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Sie durchquerten das noch breitere Tal und machten sich erneut an den Aufstieg. Vivar benutzte Pfade, die er seit seiner Kindheit kannte. Diese Pfade verbanden die vereisten Felder mit einer gefährlichen Gebirgsstraße, die in halsbrecherischem Zickzack den steilen Hang hinaufführte. An einem Schrein am Wegrand bekreuzigte sich Vivar. Seine Männer und die Iren unter den Grünjacken folgten seinem Beispiel. Fünfzehn Iren waren es, fünfzehn Unruhestifter, die Sharpe schon um des Schützen Harper willen hassen mussten.

Sergeant Williams war offenbar auf den gleichen Gedanken gekommen, denn er schloss zu Sharpe auf und ging einfältig grinsend im Gleichschritt neben ihm her.

»'s war nicht die Schuld von Harps, Sir.«

»Was war nicht seine Schuld?«

»Was gestern passiert is', Sir.«

Sharpe war sich darüber im Klaren, dass der Sergeant versuchte, Frieden zu schließen, aber seine Verlegenheit darüber, dass er seine Würde eingebüßt hatte, ließ seine Antwort schroff ausfallen.

»Willst du damit sagen, ihr wärt euch einig gewesen?«

»Jawohl, Sir.«

»Ihr habt euch geeinigt, einen Offizier umzubringen?«

Williams zuckte unter dieser Anschuldigung zusammen. »So war's nicht, Sir.«

»Komm mir nicht mit Ausflüchten, du Halunke! Wenn ihr euch einig wart, Sergeant, verdient ihr samt und sonders die Peitsche, selbst wenn keiner von euch den Schneid hatte, Harper zu Hilfe zu kommen.«

Williams gefiel die Unterstellung nicht, er sei feige. »Harps hat darauf bestanden, es allein zu tun, Sir. Er hat gesagt, er will einen fairen Kampf oder gar keinen.«

Sharpe war zu wütend, um sich von diesem kuriosen Einblick in den Ehrenkodex eines Meuterers beeindrucken zu lassen. »Soll ich über ihn vielleicht Tränen vergießen?« Er wusste, er hatte diese Männer falsch angepackt, ganz und gar falsch, aber er wusste nicht, wie er sich sonst hätte verhalten sollen. Vielleicht hatte Captain Murray ja recht gehabt. Möglicherweise musste man wirklich zum Offizier geboren sein, vielleicht war eine vornehme Geburt notwendig, um wie Vivar mühelos Autorität auszustrahlen. In seiner Verstimmung begann Sharpe, die Grünjacken anzuschnauzen, die auf der nassen Straße an ihm vorbeischlurften.

»Schluss mit der Bummelei! Ihr seid, verdammt noch mal, Soldaten, nicht geschniegelte Chorknaben. Hebt eure verdammten Füße! Bewegung!«

Und sie bewegten sich. Einer der Grünjacken murmelte ein Kommando, und die Übrigen fielen in Gleichschritt mit geschulterten Waffen und marschierten, wie nur die leichte Infanterie marschieren konnte. Sie zeigten dem Lieutenant, dass sie immer noch die Besten waren. Sie zeigten ihm ihre Verachtung, indem sie ihr Können bewiesen, und Major Vivars gute Laune wurde durch diese arrogante Demonstration wieder hergestellt. Er sah zu, wie die Grünjacken seine Männer beiseite drängten, dann rief er ihnen zu, sie sollten langsamer gehen und wieder ihren Platz am Schluss der Kolonne einnehmen. Er lachte immer noch, als Sharpe ihn eingeholt hatte.

»Sie hören sich an wie ein Sergeant, Lieutenant«, sagte Vivar.

»Ich war einmal Sergeant. Ich war der beste gottverdammte Sergeant im gesamten gottverdammten Heer.«

Der Spanier war verblüfft. »Sie waren früher Sergeant?«

»Glauben Sie etwa, man würde dem Sohn einer Hure gestatten, gleich als Offizier anzufangen? Ich war Sergeant und davor war ich Schütze.«

Vivar starrte den Engländer an, als seien ihm plötzlich Hörner gewachsen. »Ich wusste gar nicht, dass man bei Ihrem Heer aus den Mannschaften befördert werden kann.« Der ganze Zorn, den er noch vor kaum einer Stunde gegenüber Sharpe empfunden hatte, verpuffte zu schierer Neugier.

