Sie rieb mit der Hand über eine feuchte Stelle auf dem Bettzeug. »Du weißt, dass Dämonen von einem anderen Ort hierher gerufen werden – beschworen von einem Magier und in einen Bund gezwungen. Sie werden zu Sklaven der Wünsche ihrer Meister gemacht. Wenn der Meister stirbt, stirbt auch der Dämon – es sei denn, es gelingt ihm, den Magier selbst zu töten. Und das ist, was unser Dämon geschafft hat. Wenn du der Dämon wärst, was würdest du wollen?«
»Vergeltung?«
Sham schüttelte den Kopf und schaute auf das Bettzeug. Sie fühlte sich müde: zu viele Gefühle, zu viel Denken. »Ich wurde einst aus meinem Heim gerissen und hineingeschleudert in eine mir fremde, gefährliche Welt. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich wollte Vergeltung, ja, aber was ich mehr als alles andere wollte, war, nach Hause zurückzukehren.«
Er legte eine Hand auf die ihre.
Da schaute sie zu ihm auf und schenkte ihm ein verhaltenes Lächeln. »Ich könnte mich irren, aber hör mir zu, und entscheide dann selbst. Anfangs dachte ich, der einzige Weg für den Dämon, in seine eigene Welt zurückzukehren, bestünde darin, einen Schwarzmagier zu finden, der ihn zurückschicken kann. Aber der Dämon müsste sich dabei verwundbar für den Magier machen. Und für den Magier wäre es dann viel einfacher, den Dämon zu versklaven. Schwarzmagier sind von Natur aus nicht ehrenwert. Wäre ich der Dämon, würde ich lange zögern, bevor ich einem von denen meine Freiheit anvertraue.«
»Warte«, warf Kerim ein. »Dieser Dämon wirkt doch Magie. Gibt es einen Grund, warum er sich nicht selbst zurückschicken kann?«
Sham nickte. »Schwarze Magie ist nicht so einfach zu beherrschen wie gewöhnliche Magie, weil sie von dem, der sie benutzt, gestohlen wird. Um nach Hause zu gelangen, muss der Dämon das Portal zu seiner Welt öffnen und es durchschreiten. Von innen kann er das Portal nicht offen halten, nicht mit schwarzer Magie.«
»Aber du glaubst, er hat eine Möglichkeit gefunden?«
»Ja«, bestätigte Sham.
»Aber er kann dafür keine schwarze Magie verwenden.«
»Nicht schwarze Magie allein«, pflichtete Sham ihm bei. »Allerdings gibt es noch eine andere Magie, die der Dämon verwenden könnte. Mit Tod und Leben geht Macht einher.«
»Hat das etwas mit Skys Schwangerschaften zu tun?«, fragte Kerim, der ihren Ausführungen weit besser folgte, als sie erwartet hatte.
»Die bei einer Geburt freigesetzte Magie kommt der Macht von Todesmagie ziemlich nahe, nur ist sie an die gebärende Frau gebunden. Das ist eine Situation, der mit Magie geborene Frauen nur wenige Male begegnen. Daher gilt es nicht als der Todesmagie gleichwertig, die viel einfacher umzusetzen ist.« Sie hatte von dieser Magie zuvor nichts gewusst, doch der alte Text aus Maurs Buch hatte sie darüber aufgeklärt. Nicht die Schwangerschaft, sondern die Geburt ließ Macht entstehen.
»Wenn der Dämon die Geburt eines Kindes für die Rückkehr nach Hause verwendet – was wird dann aus dem Kind?«
Sham sah ihm unverwandt in die Augen. »Da ich nicht der Dämon bin, weiß ich es nicht. Aber wenn der Dämon das Kind und den Mann tötet, der es gezeugt hat, hätte er erheblich mehr Macht zur Verfügung als durch das Töten von Menschen, die nicht an ihn gebunden sind.«
Kerim holte tief Luft. »Ich meine, mich zu erinnern, dass du gesagt hast, Dämonen könnten nicht schwanger werden.«
Sham nickte. »Ein besonders starker Abwehrbann wird verwendet, um eine Empfängnis des Wirtskörpers zu verhindern. Wie die meisten Abwehrbanne spart er Kraft, indem er untätig bleibt, bis die Bedingungen für seine Aktivierung erfüllt wurden – in diesem Fall das Eintreten einer Schwangerschaft. Wird der Bann letztlich ausgelöst, beginnt er, die Lebenskraft des ungeborenen Kindes auszulöschen: Todesmagie.«
»Aber hast du nicht gesagt, dass die meisten Banne ohne Macht nur einige Wochen lang bestehen können? Hat die Macht dieses Bannes im Verlauf der Hunderte von Jahren, die der Dämon schon lebt, nicht nachgelassen?«
»Nein, deshalb ist er ja so gefährlich. Für gewöhnlich wird ein Bann von der Lebenskraft des Dämons gespeist und aufrechterhalten. Um jedoch zu vermeiden, dass der Wirtskörper ausgelaugt wird, bezieht dieser Bann stattdessen, sobald er aktiviert wird, die Lebenskraft vom ungeborenen Kind.«
»Also kann Sky nicht der Dämon sein?« Er zog die Augenbrauen hoch.
