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Davila nickte. Eine Frage drängte sich auf, aber er konnte sich nicht überwinden, sie zu stellen.

Vivar verstand trotzdem. »Sollten die Franzosen die Truhe erbeuten«, sagte er freudlos, »wirst du davon hören. Sie werden ihren Erfolg in ganz Spanien hinausposaunen, Diego, und du wirst davon hören, denn dann ist der Krieg verloren.«

Davila erschauerte unter seinen zerlumpten Umhängen. »Könnte es sein, Don Blas, dass Sie, wenn Sie sich nach Westen wenden, auf die Briten treffen?«

Vivar spuckte aus, um kundzutun, wie er über das britische Heer dachte.

»Würden sie Ihnen nicht helfen?«, beharrte Davila.

»Würdest du den Engländern anvertrauen, was in der Truhe ist?«

Davila überlegte sich seine Antwort, dann zuckte er mit den Schultern. »Nein.«

Vivar schob sich noch einmal hinauf, um ins Dorf hinabzustarren. »Vielleicht treffen diese Teufel auf die Briten. Dann kann ein Barbarenpack das andere umbringen.« Die Kälte ließ ihn erschaudern. »Wenn ich genug Männer hätte, Diego, würde ich die Hölle mit den Seelen dieser Franzosen füllen. Aber ich habe nicht genug Männer. Also hol sie für mich herbei!«

»Ich werde mein Bestes tun, Don Blas.« Mehr wagte Davila nicht zu versprechen, denn in diesen ersten Tagen des Jahres 1809 hatte kein Spanier Grund zur Hoffnung. Der spanische König befand sich in französischer Gefangenschaft, und in Madrid saß der Bruder des Franzosenkaisers auf dem Thron. Die spanischen Armeen, die sich im vergangenen Jahr so tapfer geschlagen hatten, waren von Napoleon vernichtend besiegt worden, und das britische Heer, das man ihnen zur Hilfe geschickt hatte, wurde schmählich in Richtung Küste zurückgedrängt. Spanien war nichts geblieben als die Überreste seiner aufgeriebenen Armeen, der Widerstandsgeist seines stolzen Volkes und die Truhe.

Am nächsten Morgen brachen Vivars Männer mit der Truhe gen Westen auf. Leutnant Davila sah zu, wie die französischen Dragoner ihre Pferde sattelten und ein geplündertes Dorf hinter sich ließen, aus dem Rauch in den kalten Himmel stieg. Die Dragoner wussten vielleicht nicht, wo sich Blas Vivar befand, aber der Mann im schwarzen Mantel mit den hellen Stiefeln wusste bestimmt, wohin der Major unterwegs war, und darum lenkten die Franzosen ihre Pferde in westliche Richtung.

Davila wartete einen ganzen Tag ab, dann machte er sich nach Süden auf, inmitten eines Regengusses, der den Schnee zu Matsch und jeden Pfad in einen zähen Morast verwandelte.

Jäger und Gejagte hatten sich erneut in Bewegung gesetzt und schlichen auf verschlungenen Pfaden durch ein winterliches Land. Die Gejagten hofften auf ein Wunder, das Spanien retten und aus der sicheren Niederlage noch einen glorreichen Sieg machen würde. 

KAPITEL 1

Über einhundert Männer wurden im Dorf zurückgelassen. Ihnen war nicht zu helfen. Sie waren betrunken. An die zwanzig Frauen blieben bei ihnen. Auch sie waren betrunken.

Nicht nur betrunken, sondern regelrecht bewusstlos. Die Männer waren in den Lagerraum einer Taverne eingebrochen und hatten dort große Fässer mit neuem Wein vorgefunden, mit dem sie ihr Elend ertränkten. Nun, in der grauen Morgendämmerung, lagen sie im Dorf verstreut wie die Opfer einer Seuche.

Die Betrunkenen waren Rotröcke. Sie waren in die britische Armee eingetreten, weil sie verzweifelt oder auf der Flucht vor dem Gesetz waren und weil es dort einen Fünftel Liter Rum pro Tag gab. Am Vorabend hatten sie den Himmel auf Erden entdeckt, in einer elenden Taverne in einem elenden spanischen Dorf an einer elenden steinigen Straße, die zum Meer führte. Sie hatten maßlos gezecht, deshalb wollte man sie nun der Gnade der Franzosen überlassen.

