Kerim verlagerte unbehaglich das Gewicht. »Du hast Fahill in seinen letzten Tagen sehr glücklich gemacht, Lady Sky – und meinen Bruder auch. Du schuldest mir nichts.«
Lady Sky lächelte und schüttelte den Kopf. Ihr gesamter Körper erbebte unter der Eindringlichkeit der Geste. »Ich schulde dir alles.«
Sham hoffte, dass man ihr den Anflug von Eifersucht, der sie die Rückenlehne von Kerims Stuhl fest packen ließ, nicht anmerkte. Nicht weil ein solches Verhalten für die Mätresse des Vogts unangemessen gewesen wäre, sondern weil sie dieses Gefühl lieber für sich behalten wollte. Sie brauchte Sky nur anzusehen, um zu wissen, dass die Lady aus Südwald Kerim liebte. Sie wusste auch, dass Sky viel besser zum Vogt passte, als es eine Diebin aus Fegfeuer je konnte.
Die nächsten Tage entschuldigte sich Sham bei Hofe und sagte Kerim gegenüber, sie versuche herauszufinden, wie man den Dämon vernichten könnte. Es gelang ihr sogar, die Bestattung des Hohepriesters zu meiden.
Da Kerim sein schlechter Gesundheitszustand nicht mehr plagte, auch wenn er den Rollstuhl in der Öffentlichkeit weiterhin verwendete, spukte er rastlos durch den Hof. Er hoffte, Unterstützung für eine Reihe von Gesetzesvorschlägen bei den Adeligen aus dem Osten zu erlangen. Zwar ging er davon aus, dass das Unterfangen zum Scheitern verurteilt war, hegte aber die Hoffnung, dass es die Ostländler vielleicht erschrecken und dazu bewegen könnte, ihre starre Haltung bei anderen hart umkämpften politischen Schlachten zu lockern.
Lady Sky wich nicht von seiner Seite, weder bei der Bestattung noch am Hof – sowohl die Flüsterer als auch Halvok sorgten dafür, dass Sham darüber informiert war. Letzterer hatte sich sogar bemüßigt gefühlt, sie für ihren Mangel an Bemühen zu schelten.
Vor Halvok wahrte sie den Schein, Kerims Mätresse zu sein, denn das war der Hauptgrund dafür, dass er ihnen half. Halvok mochte Kerim, aber gleichzeitig hasste er die Ostländler mit einer Inbrunst, der gleichzukommen sogar der Hai Mühe gehabt hätte. Allerdings wusste der Zauberer seinen Hass gut zu verbergen. Shams angebliche Position verlieh ihm die Möglichkeit, beiden Empfindungen gerecht zu werden.
»Warum missbilligt Ihr es?«, hatte Sham ihn gefragt. »Sky ist genau, was Ihr braucht – und sie ist dazu geeignet, dass Kerim sie zu seiner Gemahlin erkürt. Ich bin bloß eine Diebin, die ein wenig Magie wirken kann – und wäre das gemeinhin bekannt, könnte der Vogt sich den Lebensunterhalt fortan als Fischer verdienen, weil er mich zu seiner Mätresse erkoren hat.«
Halvok hatte daraufhin den Kopf geschüttelt und erwidert: »Lady Sky ist eine anmutige und wunderschöne Frau – und genau darin besteht das Problem. Sie würde sich ebenso wenig wie jede andere Lady aus Südwald, die ich kenne, die Hände mit Politik schmutzig machen. Du hingegen würdest sogar Altis die Stirn bieten, wenn du etwas willst – und du weißt, wie das Leben in Südwald für die Einheimischen ist. Kerim kümmert es genau so viel« – er schnippte mit den Fingern – »was der Hof von seinem Privatleben denkt, und mir ist nicht entgangen, wie er dich ansieht.«
Sham hatte darüber gelacht – aber es hatte einen sauren Geschmack in ihrem Mund hinterlassen. »Er ist ein guter Schauspieler geworden. Kerim weiß besser als Ihr, was ich bin – ich bin eine Diebin, Lord Halvok, und zwar schon mein halbes Leben. Ich habe nur noch sehr wenig mit der Tochter des Hauptmanns der Garde gemein, die ich vor dem Einmarsch war, und selbst sie hätte nie das ehrgeizige Ziel gehabt, sich zur Herrscherin von Südwald aufzuschwingen. Ich glaube, Ihr unterschätzt Lady Sky – und Ihr könntet ihr Leben am Hof wesentlich erträglicher gestalten, als es das derzeit ist.«
Er hatte dazu nur die Augenbrauen hochgezogen und gemeint: »Tochter des Hauptmanns der Gardisten – ich dachte, er sei von adeliger Geburt gewesen …« Darin hatten so vielsagende Andeutungen mitgeschwungen, dass sie ihn genervt aus ihrem Zimmer verscheucht hatte.
