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»Was ist in der Kiste, Major?«, fragte er mit anklagender Stimme.

»Ich sagte Ihnen doch, es sind Papiere«, erwiderte Vivar lässig, während er die letzten Fetzen Leinwand von dem Helm entfernte.

»Die Franzosen waren hier, um die Schatztruhe zu erobern.«

»Die Gefangenen haben mir mitgeteilt, sie seien auf der Suche nach Lebensmitteln gewesen. Ich bin sicher, dass sie die Wahrheit gesagt haben, Lieutenant. Männer, die dem Tod ins Auge sehen, sagen normalerweise die Wahrheit, und sie haben alle dieselbe Geschichte erzählt. Sie haben einem Stoßtrupp angehört.« Vivar polierte mit dem Ärmel das Messing des Helms, dann hielt er ihn Sharpe zur Begutachtung hin. »Schäbige Handwerksarbeit. Sehen Sie, wie schlecht der Kinnriemen vernietet ist?«

Wieder ignorierte Sharpe den Helm. »Die Dragoner waren wegen der Kiste hier, nicht wahr? Sie haben Sie verfolgt und wussten, dass Sie durch diese Berge mussten.«

Vivar betrachtete stirnrunzelnd den Helm. »Ich denke, ich werde ihn doch nicht behalten. Ich finde bestimmt einen besseren, ehe das Morden vorbei ist.«

»Das waren dieselben Männer, die unsere Nachhut angegriffen haben. Wir hatten Glück, dass sie nicht das ganze Regiment hier heraufgeschickt haben, Major!«

»Die Gefangenen haben gesagt, dass nur die Männer mit gesunden Pferden so weit kommen konnten.« Das hörte sich an wie eine teilweise Bestätigung von Sharpes Verdacht, aber alles andere stritt Vivar augenblicklich ab. »Ich versichere Ihnen, dass sie nur gekommen sind, um Futter und Lebensmittel zu erbeuten. Sie haben mir mitgeteilt, sie hätten die Dörfer in der Ebene ausgeraubt, deshalb müssten sie nun, um Nahrung zu finden, immer höher hinauf.«

»Was ist in der Kiste, Major?«, beharrte Sharpe.

»Neugierde!« Vivar wandte sich ab und begann auf das Dorf zuzugehen. »Neugierde!« Er holte aus und schleuderte den Helm in den Abgrund, in den das Plateau steil abfiel. Der Helm glitzerte, drehte sich, dann landete er scheppernd im Gebüsch. »Neugierde! Eine englische Krankheit, Lieutenant, die zum Tode führen kann. Meiden Sie sie!«

Während der Nacht erloschen die Brände, bis auf ein Haus, dessen Feuer Vivars Männer mit Holz von den Bäumen der Umgebung speisten. Sie brieten darin, aufgespießt auf ihre Säbel, große Brocken Pferdefleisch. Die Schützen benutzten zu diesem Zweck ihre Schwertbajonette. Alle waren froh, dass die Leichen der Dorfbewohner begraben waren. Die Posten wurden an den Rand des gebrandschatzten Dorfs zurückgezogen, wo sie fröstelnd im kalten Wind ausharrten. Als die Abenddämmerung hereinbrach, hörte es endlich auf zu regnen, und in der Nacht zeigten sich zwischen den hoch fliegenden Wolken Lücken, durch die hindurch ein blasser Mond die schroffen Hänge erleuchtete, auf denen der Schnee teilweise geschmolzen war, sodass die Landschaft seltsam pockennarbig anmutete. Irgendwo in den Bergen heulte ein Wolf.

Sharpes Grünjacken stellten während der ersten Hälfte der Nacht die Posten. Um Mitternacht ging er noch einmal durchs Dorf und richtete ein paar ungeschickte Worte an jeden einzelnen der Männer. Die Gespräche mit ihnen wirkten gestelzt, weil keiner der Rifles den Morgen vergessen konnte, als sie alle sich verschworen hatten, Sharpe zu ermorden. Nur der Waliser Jenkins war gesprächiger als die anderen und warf die Frage auf, wo Sir John Moores Heer wohl jetzt sei.

»Das weiß Gott allein«, sagte Sharpe. »Weit weg.«

»Geschlagen, Sir?«

»Kann sein.«

»Aber Boney ist fort, Sir?« Die Frage wurde mit einem gewissen Eifer gestellt, als könnte die Abwesenheit des Kaisers der Franzosen den Schützen auf ihrer Flucht neue Hoffnung einflößen.