»Doch«, entgegnete Sham. »Der Dämon könnte eine Barriere zwischen dem Kind und der Rune bilden, um es vor Schaden zu bewahren.«
»Warum den Dämon dann überhaupt binden?«
»Weil die Barriere genug Kraft erfordert, um den Wirtskörper des Dämons zu töten, bevor das Kind geboren werden kann. Ich glaube, dass unser Dämon eine andere Möglichkeit gefunden hat, den Bann mit Kraft zu versorgen. Die Rune, die er verwendet hat, war eine, die es ermöglichte, deine Kraft abzusaugen – und dich dadurch langsam zu töten, damit das Kind leben kann.
Kerim«, sagte sie und beugte sich zu ihm. »Die Rune muss von jemandem angebracht worden sein, der dir körperlich nahe war. Sie wurde etwa zurzeit von Fahills Tod geschaffen. Ich glaube, dass sie von Lady Sky platziert worden ist, um ihr Kind zu schützen. Als ich die Bindung durchbrach, hat das ihr Kind getötet.«
Kerim schluckte, und sie sah es seinem Gesicht an, dass er ihr glaubte. Er krallte die Hände in die Bettwäsche. »Armer kleiner Wurm.«
»Das Kind war ohnehin dem Untergang geweiht«, meinte Sham leise. »Wenn ich recht habe, dann war es dafür vorgesehen, geopfert zu werden, damit der Dämon nach Hause kann.«
Sie ließ ihn das alles eine Weile verdauen, bevor sie fortfuhr. »Das würde erklären, weshalb sich Sky in der Feste aufhält. Hier hat sie die größte Auswahl unter wohlgenährten und gesunden Männern. Allerdings kann sie nicht allzu lange hierbleiben, weil sie sonst Gefahr läuft, entdeckt zu werden. Mein Meister, Maur, lief einst einem Dämon über den Weg, der in einem Dorf gejagt hat. Der Hai glaubt, es könnte der Chen Laut gewesen sein und dass er … sie Maur getötet hat, weil er wusste, wie sie aussah.«
Kerim erwiderte nichts, also sprach Sham weiter. »Elsic meinte, sie sei ihrem Ziel näher als je zuvor. Südwald ist schon immer eine Zuflucht für Zauberer und Hexer gewesen, und in der Feste hat für gewöhnlich der Magier des Königs gelebt. Neun Monate sind eine lange Zeit, um sich vor einem mächtigen Magier zu verstecken. Sie muss außer sich vor Freude gewesen sein, als sich die Feste mit Menschen aus dem Osten gefüllt hat, die nicht an Magie glauben.«
»Du scheinst der Ansicht zu sein, dass sie heute Nacht erneut versucht hat, mich zu binden. Da ich bereits geschwächt bin, was hätte ihr das genützt?«, fragte Kerim.
»Vergeltung«, sagte Sham leise.
Er beobachtete sie eine Minute lang mit zu Schlitzen verengten Augen, dann meinte er: »Was, wenn es nicht Lady Sky ist? Das sind alles nur Vermutungen.«
»Ich glaube nicht, dass ich mich irre«, erwiderte Sham. »Aber wir werden auch für diese Möglichkeit einen Plan brauchen.«
»Was also machen wir mit ihr?«, wollte Kerim wissen.
Hilflos zuckte Sham mit den Schultern. »Ich will verflucht sein, wenn ich’s weiß.«
Ein leises Knarren von der Verbindungstür erregte Shams Aufmerksamkeit, und Elsic trat zögerlich durch den entstehenden Spalt. »Shamera? Stimmt etwas nicht?«
Shamera spürte, wie ihr der Mund aufklappte, als ihr ein unglaublicher Gedanke kam.
Während sie sprachlos dasaß, antwortete Kerim für sie. »Es geht ihr gut.« Kurz verstummte er und betrachtete ihren verdutzten Gesichtsausdruck. »Glaube ich jedenfalls.«
»Mitfühlende Magie«, murmelte Sham und starrte Elsic eingehend an. »Sie benutzen den Tod des Opfers als Quelle für ihre Macht – und mitfühlende Muster. Die Seele des Opfers kehrt wie der Dämon, der nach Hause geschickt wird, zu ihren Ursprüngen zurück.«
»Shamera?«, fragte Kerim.
Sie schüttelte den Kopf, murmelte weiter vor sich hin. »Es kann nicht klappen, es ist zu absurd. Der Dämon wird niemals mitspielen. Er hat keinen Grund, zu glauben, dass wir es wirklich versuchen würden.«