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Sharpe fürchtete sich ebenfalls. Diese Männer konnten sich seiner geringen Autorität mit beängstigender Leichtigkeit widersetzen. Schlimmer noch, wenn sie ihn als Gefahr für ihr eigenes Überleben ansahen, hatte er mit nichts anderem als einer Klinge im Rücken zu rechnen. Sein Name würde in die Liste jener Offiziere eingehen, die bei Sir John Moores katastrophalem Rückzug gefallen waren, oder aber sein Tod würde unbemerkt bleiben, denn er hatte keine Angehörigen. Er war nicht einmal sicher, ob er noch Freunde hatte, denn wenn ein Mann aus den Mannschaften in die Offiziersmesse versetzt wurde, ließ er seine Freunde weit hinter sich.

Sharpe war klar, dass er sich gleich daranmachen sollte, dem Rest der Kompanie seinen Willen aufzuzwingen, aber er war noch zu mitgenommen, um sich ihrer Kritik auszusetzen. Er redete sich ein, dass er in dem verfallenen Wohnhaus des Gehöfts eine wichtige Aufgabe zu erledigen habe.

Dort angekommen, holte er mit dem schrecklichen Gefühl, sich seiner eigentlichen Verantwortung entzogen zu haben, sein Fernrohr hervor.

Lieutenant Richard Sharpe war kein wohlhabender Mann. Seine Uniform war nicht besser als die der Männer, die er anführte, abgesehen von den silbernen Knöpfen an den Nähten seiner abgetragenen Offiziershose. Seine Stiefel waren ebenso zerrissen, seine Rationen ebenso mager und seine Waffen ebenso abgenutzt wie die Ausrüstung der übrigen Schützen. Aber er besaß einen Gegenstand von großem Wert und großer Schönheit.

Und das war sein Fernrohr. Ein wunderbares Instrument aus der Werkstatt von Matthew Berge in London, dem Sergeant Richard Sharpe von General Sir Arthur Wellesley überreicht. Eine Messingplakette trug die Worte »In Dankbarkeit AW« sowie das Datum der Schlacht von Assaye in Indien, bei der Sharpe, damals noch in der Uniform der Rotröcke, dem General das Leben gerettet hatte. Seine Heldentat hatte ihm zudem die außerordentliche Beförderung zum Offizier eingetragen, und während er nun durch das Fernrohr starrte, ärgerte er sich nachträglich über die Ernennung. Sie hatte ihn zum einsamen Mann gemacht, zum Feind all derer, die ihm bis dahin gleichgestellt waren. Es hatte Zeiten gegeben, da hatten sich die Männer um Sergeant Sharpes Lagerfeuer gedrängt und sich um seine Anerkennung bemüht, aber diese Zeiten waren vorbei.

Sharpe spähte ins Tal hinab, dorthin, wo er am vergangenen Abend im Schneesturm die graue Rauchfahne eines Dorfes erblickt zu haben glaubte. Nun sah er durch die fein geschliffenen Linsen die steinernen Gebäude und den schmalen, hohen Glockenturm einer Kirche.

Es gab also tatsächlich wenige Marschstunden entfernt ein Dorf, und selbst ein armes Dorf würde über gehortete Nahrungsmittel verfügen: Getreide und Bohnen in wachsversiegelten Töpfen, die in der Erde vergraben waren, und Schinken, den man in den Kaminen aufgehängt hatte. Die Vorstellung, Nahrung zu finden, nahm plötzlich überwältigende Bedeutung an.

Er schwenkte das Fernrohr ein wenig nach rechts und überblickte die blendend weiße Schneedecke. Ein mit Eiszapfen behangener Baum huschte durch sein Blickfeld. Dann veranlasste ihn eine unerwartete Bewegung, den Schwenk des Fernrohrs zu unterbrechen, doch es war nur ein Rabe im Flug, der sich schwarz vor dem weißen Hang abhob. Hinter dem Raben offenbarten tiefe Fußspuren, wo Männer den Hügel hinabgerutscht waren, ehe sie unübersichtliches Gelände erreicht hatten.

Sharpe strengte die Augen an. Die Spuren waren frisch. Warum hatten seine Posten nicht Alarm gegeben? Er schwenkte das Fernrohr herum, sodass er die kaum erkennbare Vertiefung im Schnee überblicken konnte, die den Verlauf des Ziegenpfades markierte. Doch die Posten waren verschwunden. Die Männer hatten angefangen, offen gegen ihn zu meutern. Zur Hölle mit ihnen! Er schob mit einer heftigen Bewegung das Fernglas zusammen, richtete sich auf und drehte sich um.

Da sah er sich Harper gegenüber, der in der westlichen Tür der Ruine stand. Er musste sich katzengleich angeschlichen haben, denn Sharpe hatte nichts gehört.

