Выбрать главу

KAPITEL 4

Sharpe sah Vivar auf den rechten Straßenrand zuhechten und warf sich nach links. Der große Degen, mit dem er noch nicht vertraut war, rasselte gegen einen Felsen, dann hob er das Gewehr an die Schulter und riss den Fetzen Stoff herunter, der den Regen vom Pulver in der Zündpfanne der Waffe fernhielt. Eine feindliche Kugel ließ rechts von ihm den nassen Schnee aufspritzen, eine weitere schlug mit einem hässlichen Krachen über ihm in die Felswand ein. Hinter ihm schrie ein Mann vor Schmerz auf.

Dragoner. Gottverdammte Dragoner. Grüne Röcke mit rosa Besatz. Keine Pferde. Abgesessene Dragoner mit Musketen. Sharpe, der sich allmählich von seiner Überraschung über den Hinterhalt erholte, versuchte das Chaos aus Entsetzen und Lärm zu ergründen, das in der winterlichen Kälte entstanden war. Er sah graue Rauchwölkchen, schmutzig wie der tauende Schnee, im Bogen vor sich aufsteigen.

Die Franzosen hatten etwa sechzig Schritt hinter dem Ausgang der Schlucht quer über die Straße eine niedrige Barrikade errichtet. Das war für die französischen Musketen eine große Entfernung, aber darauf kam es nicht an. Es waren die abgesessenen Dragoner in ihren Stellungen oben auf den hohen kahlen Felswänden zu beiden Seiten der Schlucht, die den eigentlichen Schaden anrichteten.

Sharpe rollte auf den Rücken herum. Eine Kugel bohrte sich genau an der Stelle in den Schnee, wo noch vor einer Sekunde sein Kopf gewesen war. Er sah die Dragoner am Rande des Abgrunds stehen und in die tödliche Falle der Straße herabfeuern, auf der man vor neunhundert Jahren die Mauren abgeschlachtet hatte.

Vivars Männer hatten sich verteilt. Sie kauerten am Fuß der Felsen und schossen nach oben. Vivar brüllte sie an, rief ihnen zu, sie sollten eine Linie bilden und dann vorrücken. Er hatte vor, jene anzugreifen, die die Straße versperrten. Instinktiv wusste Sharpe, dass die Franzosen genau mit dieser Taktik rechneten. Deshalb hatten sie ihre Barrikade nicht in der Schlucht, sondern dahinter aufgebaut. Sie wollten die in den Hinterhalt gegangenen Soldaten auf die Ebene locken, und dafür konnte es nur einen Grund geben. Die Franzosen hatten Kavallerie bereitgestellt, Reiter mit langen Kavalleriedegen, die der ungeschützten Infanterie des Feindes den Garaus machen würden.

Im selben Augenblick, als ihm die Erkenntnis kam, merkte Sharpe außerdem, dass er wie ein Schütze handelte, nicht wie ein Offizier. Er war in Deckung gegangen, er hielt Ausschau nach einem Ziel, und er wusste nicht, wie es seinen Männern im hinteren Teil der Schlucht erging. Nicht dass er den Wunsch gehabt hätte, in diese Falle zwischen Fels und schwirrenden Kugeln zurückzukehren, aber genau das war die Pflicht eines Offiziers. Er raffte sich auf und rannte los.

Er drängte sich zwischen den Spaniern hindurch, die dabei waren, sich zu sammeln, sah das Maultier, das zappelnd und blutend am Boden lag, bemerkte das Pfeifen und Krachen rund um seine Ohren. Die Musketenkugeln ergossen sich in die Schlucht, sausten als Querschläger hin und her und woben ein tödliches Netz in der Luft. Er sah einen Grünrock auf dem Bauch liegen. Blut war aus dem Mund des Mannes gequollen und hatte einen großen Fleck schmelzenden Schnees verfärbt. Eine Büchse krachte links von Sharpe, dann eine zweite zu seiner Rechten. Die Grünjacken waren, so gut es ging, in Deckung gegangen und versuchten, die Franzosen über ihnen abzuschießen. Sharpe ging auf, dass die Franzosen mehr Männer in der Höhe hätten postieren müssen, dass die Gewalt ihres Feuers zu gering war, um die Straße zu beherrschen. Dieser Gedanke kam so überraschend, dass er stehen blieb und zum hohen Horizont hinaufstarrte.

Er hatte recht. Die Franzosen hatten dort oben gerade genug Männer aufgestellt, um den Hinterhalt zu vervollständigen, aber den Todesstoß sollten ihnen nicht diese Männer versetzen, sondern andere. Die Erkenntnis verlieh Sharpe Hoffnung und sagte ihm, was er zu tun hatte. Er begann, indem er die Straße abschritt, nach seinen Männern zu rufen. »Rifles! Zu mir! Zu mir!«

Die Männer rührten sich nicht vom Fleck. Eine Kugel klatschte neben Sharpe in den Schnee. Die französischen Kavalleristen, die besser mit dem Degen als mit der Muskete umgehen konnten, zielten zu hoch, aber das war im Gewirr ihrer Kugeln ein schwacher Trost.

