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»Mit einer Entführung?«, hakte der kleinere Mann leise nach und klang dabei fast gefährlich.

Sham schüttelte wild den Kopf, aber Fykall sah das Wesen an, das er für Lord Brath halten musste. Sie wünschte, sie könnte Fykall irgendwie davor warnen, womit er es tatsächlich zu tun hatte, denn sie verspürte kein Verlangen, mit anzusehen, wie ihr kleiner, besenschwingender Verteidiger starb.

»Sie ist eine Ketzerin, Fykall«, erklärte der Hohepriester vernünftig. »Sie hat in der Feste das Böse gewirkt. Ich habe Grund zu der Annahme, dass sie in die jüngsten Todesfälle verwickelt ist.«

»Ah ja. Aber das hat ein formelles Gericht zu entscheiden.« Während der kleinere Mann sprach, trat er weiter in den Raum und brachte sich zwischen Sham und dem Hohepriester in Stellung.

Irgendwie fühlte sie sich dadurch allerdings keineswegs sicherer.

»Ich fürchte, sie beeinflusst jeden im Umfeld des Vogts«, erläuterte der Hohepriester. »Hätte sie ihre Magie nicht auch bei mir versucht, hätte ich vielleicht nie bemerkt, was sie tat. Kannst du dir vorstellen, wie irgendjemand dem Leoparden mitteilt, dass seine Mätresse eine böse Hexerin ist? Oder wie sich jemand gegen den Vogt stellt, falls er sich weigert, es zu glauben? Dann könnte sie weiter ungehindert ihrem schlimmen Treiben nachgehen. Es ist notwendig, sie zu beseitigen, bevor sie noch mehr Schaden anrichten kann.«

Das klang überzeugend – sogar für Shams Ohren. Sie hoffte, der kleine Priester würde darauf hören und den Raum verlassen.

»Wer bist du?«, fragte Fykall leise.

Sham versteifte auf dem Stuhl den Körper.

Der Hohepriester zog aufgeblasen die Augenbrauen hoch. »Ich bin der Hohepriester von Südwald, kleiner Mann. Ernannt von Seiner Exzellenz, der Stimme von Altis.«

Fykall schüttelte den Kopf, noch bevor sein Gegenüber zu Ende gesprochen hatte. »Nein. Du bist nicht Brath.«

Die Züge des Hohepriesters wurden ausdruckslos, als hätte sich schlagartig die gesamte Persönlichkeit verflüchtigt, die der Golem von dem Mann gestohlen hatte. Sham fragte sich, ob es an einer Entscheidung des Dämons oder an etwas lag, das der kleine Priester getan hatte.

»Du besitzt ein wenig Macht, Priester – davon würde ich mich allerdings nicht verblenden lassen.« Wie das Gesicht hatte auch die Stimme des Golems jene Sprachmelodie verloren, die sie zu der des Hohepriesters hatte werden lassen.

Fykall schüttelte den Kopf, und Sham nahm einen Anflug von Freude in seiner Stimme wahr, als er erwiderte: »Es ist nicht meine Macht.«

Sham vermutete, dass er eines der Rauschmittel genommen hatte, die in Fegfeuer wie Gold gehandelt wurden – vielleicht Taverkraut, denn Bettlersegen verursachte in der Regel keine Wahnvorstellungen von Unverwundbarkeit.

»Du besitzt nicht genug Wissen«, meinte der Golem in einem Tonfall, in dem er sich genauso gut über das Wetter hätte unterhalten können. Sham fiel auf, dass er immer weniger menschlich und mehr und mehr wie das auszusehen begann, was er in Wirklichkeit war.

»Es geht nicht um Wissen«, entgegnete der kleine Mann friedlich, »sondern um Glauben, und davon besitze ich in Hülle und Fülle.« Er straffte die Schultern und streckte einen Arm mit der Handfläche voraus von sich. Eine gebieterische Stimme hallte durch den Speisesaal, als er sprach: »Du wirst die Essenz aufgeben, die du dir unrechtmäßig angeeignet hast.«

Der Golem zuckte. Die Haut der Kreatur schwärzte sich und wurde rissig. Ihre Züge verloren Geschmeidigkeit und Form, verblassten zu den groben Ansätzen, die bei ihrer Erschaffung aus Lehm gebildet worden waren. Außerdem schrumpfte sie ein wenig und wirkte dadurch in den Gewändern des Hohepriesters merkwürdig – wenngleich keineswegs weniger bedrohlich.

»Höre meine Worte«, fuhr der Priester fort, ohne die Hand zu senken. »Du hast durch deine Gegenwart diesen Tempel besudelt und unseren Hohepriester getötet. Der Hohepriester hatte seiner Berufung schon vor langer Zeit entsagt und somit kein Anrecht darauf, sich auf die Macht von Altis zu berufen. Über deine Entweihung dieses Tempels jedoch wird nicht einfach so hinweggesehen.«

»Ich bin nicht unbewaffnet, Priester«, fauchte die Kreatur, duckte sich tief und ließ mit einer Drehbewegung die Hand vorschnellen.