Sham brütete über Maurs Buch und versuchte, darin irgendetwas Nützliches über den Dämon zu finden. Lord Halvok hatte recht gehabt. Der einzige Zauber, den es enthielt, um einen Dämon dauerhaft loszuwerden, erforderte ein Menschenopfer. Ohne ein solches fiel ihr keine Möglichkeit ein, wie die Macht für einen solchen Zauber aufzubringen wäre.
Talbot hielt Wort und verhörte sämtliche Bedienstete der Feste unter dem Vorwand, eine Halskette finden zu wollen, die angeblich aus Lady Tirras Schmuckkassette verschwunden war. Die meiste Zeit ließ er Elsic währenddessen bei Sham.
Wann immer Dickons Dienste vom Vogt nicht benötigt wurden, schloss er sich ihnen an, und Sham begann, ihm die Grundlagen der Magie beizubringen. Den Großteil dieses Vormittags hatte sie mit dem Versuch verbracht, Dickon zu zeigen, wie man ein Magierlicht herstellte. Es war ein einfacher Zauber; Sham konnte die Macht spüren, die unter den stirnrunzelnden Zügen des Mannes schwelte, nur gelang es ihm nicht, sie zu nutzen.
»Du denkst zu viel darüber nach«, befand Sham gereizt.
»Tut mir leid«, murmelte er und wischte sich über die Stirn.
»Shamera«, ergriff Elsic das Wort und zupfte leise einige Akkorde auf den Saiten der alten Harfe.
»Hm?«
»Warum wurden Dämonen überhaupt von dort hergeholt, wo sie hingehören? Was war ihr Zweck?«
Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Ich glaube, es war ein Versuch, mehr Macht zu erlangen. Es gibt Geschichten darüber, dass Dämonen ihren Magiermeistern die Geheimnisse verschiedener Zauber und Runen anvertraut haben. Obwohl ich denke, dass der Mann den Tod verdient, der sich auf das Wort eines Sklaven darüber verlässt, wie man einen Bann anpasst. Nun, zweifellos wird der Tod ihn auch ereilt haben. Wichtiger war aber wahrscheinlich, dass ein Dämon als Machtspeicher dienen kann – wie die Flöte, die du in der Truhe gefunden hast, eine Möglichkeit, die sicherer ist für den Magier. Der Zauberer entsendet ihn, um zu töten und …«, sie zögerte, weil er so jung und unschuldig aussah, wie er dort mit der Harfe auf dem Schoß am Rand ihres Bettes saß, »… um weitere Dinge zu tun, durch die Magie entsteht, die ein Magier dann verwenden kann.«
»Was für andere Dinge?«, hakte Dickon nach.
»Sex«, antwortete der junge Unschuldige auf dem Bett mit einem breiten Grinsen.
»Ich mache mich wieder an die Arbeit«, murmelte Sham, schnappte sich das Buch vom Sitz neben ihr und schlug es heftiger auf, als der uralten Bindung guttat. Elsic stimmte – ziemlich pointiert, wie Sham fand – ein Kinderlied an, während Dickon erneut versuchte, Licht aus Magie zu formen.
Der aufgeschlagene Abschnitt handelte nicht von Dämonologie, aber Sham begann trotzdem, ihn zu lesen. Der Verfasser ging darin auf die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Zauberern ein. Sham neigte dazu, all das für Unsinn zu halten – sie hatte noch nie bemerkt, dass sich ihre Macht mit dem Mond und den Gezeiten veränderte. Dafür war ihr sehr wohl aufgefallen, dass die meisten derartigen Abhandlungen von Männern geschrieben wurden.
… Die Macht einer Frau ist stärker an ihren Körper gebunden als die eines Mannes. Die Verwendung starker Magie kann sich schädlich auf eine Frau auswirken – deshalb ist es besser, wenn sich Frauen weiblicher Magie widmen und die großen Zauber ihren männlichen Gegenstücken überlassen … Es gibt Zeiten, in denen die Magie einer Frau sehr stark ist. Wenn sie in anderen Umständen ist, wächst ihre Macht zusammen mit dem Kind, das sie in sich trägt – und ähnlich wie der Tod ermöglicht ihr die Geburt, Magie zu wirken, die ihre gewöhnlichen Fähigkeiten weit übersteigt.
Sham spürte, wie sich ihre Lippen höhnisch verzogen. Von wegen ›die großen Zauber den männlichen Gegenstücken überlassen‹. Bei allen süßen kleinen Fischlein in den Gezeitentümpeln – einen solchen Unfug hatte sie noch nie gehört.