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Einen Moment lang nahm Sharpe Anstoß an diesem mürrischen Ton, doch dann wurde ihm klar, dass Harper nur die Frage stellte, die alle Männer der Kompanie beantwortet haben wollten.

»Wir machen uns auf den Heimweg.«

»Sie meinen England?«

»Ich meine, zurück zum Heer.« Sharpe wünschte sich plötzlich, den Weg allein antreten zu können, unbehindert von aufsässigen Männern. »Wir müssen uns nach Süden wenden. Nach Lissabon.«

Harper kam an die Tür, duckte sich und starrte gen Osten. »Ich hatte sowieso nicht angenommen, dass Sie Donegal meinen.«

»Ist das deine Heimat?«

»Jawohl.« Harper sah zu, wie der Schnee sich ins dunkle Tal herabsenkte. »Das hier erinnert mich an Donegal, wahrhaftig. Nur dass dies ein besseres Land ist.«

»Besser?« Sharpe war überrascht. Es bereitete ihm eine seltsame Genugtuung, dass sich der Hüne herabgelassen hatte, dieses Gespräch zu führen, das ihn plötzlich liebenswerter erscheinen ließ. »Besser?«, musste Sharpe noch einmal fragen.

»Hier haben nie die Engländer geherrscht. Hab ich recht, Sir?« Da war sie wieder, diese Unverschämtheit. Harper stand da, starrte auf den sitzenden Sharpe hinab, und in seiner Stimme lag nichts als Verachtung. »Dies ist ein unbeflecktes Land, wahrhaftig.«

Sharpe erkannte, dass er verführt worden war, die Frage zu stellen, die nun den Hohn des Mannes auf den Plan gerufen hatte. »Ich dachte, du wolltest Holz holen.«

»Wollte ich.«

»Dann nimm es und verschwinde.«

Später, nach seinem Besuch bei den Wachtposten, kehrte Sharpe in die Scheune zurück und setzte sich an die Wand, wo er den raunenden Stimmen der Männer lauschte, die sich um Harper versammelt hatten. Sie lachten leise und ließen Sharpe wissen, dass er aus der Gemeinschaft der Soldaten ausgeschlossen war, selbst wenn sie zum Tode verdammt waren.

Er war allein.

Captain Murray starb noch in dieser Nacht. Er tat es ohne Lärm oder Aufruhr, glitt schlicht und ohne viel Aufhebens hinüber.

»Die Jungs wollen ihn begraben.« Williams sagte es zu Sharpe, als rechne er mit Widerspruch.

Sharpe stand in der Tür zur Scheune. »Natürlich.«

»Er hat gesagt, ich soll Ihnen das hier geben.« Williams hielt ihm den großen Degen hin.

Es war ein peinlicher Moment. Sharpe spürte, wie die Männer ihre Blicke auf ihn richteten, als er die schwere Waffe annahm. »Vielen Dank, Sergeant.«

»Er hat immer gesagt, dass er im Kampf einem Säbel überlegen ist, Sir«, sagte Williams. »Lehrt die verfluchten Franzmänner das Fürchten, wahrhaftig. Eine echte Schlächterklinge.«

»Sicher.«

Die momentane Vertraulichkeit, hervorgerufen durch die Überreichung des Schwerts, schien Williams Mut zu machen.

»Wir haben uns gestern Abend besprochen, Sir.«

»Wir?«

»Ich und die Jungs.«

»Und?« Sharpe sprang von der erhöhten Türschwelle in eine vom Neuschnee glitzernde Welt hinaus. Das ganze Tal funkelte unter einer blassen Sonne, die von dichter werdenden Wolken bedroht wurde.

Der Sergeant kam ihm nach. »Sie weigern sich, Sir. Sie wollen nicht nach Süden.« Sein Ton war respektvoll, aber sehr bestimmt.

Sharpe entfernte sich von der Scheune. Seine Stiefel knirschten im frischen Schnee. Außerdem ließen sie Feuchtigkeit durch, weil sie ebenso wie die Stiefel der Männer, die er befehligen sollte, zerrissen und löchrig waren, notdürftig von Lumpen und Zwirn zusammengehalten, nicht gerade das Schuhwerk eines privilegierten Offiziers, dem diese verängstigten Schützen durchs finstere Tal des Todes folgen sollten.

»Und wer hat diese Entscheidung getroffen, Sergeant?«

»Wir alle, Sir.«

»Seit wann, Sergeant, herrscht beim Heer ...«, Sharpe hielt inne und versuchte sich an das Wort zu erinnern, das er einmal in der Offiziersmesse gehört hatte, »... Demokratie?«

Williams war das Wort völlig unbekannt. »Wie meinen, Sir?«

Sharpe konnte nicht erklären, was es bedeutete, darum setzte er neu an. »Seit wann ist Sergeant ein höherer Rang als Lieutenant?«

»Das is' es nicht, Sir.« Williams geriet in Verlegenheit.