»Das hat man uns jedenfalls gesagt.« Napoleon hatte Spanien angeblich bereits verlassen, aber das war kaum ein Grund, optimistisch zu sein. Seine Gegenwart war nicht erforderlich gewesen. Überall befanden sich seine Feinde auf dem Rückzug und er konnte sich darauf verlassen, dass seine Marschälle, die ganz Europa erobert hatten, Spanien und Portugal den Rest geben würden.

Sharpe ging weiter, vorbei an den ausgebrannten Häusern. Die Sohle seines rechten Stiefels hing lose herab, und seine Hose klaffte am Schenkel auf. Nur die durchlöcherte Scheide seines Degens hatte er repariert. Ansonsten hing seine Uniform an ihm herab wie die Lumpen an einer Vogelscheuche.

Der Schmerz der Wunde am Arm, die Harper ihm zugefügt hatte, war mittlerweile abgeklungen. Er begab sich dorthin, wo die Straße in Richtung Schlucht anstieg. Dort war neben einem Steintrog, den die Frauen, die einst in diesem Dorf gewohnt hatten, als Waschplatz benutzt hatten, eine dreiköpfige Wachmannschaft postiert.

»Was zu sehen?«

»Nichts, Sir. Still wie ein Schankhaus, in dem es nichts mehr zu trinken gibt.«

Es war Harper, der seine Frage beantwortet hatte und der sich nun hünenhaft und stattlich aus dem Schatten des Troges erhob. Die beiden Männer starrten einander an, dann zog der Ire unbeholfen zum Gruß den Tschako. »Nehmen Sie's mir nicht übel, Sir.«

»Lass gut sein.«

»Der Major hat mir ins Gewissen geredet, wahrhaftig. Wir hatten Angst, Sir, Sie verstehen, und ...«

»Ich sagte doch, lass gut sein!«

Harper nickte. Seine gebrochene Nase war noch geschwollen und hatte keine Aussicht, je wieder gerade zu werden. Der große Ire grinste. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Sie können zuschlagen, Sir, so kräftig wie eine Ballinderry-Kuh.«

Die Bemerkung mochte als Friedensangebot gedacht gewesen sein, aber Sharpes Erinnerung an die Auseinandersetzung in der verfallenen Kate war noch zu frisch und schmerzlich, um es anzunehmen.

»Ich habe dich von einem verdammt scharfen Haken gelassen, Schütze Harper, aber das gibt dir nicht das gottverdammte Recht herauszuplappern, was dir in den Sinn kommt. Also setz deinen verdammten Tschako auf und geh wieder auf deinen Posten.«

Sharpe drehte sich um und ging davon, bereit, sofort herumzuwirbeln, wenn auch nur ein einziges unverschämtes Wort fiel. Aber Harper war vernünftig genug, den Mund zu halten. Nur der Wind war zu hören. Er strich mit einem seufzenden Laut durch die Bäume und ließ Funken hoch über das große Feuer in die Nacht aufsteigen.

Sharpe trat dicht ans Feuer, ließ sich von seiner Hitze die kalte und nasse Uniform wärmen. Er sagte sich, dass er wohl wieder einen Fehler begangen hatte, dass er Harpers freundliche Worte als das hätte akzeptieren sollen, was sie zweifellos waren, als Friedensangebot. Aber sein Stolz hatte ihn dazu getrieben, heftig zu reagieren.

»Sie sollten auch ein wenig schlafen, Sir.« Es war Sergeant Williams, tief vermummt gegen die Kälte, der nun im Feuerschein auftauchte. »Ich kümmer' mich um die Jungs.«

»Ich kann nicht schlafen.«

»Schuld is' der Gedanke an die toten Kleinen.«

»Ja.«

»Diese Schweinehunde«, sagte Williams. Er streckte die Hände nach dem lodernden Feuer aus. »Eins davon war nicht älter als meine Mary.«

»Wie alt ist sie?«

»Fünf, Sir. Hübsches kleines Ding, das ist sie. Nicht wie ihr Vater.«

Sharpe lächelte. »Ist deine Frau mit nach Spanien gekommen?«

»Nein, Sir. Die hilft in der Bäckerei ihres Vaters aus. Der war nicht sehr erfreut, als sie einen Soldaten geheiratet hat, aber so sind die Väter nun mal.«

»Das stimmt.«

Der Sergeant reckte sich. »Aber ich werd' ihr ein paar seltsame Geschichten zu erzählen haben, wenn ich wieder daheim in Spitalfields bin.« Er schwieg einen Moment, dachte vermutlich an die Heimat. »Eigentlich komisch.«