe es höchstpersönlich von einer von Halvoks Halbschwestern erfahren.«