»Es kommt selten vor. Aber Männer wie ich werden niemals echte Offiziere, Major. Beförderung, verstehen Sie, ist die Belohnung für Torheit. Dafür, dass man geradezu idiotisch tapfer ist. Und dann machen sie uns zum Drillmeister oder Quartiermeister. Sie glauben, diese Aufgaben könnten wir bewältigen. Ein Kommando an der Front bekommen wir nicht.« Sharpes Erbitterung drohte an diesem kalten Morgen auszuufern. Er sagte sich, dass er dabei war, ein von Selbstmitleid geprägtes Geständnis zu machen, das diesem kompetenten spanischen Offizier die Erklärung für sein Versagen lieferte. »Sie glauben, wir würden allesamt dem Trunk verfallen, und vielleicht ist dem auch so. Wer ist schon gern Offizier?«

Aber Vivar war an Sharpes Misere nicht interessiert. »Demnach haben Sie viele Schlachten erlebt?«

»In Indien.«

Vivar begann, seine Meinung über Sharpe zu ändern. Bisher hatte er den Engländer als alternden, erfolglosen Lieutenant gesehen, dem es nicht gelungen war, sich eine Beförderung zu erkaufen oder gar zu verdienen. Nun erkannte er, dass Sharpes Beförderung außergewöhnlich gewesen sein musste, dass sie mehr bedeutete, als sich ein gemeiner Mann erträumen konnte. »Kämpfen Sie gern?«

Sharpe fand diese Frage seltsam, aber er beantwortete sie, so gut er konnte. »Auf etwas anderes verstehe ich mich nicht.«

»Dann werden Sie, glaube ich, einen guten Offizier abgeben, Lieutenant. Es wird noch viele Kämpfe geben, ehe Napoleon hinab in die Hölle geschickt wird, um da zu braten.«

Sie stiegen eine weitere Meile bergan, bis der Hang flacher wurde und die Soldaten zwischen riesigen Felsbrocken marschierten, die sich über der Straße auftürmten.

Vivar, der ihm gegenüber wieder freundlich gestimmt war, erzählte Sharpe, dass in diesem Hochland, wo die Adler nisteten, dereinst eine Schlacht stattgefunden habe. Die Mauren hätten eben diese Straße benutzt und die christlichen Bogenschützen hätten ihnen in den Felsen zu beiden Seiten aufgelauert.

»Wir haben sie zurückgedrängt und dafür gesorgt, dass die Straße nach ihrem eigenen Blut stank.« Vivar starrte zu den aufragenden Findlingen empor, als enthalte das Gestein noch den Nachhall der Schreie sterbender Heiden. »Das muss vor nahezu neunhundert Jahren gewesen sein.« Er aber sprach, als sei es gestern gewesen, als sei er persönlich mit dem Schwert in die Schlacht gezogen. »Jedes Jahr zelebrieren die Dorfbewohner eine Messe zum Andenken an dieses Ereignis.«

»Demnach gibt es hier ein Dorf?«

»Eine Meile jenseits der Schlucht. Dort können wir Rast machen.«

Sharpe sah, was für einen ausgezeichneten Ort für einen Hinterhalt das Flusstal abgab. Die christlichen Heerscharen mussten in ihrem Versteck zwischen den hohen Felsen den Ausblick eines Adlers auf die Straße und die Mauren gehabt

haben, die in die Schlucht hinaufgeklettert waren, mussten jeden Schritt ihres Weges ins Schussfeld der tödlichen Pfeile beobachtet haben.

»Und woher wissen Sie, dass die Franzosen uns nicht dort erwarten?« Ermutigt durch Vivars neu erwachte Freundlichkeit, warf er endlich die Frage auf, die ihm seit einiger Zeit zu schaffen machte. »Wir haben keine Vorposten.«

»Weil die Franzosen nicht so weit ins spanische Hinterland eingedrungen sein können«, sagte Vivar voller Zuversicht, »und wenn doch, hätten die Dorfbewohner auf allen Wegen Warnungen ausgesandt, und selbst wenn wir diese Warnungen nicht erhalten hätten, würden wir doch die Pferde der Franzosen riechen.« Die Franzosen pflegten ihre Kavalleriepferde rücksichtslos wundzureiten, bis sich die aufgeriebenen Stellen an Sattel und Kruppe mit ihrem Gestank meilenweit bemerkbar machten. »Eines Tages«, fügte Vivar gut gelaunt hinzu, »werden die Franzosen ihr letztes Pferd zu Tode gepeitscht haben, und wir werden ihr widerwärtiges Land niederreiten.« Der Gedanke verlieh ihm frische Energie, und er wandte sich sogleich an die marschierenden Männer. »Nun ist es nicht mehr weit, bis ihr euch ausruhen könnt!«

In diesem Moment eröffneten oberhalb der Schlucht, in der die Mauren in den Hinterhalt geraten waren, dort, wo Sharpe vor sich den Weg erkennen konnte, der zur Pilgerstraße hinabführte, die Franzosen das Feuer.