Lieutenant Richard Sharpe, im grünen Uniformrock der 95th Rifles, des Schützenkorps, ging zwischen den Bewusstlosen hin und her, die im Innenhof der geplünderten Taverne lagen. Sein Interesse galt nicht den Betrunkenen, sondern einigen Holzkisten, die man von einem Ochsenkarren geworfen hatte, um Platz für Verwundete und an Erfrierungen leidende Männer zu schaffen. Wie so vieles, was das geschwächte Heer nicht mehr mitschleppen konnte, wären auch die Kisten den nachfolgenden Franzosen in die Hände gefallen, wenn Sharpe nicht entdeckt hätte, dass sie Gewehrmunition enthielten. Und die wollte er nun bergen. Die Tornister und Taschen seines Bataillons hatte er bereits mit so vielen der wertvollen Patronen anfüllen lassen, wie die Männer tragen konnten. Jetzt luden er und einer der Schützen noch mehr davon in die Packkörbe des letzten Maultiers der Einheit.

Schütze Cooper beendete seine Arbeit, dann starrte er die übrig gebliebenen Kisten an. »Was machen wir mit denen, Sir?«

»Verbrennen.«

»Donnerwetter!« Cooper lachte auf, dann zeigte er auf die herumliegenden Betrunkenen. »Damit bringen Sie die da todsicher um!«

»Wenn wir's nicht tun, tun's die Franzosen.« Sharpe hatte eine tiefe Narbe auf der linken Wange, die ihm ein finster grimmiges Aussehen verlieh. »Willst du, dass die Franzosen uns mit unserer eigenen Munition abknallen?«

Cooper war es eigentlich gleichgültig, was die Franzosen taten. Im Moment interessierte ihn ein alkoholumnebeltes Mädchen, das in einer Ecke des Hofs schlummerte. »Wär doch schade, die da umzubringen, Sir. So ein nettes kleines Ding.«

»Überlass sie den Franzosen.«

Cooper bückte sich, um der jungen Frau das Mieder zu lösen und ihre Brüste freizulegen. Sie regte sich in der Kälte, wachte jedoch nicht auf. Ihr Haar war mit Erbrochenem beschmiert, das Kleid hatte Weinflecken, und doch war sie hübsch. Sie mochte fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein. Sie hatte einen Soldaten geheiratet und war ihm in den Krieg gefolgt. Nun war sie betrunken und würde es mit den Franzosen zu tun bekommen. »Wach auf!«, sagte er.

»Lass sie!« Sharpe konnte der Versuchung nicht widerstehen, den Hof zu überqueren, um sich das nackte Mädchen anzusehen. »Dumme Kuh«, brummte er übel gelaunt.

Ein Major erschien im Durchgang zum Hof. »Quartiermeister?«

Sharpe drehte sich um. »Sir?«

Der Major hatte einen schmalen, drahtigen Schnurrbart und einen bösartigen Gesichtsausdruck. »Wenn Sie damit fertig sind, Frauen auszuziehen, könnten Sie sich dann vielleicht bequemen, sich uns anzuschließen?«

»Ich wollte erst noch diese Kisten verbrennen, Sir.«

»Vergessen Sie die Kisten, Quartiermeister. Beeilung!«

»Zu Befehl.«

»Oder ziehen Sie es vor, hierzubleiben? Ich bezweifle, dass die Armee Sie vermissen würde.«

Sharpe antwortete nicht. Normalerweise hätte kein Offizier in Gegenwart einfacher Soldaten diesen Umgangston angeschlagen, doch der Rückzug war allen an die Nerven gegangen und hatte unterschwellige Ressentiments freigesetzt. Männer, die sich normalerweise mit vorsichtigem Respekt oder einer gewissen gezwungenen Freundlichkeit begegnet wären, knurrten sich jetzt an wie räudige Hunde. Und Major Warren Dunnett hasste den Quartiermeister schon seit Langem. Es war ein wütender, irrationaler und alles verzehrender Hass, auf den Sharpe mit Nichtachtung reagierte. Dass der Quartiermeister obendrein noch großen Sachverstand ausstrahlte, provozierte den Major immer wieder zu aufbrausenden Wutanfällen. Das war schon vor zwei Jahren vor Kopenhagen so gewesen, als Sharpe plötzlich mit einem geheimen Auftrag in der dänischen Hauptstadt aufgetaucht war, während Dunnett, damals noch Captain, ihn zu Hause in Shorncliffe vermutet hatte.

»Wofür, zum Teufel, hält er sich eigentlich?«, machte er sich vor der Taverne gegenüber Captain Murray Luft. »Denkt er, das ganze verdammte Heer würde auf ihn warten?«