»Wir weigern uns, nach Süden zu gehen«, sagte der Ire mit tonloser Stimme.

»Es ist mir völlig egal, was du meinst. Verschwinde und bereite dich auf den Abmarsch vor.«

»Nein.«

Sharpe legte das Fernrohr auf seinen Brotbeutel, den er zusammen mit dem neuen Degen und dem abgenutzten Gewehr auf dem Fenstersims des verfallenen Hauses abgelegt hatte. Er hatte jetzt die Wahl. Er konnte argumentieren und schmeicheln, überreden und bitten, oder er konnte die Autorität seines Offiziersranges einsetzen. Er fror zu sehr, war zu hungrig, um den mühseligen Weg einzuschlagen, darum berief er sich auf seinen Rang.

»Sie stehen unter Arrest, Schütze.«

Harper ignorierte seine Worte. »Wir gehen nicht, Sir, und damit hat sich's.«

»Sergeant Williams!«, rief Sharpe durch die der Scheune zugewandte Tür des verfallenen Hauses. Die Schützen umstanden im Halbkreis das flache Grab, das sie im schneebedeckten Boden ausgehoben hatten. Sie blickten zu ihm herüber, und ihr Schweigen besagte, dass Harper heute Morgen ihr Abgesandter und Sprecher war. Williams rührte sich nicht.

»Der kommt nicht«, sagte Harper. »Die Sache ist ganz einfach, Sir. Wir gehen nicht nach Süden. Wir wenden uns nach Norden in Richtung Küste. Wir haben darüber geredet, wahrhaftig, und so sieht unser Entschluss aus. Sie können mitkommen oder dableiben. Uns ist es gleich.«

Sharpe verharrte reglos, um die Angst zu verbergen, die seine Haut prickeln ließ und ihm den Magen umdrehte. Wäre er nach Norden mitgegangen, hätte er die Meuterei stillschweigend hingenommen, hätte er sie akzeptiert und damit den letzten Anschein von Autorität verloren. Wenn er jedoch darauf bestand, sich nach Süden zu wenden, beschwor er seine eigene Ermordung herauf.

»Wir gehen nach Süden.«

»Sie verstehen wohl nicht, Sir.«

»Oh, ich verstehe schon. Ich verstehe sogar sehr gut. Ihr habt beschlossen, nach Norden zu gehen, aber ihr habt eine Heidenangst davor, ich könnte auf eigene Faust nach Süden gehen und die Garnison in Lissabon erreichen. In dem Fall würde ich euch wegen Befehlsverweigerung und Meuterei anzeigen. Man würde dich neben dein eigenes Grab stellen und erschießen, Harper.«

»Sie kommen niemals nach Süden durch, Sir.«

»Was du sagen willst, Harper, ist, dass du hergeschickt wurdest, um sicherzustellen, dass ich nicht überlebe. Ein toter Offizier kann keine Meuterei melden, stimmt's?«

Am Gesichtsausdruck des Iren erkannte Sharpe, dass seine Worte ins Schwarze getroffen hatten.

Harper trat unruhig von einem Bein aufs andere. Er war ein hünenhafter Mann, gut eine Handbreit größer als Sharpe, mit massigem Körperbau, der auf große Muskelkraft schließen ließ. Zweifellos war es den anderen Schützen recht, dass Harper für sie die Drecksarbeit erledigte, und wahrscheinlich war er der Einzige, der dafür den Mut aufbrachte. Oder vielleicht machte der Hass seines Volkes auf die Engländer diesen Mord für ihn zum Vergnügen.

»Nun?«, wollte Sharpe wissen. »Hab ich recht?«

Harper leckte sich die Lippen, dann legte er die Hand an den Messingknauf seines Schwertbajonetts. »Sie können mit uns kommen, Sir.«

Sharpe ließ das Schweigen eine Weile im Raum stehen, dann nickte er müde, als wolle er sich dem Unvermeidlichen beugen.

»Mir bleibt wohl keine andere Wahl, stimmt's?«

»Nein, Sir.« Harpers Stimme verriet seine Erleichterung, dass er den Offizier nicht würde umbringen müssen.

»Nimm das hier mit.« Sharpe deutete mit einem Nicken auf seinen Brotbeutel und die Waffen.

Harper war ein wenig erstaunt, einen derart unvermittelten Befehl zu erhalten, beugte sich jedoch vor, um den Brotbeutel aufzuheben. Da merkte er plötzlich, dass er überlistet worden war. Er setzte noch zu einem Ausweichmanöver an, doch ehe er sich schützen konnte, hatte Sharpe ihm einen Tritt in den Bauch verpasst. Es war ein heftiger Tritt, der ihm mit dumpfem Laut tief in die gestählte Muskulatur ging, und Sharpe ließ sogleich einen beidhändigen Schlag folgen, der Harper in den Nacken traf.