Es war ein Zauber, den Sham noch nie zuvor gesehen hatte, und er traf Fykall mit einer Wucht, die ihn zwang, einen Schritt zurückzuweichen. Aus ihrer Position hinter ihm konnte sie die Auswirkungen des Zaubers nicht sehen, aber der kleine Priester schwankte wie eine vom Wind gebeutelte Spinne.

Die Kraft ihrer Fesseln ließ ein klein wenig nach; ein Anzeichen dafür, dass der Dämon seine Aufmerksamkeit anderen Dingen widmete. Sie versuchte es mit einem anderen Zauber, einem einfachen Feuerbann, um die Fesseln zu verbrennen, sich zu befreien und ihr die Möglichkeit zu gewähren, helfend einzugreifen. Noch während sie den Zauber wirkte, wurde ihr klar, dass ihre Magie nicht reichte, um die Fesseln zu zerstören … dann berührte etwas ihre Macht und verstärkte sie. Die Fesseln fielen als Asche von ihren Händen und Füßen ab.

Als sie sich erhob, setzte der Golem zu einem zweiten Bann an. Dies war einer, den sie schon einmal gesehen hatte, und fast ohne nachzudenken, begann sie, ihm entgegenzuwirken. Bei den Gezeiten, ging ihr durch den Kopf. Der Dämon war wirklich mächtig. Das Beste, was ihr gelang, war, den Bann davon abzuhalten, Fykall oder sie zu berühren.

Der kleine Geistliche ergriff mit heiserer, aber steter Stimme das Wort. »Wir entziehen dir die Macht, die du durch den Tod unseres Hohepriesters erhalten hast.«

Der Golem schrie auf, und der gehärtete Lehm, aus dem der Großteil seines Körpers bestand, fing an zu bröckeln und zu zerbrechen. Ganze Teile fielen von dem hölzernen Skelett ab. Als die Trümmer auf dem Steinboden landeten, zerbröselten sie zu gelbem Staub und gaben das innere Gerüst des Golems frei. Grob geformte Stöcke wurden von einem dünnen, beschlagenen Silberdraht zusammengehalten und erinnerten an den Abklatsch eines menschlichen Skeletts. Der Kopf bestand aus einem Holzklotz mit einem kleinen gelben Stein an der Stelle, an der sich das linke Auge eines Menschen befunden hätte.

Sham achtete argwöhnisch auf einen neuen Zauber, doch es kam keiner mehr. Das Holz begann zu altern, wurde erst grau, dann weiß. Als das brüchige Material zu Splittern verdorrte, schwebten die Gewänder des Hohepriesters zu Boden. Der gelbe Edelstein löste sich aus seiner Holzfassung und kullerte über den glatten Untergrund, bis er mehrere Schritte von dem Stoffhaufen entfernt zum Liegen kam.

Fykall stellte seinen Besen auf den Boden und betrachtete den kümmerlichen Haufen, der gerade noch den Hohepriester verkörpert hatte. Sham arbeitete daran, den Knoten zu lösen, der den Knebel in ihrem Mund hielt. Dabei musste sie ein Geräusch von sich gegeben haben, denn Fykall drehte sich ihr zu, erkannte ihre Schwierigkeiten und bot ihr ein Besteckmesser von seinem Gürtel an.

Als sie die stumpfe Klinge vorsichtig zwischen den Stoff und ihre Wange schob, drang das Geräusch einer Gruppe von sich mit raschen Schritten nähernden Männern durch die Gänge in den Raum. Fykall stellte sich zwischen Sham und die Tür. Er bezog mit seinem schmuddeligen Besen Stellung, als handle es sich um eine Waffe. Sham war sicher, dass sie das unter anderen Umständen lustig gefunden hätte, doch nach dem, was der Priester vor ihren Augen mit dem Golem des Dämons angestellt hatte, wäre sie nicht überrascht gewesen, wenn Fykall mit nichts als dem Kehrwerkzeug eine Armee ausgeschaltet hätte.

Dennoch fühlte sich Sham keineswegs unglücklich, als Talbot in den Saal gestürmt kam, gefolgt vom Hauptmann der Garde, einer Schar Gardisten der Feste und einem Dickon, der eine ziemlich grimmige Miene zur Schau trug.

Als Talbot eine Hand hob, brüllte der Hauptmann einen Befehl, der die Gardisten in der Nähe des Eingangs innehalten ließ. Talbot musterte sie beide mit argwöhnischer Miene. Ihr kam der Gedanke, dass Talbot keine Möglichkeit hatte festzustellen, ob der Dämon sie getötet und durch den Golem ersetzt hatte oder nicht. Da er nicht wusste, wessen Gestalt der Dämon angenommen hatte, musste sich Talbot zwangsläufig fragen, wen er vor sich hatte.