Wieder rief Sharpe den Schützen zu, sich um ihn zu sammeln, aber sie zogen selbstverständlich das bisschen Deckung vor, das sich am Fuß der Klippen bot. Er zerrte einen Mann aus einer Felsspalte. »Dort entlang! Schnell! Warte am Ende der Schlucht auf mich.« Er fuhr fort, den Übrigen Beine zu machen. »Aufstehen! Bewegung!« Er traktierte die Männer mit Fußtritten, bis sie sich erhoben. »Sergeant Williams!«

»Sir?« Die Antwort ertönte aus der Tiefe der Schlucht, irgendwo hinter den Rauchfäden aus den Gewehren, die sich zwischen den Felswänden fingen.

»Wenn wir hierbleiben, sind wir dem Tod geweiht! Rifles, mir nach!«

Sie folgten ihm. Sharpe hatte keine Zeit, über die Ironie nachzudenken, dass dieselben Männer, die ihm vor Kurzem nach dem Leben getrachtet hatten, nun seinen Befehlen gehorchten. Sie gehorchten, weil Sharpe wusste, was zu tun war, weil er sich seiner gewiss war. Es war diese Gewissheit, die die Schützen aus ihrer spärlichen Deckung herausholte. Außerdem folgten sie ihm, weil der einzige andere Mann, dem sie vertraut hätten, nämlich Harper, nicht bei ihnen, sondern immer noch am Schwanz des verletzten Maultieres festgebunden war.

»Mir nach! Mir nach!« Sharpe sprang über einen verwundeten Spanier hinweg, wich aus, als eine Kugel an seinem Gesicht vorbeisauste, wandte sich dann nach rechts. Er hatte die Männer fast bis zum Ausgang der Schlucht geführt, dorthin, wo Vivar immer noch seine eigenen unberittenen Kavalleristen zum Kampf formierte.

Hier hatte einmal vor Jahren ein Bergrutsch stattgefunden und eine Halde aus Geröll und Tonerde gebildet, und obwohl der Abhang gefährlich steil war und durch den schmelzenden Schnee noch gefährlicher wurde, bot sich hier eine Abkürzung nach oben, über die man den Rand der Klippen erreichen konnte.

Sharpe kletterte die Halde hinauf, indem er sein Gewehr als Stock einsetzte, und hinter ihm her kamen allein oder zu zweit die Rifles.

»In Schützenlinie!« Sharpe blieb am oberen Ende des ersten steilen Hangs stehen, um seinen beschwerlichen Tornister abzulegen. »Verteilt euch!«

Einige der Schützen merkten plötzlich, was von ihnen erwartet wurde. Sie sollten einen steilen und schlüpfrigen Hang hinauf angreifen, an dessen Gipfel die Franzosen durch die natürlichen Bastionen verstreuter Felsen geschützt wurden. Der eine oder andere zögerte und hielt Ausschau nach Deckung.

»Weiter!« Sharpes Stimme war lauter als das Gewehrfeuer. »Weiter! In Schützenlinie! Weiter!«

Sie rückten weiter vor, nicht weil sie Sharpe vertraut hätten, sondern weil tief in ihnen die Gewohnheit verwurzelt war zu gehorchen, sobald sie unter Feuer standen.

Sharpe wusste, dass in der Schlucht zu bleiben den Tod bedeutet hätte. Die Franzosen wollten sie dort von oben mit ihren Musketen festnageln, bis die Dragoner von der Straßensperre her angreifen würden. Die einzige Möglichkeit, diesen Hinterhalt zu brechen, war die, einen seiner Ansatzpunkte anzugreifen. Bei dem Versuch würden Männer zu Tode kommen, aber nicht so viele wie andernfalls im Blut und Gemetzel auf der matschigen Straße.

Sharpe hörte Vivar auf Spanisch ein Kommando brüllen, aber er achtete nicht darauf. Der Major musste tun, was er für richtig hielt, und Sharpe würde tun, was er für das Beste hielt. Plötzlich wurde er von seltsamer Kampffreude gepackt. Hier im Gestank des Pulverdampfs fühlte er sich daheim. Dies war seit fünfzehn Jahren sein Leben. Andere Männer lernten, wie man Felder pflügt oder Holz bearbeitet, er hingegen hatte gelernt, Muskete und Gewehr, Degen und Bajonett zu handhaben, einem Feind in die Flanke zu fallen und eine Festung zu nehmen. Er hatte die Angst kennengelernt. Sie war der vertraute Gefährte eines jeden Soldaten. Aber zugleich wusste Sharpe, wie man sich die Angst des Feindes zunutze macht.