»Was ist es dann?«

Der Sergeant zögerte, doch er wurde von den Männern beobachtet, die sich im offenen Eingang zur Scheune drängten, und unter ihrem kritischen Blick fand er Mut und Zungenfertigkeit wieder. »Wahnsinn, Sir. Das is' es. Wir können bei diesem Wetter nicht nach Süden marschieren. Wir würden verhungern! Und wir wissen nicht mal, ob in Lissabon noch eine Garnison is'.«

»Stimmt, das wissen wir nicht.«

»Also wenden wir uns nach Norden, Sir«, sagte Williams so vertraulich, als würde er Sharpe mit diesem Vorschlag einen großen Gefallen erweisen. »Da gibt es Häfen, Sir, und wir werden ein Boot finden. Ich meine, unsere Flotte steht noch vor der Küste, Sir. Die wird uns schon aufnehmen.«

»Woher weißt du, dass die Flotte noch da ist?«

Williams zuckte bescheiden mit den Schultern. »Ich bin's nicht, der das weiß, Sir.«

»Harper?«, fragte Sharpe.

»Harps? Um Himmels willen, nein, Sir. Der is' nichts weiter als ein irischer Bauer, stimmt's? Der hat von so was keine Ahnung, Sir. Nein, Schütze Tongue is' es, Sir. Ein kluger Mann. Er kann lesen. Der Alkohol hat ihn zugrunde gerichtet, müssen Sie wissen, Sir. Nur der Alkohol. Aber er is' ein gebildeter Mann, Sir, und er hat uns gesagt, dass die Flotte vor der Küste steht und dass wir uns nach Norden durchschlagen und ein Boot finden können.« Von Sharpes Schweigen ermutigt, deutete Williams auf die steile Bergkette im Norden. »So weit kann's bis zur Küste nicht sein, Sir. Vielleicht drei Tage? Vier?«

Sharpe entfernte sich noch ein paar Schritte von der Scheune. Der Schnee lag etwa eine Handlänge tief, obwohl er, wo der Boden absank, tiefere Wehen gebildet hatte. Er war nicht zu tief zum Marschieren, und das war alles, was Sharpe an diesem Morgen wirklich kümmerte. Die Wolken begannen sich vor die Sonne zu schieben, als Sharpe nun dem Sergeant ins Gesicht sah.

»Ist euch der Gedanke gekommen, Sergeant, dass die Franzosen vom Norden und Osten her in dieses Land einmarschieren?«

»Tun sie das, Sir?«

»Und dass wir ihnen, wenn wir uns nach Norden wenden, höchstwahrscheinlich direkt in die Arme laufen? Oder geht's euch am Ende darum? Gestern warst du durchaus bereit, dich zu ergeben.«

»Wir müssten es halt ein wenig klug anstellen, Sir. Ihnen hier und da ausweichen.« Williams erweckte den Eindruck, als sei es ein Kinderspiel, Napoleons Soldaten zu entwischen.

Sharpe hob die Stimme, sodass alle Männer ihn hören konnten. »Wir marschieren nach Süden, Sergeant. Wir machen uns heute das Tal entlang auf den Weg und suchen uns heute Abend Unterkunft. Danach wenden wir uns nach Süden. Abmarsch in einer Stunde.« »Sir ...«

»In einer Stunde, Sergeant! Wenn ihr also ein Grab für Captain Murray ausheben wollt, solltet ihr das jetzt tun. Und wenn du dich widersetzen willst, Sergeant Williams, sorgst du am besten dafür, dass das Grab groß genug wird für zwei. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

Williams zögerte, als wollte er widersprechen, doch unter Sharpes Blick verließ ihn der Mut. Einen angespannten Moment lang hing Sharpes Autorität in der Schwebe, dann nickte der Sergeant. »Jawohl.«

»Also, los.«

Sharpe wandte sich ab. Innerlich zitterte er. Er hatte sich nach außen hin ganz ruhig gegeben, als er Williams die letzten Befehle erteilte, aber er war keineswegs sicher, dass sie auch befolgt würden. Diese Männer waren es nicht gewohnt, Lieutenant Sharpe zu gehorchen. Sie froren, waren fern der Heimat, von Feinden umgeben und fest überzeugt, dass der Weg nach Norden sie erheblich schneller in Sicherheit bringen würde als der nach Süden. Sie wussten, dass ihr eigenes Heer geschlagen und zum Rückzug gezwungen worden war, und sie hatten die Überreste der spanischen Armeen gesehen, die man auf ähnliche Weise besiegt und auseinandergetrieben hatte. Die Franzosen beherrschten siegreich das Land, und die Schützen fühlten sich alleingelassen und fürchteten sich.